
Sag das doch deinen Freunden!
«SBB für zweite Gotthardröhre» – mit dieser Schlagzeile sorgte der «SonntagsBlick» für Aufregung bei den Gegnern der Vorlage, über
die am 28. Februar abgestimmt wird. Ausgerechnet die Bundesbahnen
unterstützen den Bau eines zweiten Strassentunnels auf der
wichtigsten Alpentransitachse der Schweiz? Jon Pult, Co-Präsident
des Vereins Alpeninitiative und Bündner SP-Grossrat, bezeichnete den
Entscheid der SBB als «schlicht gaga».
Wirklich neu ist
dieser Positionsbezug allerdings nicht. Bereits vor rund einem Jahr
äusserte sich SBB-Chef Andreas Meyer in einem Interview mit der NZZ
am Sonntag in diese Richtung: «Die zweite Strassenröhre am
Gotthard ist kein Problem für uns, solange die Kapazität nicht
erhöht wird. Wir werden 2016 den Gotthard-Basistunnel eröffnen. Das
führt zu einem Quantensprung in der Effizienz des Bahngüterverkehrs.
Damit werden wir wettbewerbsfähig sein.»
Für die
erfolgreiche Realisierung dieser unternehmerischen Zukunftsaussichten
sei «die Weiterführung der bisherigen Kapazitätsbeschränkung
zwingend», betonen die SBB auf Anfrage. Im Klartext: Sie
unterstützen die Vorlage unter der Bedingung, dass die beiden
Tunnelröhren nur einspurig betrieben werden. Ein Aspekt, den
Verkehrsministerin Doris Leuthard (CVP) bei jeder Gelegenheit
hervorhebt, während ihr Vorgänger Moritz Leuenberger (SP) genau
dies bezweifelt.
Ein vierspuriger
Strassentransit durch den Gotthard würde die Rentabilität des
Neat-Basistunnels in Frage stellen, der am 1. Juni mit viel
Brimborium eröffnet und mit dem Fahrplanwechsel im Dezember in Betrieb genommen wird. Auch die Gegner der zweiten Röhre
heben diesen Aspekt hervor. Sie propagieren als Alternative einen
Bahnverlad während der Sanierung des Strassentunnels. Personenwagen
würden durch den bestehenden Tunnel von Göschenen nach Airolo
transportiert und Lastwagen durch den Basistunnel von Erstfeld nach
Biasca.
Das entsprechende
Konzept hat eine Gruppe «unabhängiger Ingenieure und
Verkehrsexperten» – darunter ehemalige SBB-Kaderleute – unter
dem Motto «Sanieren ohne verlieren» erarbeitet. Die Alternative
zur zweiten Strassenröhre sei «zu einem Drittel der Kosten und
zehn Jahre schneller machbar», heisst es in der im letzten Herbst
veröffentlichten Studie. Das Konzept für eine Tunnelsanierung mit Bahnverlad koste
insgesamt eine Milliarde Franken. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA)
hat sie auf
1.4 bis 1.6 Milliarden beziffert.
Allerdings stellt
sich auch hier die Kapazitätsfrage: Gibt es genügend Platz in den
beiden Eisenbahntunnels, um den motorisierten Verkehr zu
transportieren? Immerhin befahren laut dem Verkehrsdepartement Uvek
jährliche fünf Millionen Personenwagen und 0,9 Millionen Lastwagen
die Gotthardachse. Zur Bewältigung dieses Aufkommens reiche der
Bahnverlad nicht aus, meint das Uvek und warnt vor
Ausweichverkehr via San Bernardino oder Simplon.
Für «Sanieren
ohne verlieren» ist dieses Argument nicht nachvollziehbar. «Heute
werden an Spitzentagen rund 3000 Lastwagen gezählt. Damit ist der
Verlad machbar», sagt Jost Wichser, Autor der Studie und ehemaliger
ETH-Dozent. Voraussetzung ist eine so genannte lange «Rollende
Landstrasse» (Lang-Rola) von Basel nach Chiasso. Das Uvek lehnt
eine solche ab – für Wichser unverständlich: «Das Parlament hat
vor drei Jahren einen 4-Meter-Korridor von Basel bis Chiasso
beschlossen. Er ist im Bau und dürfte etwa ab 2020 verfügbar sein.»
Die Expertengruppe
rechnet mit einem Zug pro Stunde auf der Lang-Rola und zwei Zügen
auf der kurzen Verladestrecke von Erstfeld nach Biasca. Dafür gebe
es genügend Platz im Basistunnel, da dieser im Hinblick auf eine
künftige Auslastung geplant worden sei. «Während der Sanierung
des Strassentunnels wollen wir diese Kapazitätsreserve nutzen»,
sagt Jost Wichser. Allenfalls müssten einzelne Personen- oder
Güterzüge auf die Bergstrecke ausweichen.
