Trotz des Versammlungsverbots von mehr als 300 Personen wegen der Corona-Pandemie kamen in den letzten Wochen schweizweit Tausende Menschen an teilweise unbewilligten Demonstrationen zusammen. Dies sorgt bei vielen für Unverständnis.
Warum dürfen Tausende Menschen ungehindert die Abstand- und Hygieneregeln missachten, während sich die Geschäfte und Restaurants immer noch mit grossem Aufwand penibel genau daran halten und bei Verstössen mit Bussen rechnen müssen? Dies fragt sich die FDP in einer Mitteilung vom Dienstag.
Die FDP fordert deshalb, dass Bundesrat Alain Berset Klarheit schafft, wie «er geltendes Recht für alle durchsetzen will, oder wie er die aufwändigen Einschränkungen für Unternehmen, Veranstaltungen und Konsumenten abschaffen will.» Die FDP kündigte dazu eine Interpellation in beiden Räten an.
Die SVP kritisierte den momentanen Zustand an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz in Bern. Durch das noch immer geltende Verbot von Veranstaltungen mit über 300 Teilnehmenden stünden tausende Betriebe vor dem Ruin. Auch die SVP fordert den Bundesart daher auf, diese Ungleichbehandlung sofort zu beenden und «den Rechtsstaat jetzt unmittelbar wieder herzustellen», sagte Parteipräsident Albert Rösti vor den Medien.
Zudem müssen per sofort wieder sämtliche Veranstaltungen, auch solche mit über 300 Teilnehmenden, erlaubt sein. Der Bundesrat müsse am Freitag konsequenterweise «endlich alles öffnen», sagte Rösti. Es könne nicht sein, dass Gewerbetreibende wegen relativ kleiner Vergehen mit Bussen in vierstelliger Höhe gebüsst würden, derweil Kundgebungsteilnehmende und Organisatoren ungeschoren davon kämen.
Sollten sich aufgrund der tolerierten Demonstrationen die Infektionszahlen wieder erhöhen und es sogar zu Todesfällen kommen, sind laut SVP zudem die Organisatoren sowie die betroffenen kantonalen und städtischen Behörden zur Rechenschaft zu ziehen. «Wenn es eintritt, ist das, was hier geschehen ist, fahrlässige Tötung», sagte Rösti vor den Medien. Und dies sei dann entsprechend juristisch zu verfolgen.
Für die CVP ist der grosse Unmut über die ungleiche Durchsetzung der Corona-Regeln bei Demos und beim Gewerbe legitim, wie die Partei im Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte. Sie teilte trotzdem die Schlussfolgerung der SVP nicht. Der Bundesrat müsse das Vertrauen des Volks wieder herstellen, indem Massnahmen kohärent entschieden und umgesetzt würden.
Auch der Verein grundrechte.ch fordert vom Bundesrat und den Kantonen, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit wieder hergestellt wird. Die Bewilligungspraxis müsse in allen Kantonen willkürfrei und rechtsgleich sein, schreibt der Verein in einer Mitteilung.
Die Konferenz der Kantonalen Justiz-und Polizeidirektoren (KKJPD) hält in ihren Empfehlungen für den Umgang mit Kundgebungen von Anfang Juni fest, dass die Behörden die Bewilligung verweigern müssen, wenn aufgrund des eingereichten Gesuchs nicht plausibel ist, dass die Beschränkung auf 300 Teilnehmende eingehalten werden kann.
Der Vorstand der KKJPD erachtet es jedoch als ausgesprochen schwierig, bei einer Kundgebung die konkrete Wahrscheinlichkeit einer «dynamischen Entwicklung» im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung abschätzen zu können.
Er empfiehlt den Bewilligungsbehörden deshalb die Anwendung mehrerer Kriterien bei der Beurteilung von Kundgebungsgesuchen: Im Vordergrund der Beurteilung steht die Einschätzung der zu erwartenden Teilnehmerzahl. «Es können keine Kundgebungen bewilligt werden, wenn nicht plausibel ist, dass die Beschränkung auf 300 Teilnehmende eingehalten werden kann», heisst es.
Im Zweifelsfall seien die Vorteile einer Kundgebung mit einer verantwortlichen Person und einem Schutzkonzept gegen das Risiko eines unbewilligten Demonstrierens abzuwägen.
Wo die Distanzregeln nicht eingehalten werden können, seien Alternativen zur Eindämmung des Übertragungsrisikos aufzuzeigen. Zudem müsse ein Schutzkonzept vorgelegt werden.
Das geforderte Schutzkonzept müsse zwar Bestandteil der Bewilligung einer Kundgebung gemäss den kantonalen oder kommunalen Bestimmungen sein, dessen Nichteinhaltung ziehe aber nicht zwingend eine polizeiliche Intervention nach sich.
Grundsätzlich bleibe es in der Verantwortung der jeweiligen Einsatzkräfte, «ob und wenn ja wie sie in einer konkreten Situation in Abwägung der Rechtsgüter intervenieren». Ob eingeschritten werde, wenn sich zu einer Kundgebung mehr als 300 Personen eingefunden haben, müsse von Fall zu Fall beurteilt werden und könne nicht aufgrund starrer Kriterien entschieden werden.
Die Polizei werde sich dabei an den allgemeinen Grundsätzen des Polizeirechts orientieren, insbesondere am Störer- und am Verhältnismässigkeitsprinzip.
Der Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, Stefan Blättler, wies derweil im «Blick» die Kritik bezüglich der Einsätze bei den jüngsten Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeiwillkür zurück. «Die Corona-Regeln gelten weiterhin. Aber wenn wir die Demonstration in dieser Grösse aufgelöst hätten, wären die Leute noch dichter zueinander gedrängt worden. Damit hätte man das Gegenteil der Regeln erreicht.»
Das Ziel der Coronavirus-Verordnung sei es, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, sagte der Beamte weiter. «Bei einer Auflösung der Demo hätte es Ausschreitungen geben können, möglicherweise mit Verletzten.» (sda)
Und die Polizei hat schlicht ihren Job nicht gemacht. Das Versammlungsverbot ist klar definiert. Was müssen da Rechtsgüter abgewogen werden? Zu befürchten, dass die Demonstranten bei einer Auflösung noch gedrängter (als sie schon waren?) gestanden hätten, ist eine lächerliche Begründung nicht einzuschreiten.