Soldaten an die Schweizer Landesgrenzen schicken? Die Idee gefiel Jürg Noth noch nie. Aus seiner Skepsis machte der Kommandant des Grenzwachtkorps kein grosses Geheimnis. «Wir brauchen keine Armee. Diese ist für Aufgaben des Grenzschutzes gar nicht geeignet», sagte er bei einem Auftritt in der Fernsehsendung «Arena» Anfang 2011. Bei einer anderen Gelegenheit erklärte er süffisant, dass er im Fall eines Unterstützungseinsatzes der Armee jedem Soldaten zwei Grenzwächter zur Seite stellen müsste, um diesen zu schützen.
Nun haben sich die Zeiten geändert. Im Finanzdepartement, wo die Grenzwacht angegliedert ist, führt seit Anfang Jahr nicht mehr BDP-Frau Eveline Widmer-Schlumpf, sondern SVP-Bundesrat Ueli Maurer die Geschicke. Im Verteidigungsdepartement hat SVP-Mann Guy Parmelin das Ruder übernommen. Mit der gleichzeitigen Kontrolle über Grenzwacht und Militär hat die Partei beste Voraussetzungen, um ihr seit vielen Jahren angestrebtes Ziel zu erreichen: die Entsendung von Soldaten an die Landesgrenzen zur Abwehr von Asylbewerbern. «Am liebsten sofort», wie Parteipräsident Toni Brunner im Februar verlauten liess.
Grenzwacht-Kommandant Noth gilt da mit seiner ablehnenden Haltung als Störfaktor. Die SVP-nahe «Weltwoche» publizierte Anfang März einen ausführlichen Verriss über ihn – geschrieben von Christoph Mörgeli. Der Zürcher Alt Nationalrat bezeichnete Noth als naiv und selbstgefällig und kritisierte dessen positive Einstellung gegenüber dem Schengen-Abkommen. Auch in der Frage eines Armeeeinsatzes zur Unterstützung des Grenzwachtkorps vertrete Noth «die ganz falsche Haltung», schrieb Mörgeli unter Berufung auf «erfahrene Grenzwachtoffiziere».
Dass der Kommandant nach der Spaltung der SVP zur BDP übergetreten sei, sei opportunistisch gewesen. «Sein Pech ist, dass ihn jetzt mit dem neuen Finanzminister Ueli Maurer die SVP wieder einholt.»
Nicht nur bei Mörgeli, auch bei Parteistratege und alt Bundesrat Christoph Blocher steht der Grenzwacht-Kommandant auf der Abschussliste. Auf die Frage der «Basler Zeitung», ob er Noth glaube, dass er die Situation trotz Flüchtlingskrise im Griff habe, antwortete Blocher im vergangenen September: «Wenn einer sagt, er habe die Lage im Griff, dann hat er ein Puff. Eine solche Lage hat niemand im Griff.» Wenn der Bundesrat dem Grenzwachtkorps befehle, systematische Grenzkontrollen einzuführen, dann habe Noth dies zu tun. «Vor Schengen hat die Schweiz 70'000 illegale Einwanderer pro Jahr zurückgewiesen. Zu diesem System müssen wir zurückkehren.»
Im selben Monat sagte auch SVP-Magistrat Ueli Maurer, damals noch Verteidigungsminister, Noth liege «wohl falsch», wenn er meine, Armeeangehörige könnten an der Grenze keine wertvolle Unterstützung leisten. Natürlich könne ein Soldat keinen Grenzwächter mit dreijähriger Ausbildung ersetzen. Aber er könne wichtige Hilfsarbeiten leisten.
Wohl auch aufgrund des Sperrfeuers aus der Partei seines neuen Chefs hat Jürg Noth mittlerweile einen Kurswechsel vorgenommen. An der Jahrespressekonferenz der eidgenössischen Zollverwaltung Ende Februar zeigte er sich betont offen für militärische Hilfe: Wenn pro Tag Tausende Migranten über die Schweizer Grenze kommen sollten, dann «müsse man sich ernsthaft Gedanken machen über den Einsatz von Armeekräften».
Der SVP kann es nicht schnell genug gehen. Laut einem noch unbestätigten Bericht der «SonntagsZeitung» wollen die SVP-Bundesräte Parmelin und Maurer im Bundesrat demnächst einen Antrag mit brisantem Inhalt stellen: Das Grenzwachtkorps soll die Grenzen demnach wieder systematisch kontrollieren, Migranten zurückweisen können, wenn diese aus sicheren Drittländern einreisen, und dabei Unterstützung der Armee erhalten. Das neue Regime soll laut dem Bericht im Fall einer Flüchtlingswelle diesen Frühling zum Zug kommen.
Ob die SVP im Bundesrat eine Mehrheit für ihre Pläne findet, ist noch offen. Vergangenen Herbst sagte SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga in der Fragestunde des Nationalrates, «zurzeit» bestehe kein Anlass für einen Armee-Einsatz.
Die Idee stösst längst nicht überall auf Begeisterung. Der Genfer Polizeidirektor Pierre Maudet (FDP) kritisierte gegenüber der «SonntagsZeitung», mit der Milizarmee Flüchtlinge abhalten zu wollen, sei «surrealistisch» und ein «Versuch, gegen die Asylgesetzrevision zu agitieren».
Hinter den Kulissen bereiten sich Parmelin und Maurer aber seit Wochen auf das Szenario vor. So liess Verteidigungsminister Parmelin die Wiederholungskurse von 5000 Armeeangehörigen vorsorglich verschieben, damit seine Truppen ganzjährig mit einer fixen Zahl an Soldaten an der Grenze stehen können.
Es erstaunt mich immer wieder, dass Politiker Experten wiederlegen können/müssen. Mörgeli sagt quasi: ich kann das viel besser beurteilen als der Mann, der sich sein ganzes Arbeitsleben lang damit befasst hat.
Langsam verstehe ich die SVP-Anhänger. Es ist schwierig, einer so geballten Ladung Allwissenheit zu widerstehen.