Am 28. Februar 2016 steht eine überaus emotionale Abstimmung an: Es geht ums Auto, es geht ums Portemonnaie, es geht um den Schutz der Alpen, es geht um die Sommerferien in unserer geliebten Sonnenstube. Es geht darum, ob der Bund einen zweiten Strassentunnel durchs Gotthardmassiv bauen soll.
Unabhängig davon, wie diese Abstimmung ausgeht, muss die bestehende Röhre umfassend erneuert werden – denn sie ist in die Jahre gekommen. Wann die Sanierung beginnt, hängt davon ab, ob eine zweite Röhre gebaut wird. Die im Falle eines Volks-Nein vom Bund bevorzugte Variante kostet schätzungsweise 752 Millionen Franken. Hinzu kommen 700 bis 900 Millionen Franken für Verladelösungen für den Personen- und Güterverkehr. Bei einem Ja am 28. Februar kostet die Sanierung etwas weniger und der Bahnverlad entfällt naturgemäss – dafür schlägt der Bau der zweiten Röhre mit rund zwei Milliarden Franken zu Buche.
Keine 200 Kilometer Luftlinie entfernt steht ebenfalls ein nicht mehr ganz taufrischer Alpentunnel: der Arlbergtunnel in Österreich. Er ist mit dem Gotthard in verschiedener Hinsicht vergleichbar: Nicht nur sind beide ähnlich lang und ähnlich alt, auch ihre Bauart ist miteinander verwandt. Durch den Gotthard fahren allerdings fast doppelt so viele Fahrzeuge pro Tag.
Die Sanierung des Arlbergtunnels ist bereits seit September 2014 in Gange, wobei man in Österreich anders vorgeht, als es in der Schweiz geplant ist. In einer ersten Phase – Kostenpunkt rund 160 Millionen Euro – werden die Fluchtkanäle verbessert, die Lüftungsanlage erneuert, die Entwässerung modernisiert und zahlreiche weitere Arbeiten ausgeführt. Voraussichtlich 2023 und 2024 wird dann die Fahrbahn angegriffen, was weitere 75 bis 80 Millionen Euro verschlingen wird. Umgerechnet kostet die Sanierung des Arlbergtunnels also gegen 260 Millionen Franken.
Eine eindrückliche Differenz gegenüber den in der Schweiz veranschlagten 752 Millionen Franken. Wie ist diese zu erklären? Für RailValley, einen Verein zur Förderung der Innovation im Schienenverkehr, ist der Fall klar: Parlament und Bundesrat haben das Sanierungsprojekt bewusst überladen, womit die finanzielle Differenz zur Variante mit zweiter Röhre nicht mehr so gross daherkommt – und das Stimmvolk eher zu einem Ja an der Urne verleitet wird.
RailValley hat dazu eigens einen Bericht erfasst, der derzeit erst auf Italienisch verfügbar ist. Darin wird aufgezählt, welche Sanierungsarbeiten am Gotthard ausgeführt und am Arlberg weggelassen werden. Hauptunterschied ist die sogenannte Zwischendecke, welche die Trennung vom Fahrraum zum Lüftungskanal sicherstellt. Gemäss Dokumenten des Bundes ist diese «teilweise schadhaft und statisch unterdimensioniert». Konkret haben die Ingenieure eine «fortschreitende Korrosion» festgestellt, wobei es in einem Bericht vom Dezember 2010 heisst, dass der Zustand der Decke in den beiden Portalbereichen «schlechter ist als in den übrigen Abschnitten des Tunnels». Dennoch hält der Bund fest: Die Zwischendecke muss in ihrer ganzen Länge abgebrochen und erneuert werden. Das hat nicht nur finanzielle, sondern auch organisatorische und damit zeitliche Folgen: Ein bautechnisch so massiver Eingriff kann nur bei einer Vollsperrung des Tunnels vorgenommen werden.
In weiteren Bereichen – etwa der Fahrbahnneigung, der Lüftung oder den Not-Trottoirs für Fussgänger – sehen die Projektpläne der beiden Tunnel unterschiedlich aus. Das zuständige Bundesamt für Strassen wehrt sich grundsätzlich gegen den «Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen», wie es Sprecher Thomas Rohrbach ausdrückt. Nicht nur sei der Gotthardtunnel aufgrund des höheren Verkehrsaufkommens anderen Belastungen ausgesetzt, auch habe man mit der Sanierung eine Variante gewählt, damit man danach «wieder 30 bis 40 Jahre Ruhe» habe. Hinzu komme, dass die Umfahrungsmöglichkeiten in Österreich vielfältiger seien als in der Schweiz, der Arlberg- kenne im Gegensatz zum Gotthardpass etwa keine eigentliche Wintersperre. Kurz: Der RailValleyBericht sei «klar politisch orientiert» und bei Fragen zum Umfang der notwendigen Bauarbeiten «nicht hilfreich», so Rohrbach.
Der österreichische Chef-Planer Wanker sagt, dass er bei einem höheren Budget zwar die Generalsanierung seines Tunnels in einem Zug ausgeführt, am Umfang der Arbeiten «aber nichts verändert hätte». Plant die Schweiz also eine Luxus-Sanierung? «Das will ich nicht behaupten, aber es herrscht einfach eine andere Philosophie. Faktoren wie Wirtschaftlichkeit und Streckenverfügbarkeit haben bei uns einen anderen Stellenwert.»