Durch den dortigen Tunnel soll der Autoverlad erfolgen. Gewerbeverband und Touring-Club warnten im letzten Herbst vor endlosen Staus und einem Verkehrschaos vor den Verladeanlagen in Göschenen und Airolo. Auch mit diesem Argument kann Wichser nichts anfangen: «In unserem Konzept verkehrt zu Spitzenzeiten alle 7,5 Minuten ein Autozug mit 100 Stellplätzen.»
Das entspreche ziemlich genau der Kapazität des heutigen Dosiersystems im Strassentunnel für Personenwagen bei gleichzeitig schwachem Lastwagenverkehr, etwa an Samstagen. Als Ausweichroute stehe in den Sommermonaten ausserdem die Gotthard-Passstrasse zur Verfügung.
Die Befürworter der
zweiten Autoröhre lassen sich dadurch nicht beirren. Der frühere Urner
FDP-Nationalrat Franz Steinegger erklärte letztes Jahr im Interview
mit watson, dass schon bei der übernächsten Sanierung des
Strassentunnels nicht mehr genügend Kapazität für einen Verlad
vorhanden wäre. Dies zeige die Situation am Lötschberg, wo der
Neat-Basistunnel heute schon voll sei, und zwar «nicht wegen dem
Güter-, sondern dem Personenverkehr».
Der Verein Alpeninitiative weist diese Argumentation zurück: «Die Ursache des Wachstums am Lötschberg war die Verdreifachung des Pendlerverkehrs zwischen dem Wallis und Bern. Dies wird am Gotthard nicht der Fall sein, dort dominiert der Reise- und Freizeitverkehr», sagt Manuel Herrmann, Leiter Alpenschutzpolitik. Am Lötschberg wurde nur eine der beiden Tunnelröhren komplett ausgebaut, weil das Geld dazu fehlte: «Man würde das Geld für die zweite Gotthardröhre besser in den vollständigen Ausbau investieren. Wobei die Milliarden am Gotthard eigentlich praktisch überall besser investiert wären als in diesen absurden Tunnel»
Vor der Abstimmung
1994 gehörte Franz Steinegger zu den Befürwortern der
Alpeninitiative. Seinen heutigen Einsatz für einen zweiten
Strassentunnel erklären sich die Gegner mit persönlichen Motiven:
Der ehemalige Präsident der FDP Schweiz und sein Sohn Matthias,
Landrat und Präsident der FDP Uri, sind geschäftlich in der
Baubranche engagiert, die von der zweiten Strassenröhre profitieren
könnte. Die Familie Steinegger sei «Teil der freisinnigen Elite,
die seit Generationen mit den Bauten am Gotthard verbunden sind»,
schrieb der Tages-Anzeiger.
Franz Steinegger
bezeichnete diese Kritik
«als uralte
Verlegenheitsargumente von Leuten aus der Umgebung der
Alpeninitiative». Fest steht: Beim «Glaubenskrieg» um die
Sanierung des Strassentunnels steht viel auf dem Spiel, nicht nur
enorme Geldsummen. «Ein Ja zur zweiten Röhre wäre ein schwerer Schlag für die Verlagerungspolitik und für die Umsetzung des Alpenschutzartikels», befürchtet Manuel Herrmann. Angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Parlament würde die Verlagerungspolitik nicht mehr ernst genommen.
Damit wird auch die
Streitfrage um die Kapazitäten für den Bahnverlad zum Politikum.
Die SBB wollen dieses heisse Eisen nicht anfassen. «Das ist eine
politische Frage, zu der wir uns aktuell nicht äussern möchten»,
heisst es auf Anfrage von watson. Grundsätzlich aber biete man Hand für
einen Verlad auf die Schiene, «sowohl für den motorisierten
Privatverkehr als auch für LKW, sollte dies erforderlich sein.»
"Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden. [...]"
Der Bau einer 2. Röhre ist verfassungswidrig, denn mit Kapazität ist auch die Infrastruktur gemeint.
Falls die 2. Röhre angenommen wird, ist es ein Gesetz, dass die Röhre nur einspurig befahren wird und somit kann das Parlament darüber verfügen und nicht das Volk.
Dazu kommt: eine 2. Röhre zu bauen ohne etwas von der EU zu forden, ist nicht geschickt! Eine 2. Röhre dafür die Alpentransitbörse einführen, das wär ein gutes Geschäft.