An Ostern vor einem Jahr warnte Bundesrat Alain Berset: «Dieses Jahr muss der Oster-Stau ausfallen.» Er appellierte an die Bevölkerung, während der Festtage zu Hause zu bleiben und nicht ins Ferienhäuschen im Süden zu fahren. Diverse Gemeinden fürchteten sich vor einem Ansturm der Deutschschweizerinnen und wandten sich in Briefen an Besitzer von Ferienwohnungen: «Bitte kommen Sie dieses Jahr nicht zu uns!» Die Bürgermeister des Malcantone, der Region um den Bezirk Lugano im Tessin, forderten gar die Schliessung von Gotthard und San Bernardino.
Dass uns das Coronavirus ein Jahr später noch immer beschäftigen wird, hat damals wohl kaum jemand geahnt. Ein Vergleich mit den Zahlen vor einem Jahr zeigt, dass die Situation heute nicht weniger kritisch ist als an Ostern 2020.
Damals sah die epidemiologische Lage so aus:
Im Vergleich zur Lage heute:
Trotz der Ähnlichkeit der Zahlen ist die Ausgangslage nicht die gleiche wie vor einem Jahr. Inzwischen gibt es einen wichtigen Erfahrungswert im Umgang mit der Pandemie. Masken, Schutzkonzepte und verinnerlichte Verhaltensweisen helfen, die Menschen vor einer Ansteckung zu schützen. Im Unterschied zu vorherigem Jahr sind nun die Hotels und Läden geöffnet. Eine Reisewarnung für beliebte Reisedestinationen an Ostern gibt es bisher nicht.
Doch unbeschwert ist man im Südkanton nicht. Franco Denti, der Präsident der Tessiner Ärztekammer fürchtet sich vor einer geplanten Lockerung des Bundesrates. Dieser will am kommenden Freitag entscheiden, ob die 5-Personen-Regel, die momentan in Innenräumen noch gilt, aufgehoben werden soll. Denti wählte gegenüber dem Newsportal «tio.ch» dramatische Worte: «Lässt der Bundesrat diese Entspannung in den Innenräumen zu, besteht die Gefahr eines regelrechten Massakers.» Er empfiehlt, Treffen an den Ostertagen auf Aussenräume zu beschränken.
Auch Raffaele De Rosa, Gesundheitsminister des Kantons Tessin warnte vor weiteren Öffnungen. Zu «tio.ch» sagte er: «Es wäre verheerend, an Ostern alles zu öffnen um zwei Wochen später festzustellen, dass die Krankenhäuser wieder voll sind und wir wieder alles schliessen müssen.» Er zeigte sich insbesondere besorgt über die Entwicklung in der italienischen Nachbarregion Lombardei. Dort habe sich gezeigt, was nach einer zu frühen Öffnung passieren könne: Seit dieser Woche befindet sich die Region im dritten Lockdown. De Rosa findet darum: «Nicht mit einzubeziehen, was in Italien passiert, wäre unverantwortlich. Das Virus kennt keine Grenzen.»
Der Tourismus macht im Tessin 10 Prozent des lokalen Bruttoinlandproduktes aus. Ostergäste aus der Deutschschweiz wären ein ordentlicher Boost für die ohnehin schon marode Tessiner Wirtschaft. Gleichzeitig könnte der Tourismus dem Virus im Tessin wieder Tür und Tor öffnen. Bei Ticino Turismo ist man darum zwiegespalten. Auf ihrer Homepage steht: «Wir freuen uns natürlich, wenn Sie sich für das Tessin als Feriendestination entscheiden, aber grundsätzlich empfehlen wir im Moment, nicht einzureisen.» Den Tessiner Gemeinden empfiehlt Ticino Turismo, so viele öffentliche Flächen wie möglich für Ladenbesitzer und Gewerbetreibende zur Verfügung zu stellen.
Angelo Trotta, Direktor von Ticino Turismo, sagt zu «tio.ch», es sei eine Fahrt im Nebel auf Sicht. «Seit Monaten stellen wir uns die Frage, wann und wie man den Tourismus wieder starten kann.» Er hoffe, dass sich jene Touristen, die für die Ostertage anreisen, daran erinnern, dass das Tessin viele Täler habe, in denen man frei und ohne Gedränge wandern könne.
Bereits angekündigt wurde, dass die Polizei an Ostern auf Tessiner Plätzen präsent sein wird, um grosse Menschenansammlungen zu verhindern. Lugano diskutiert derzeit als weitere Massnahme eine Maskenpflicht im Freien. Dies, nachdem es am vergangenen Wochenende insbesondere an der Seepromenade immer wieder zu grossen Zusammenrottungen kam. Marco Borradori zeigte sich gegenüber dem «Corriere del Ticino» brüskiert: «Es ist unglaublich, wie viele Menschen sich da aufhalten und bei dem Gedränge nicht einmal eine Maske tragen.» Der Bürgermeister geht davon aus, dass mit den wärmeren Temperaturen und den kommenden Ostertagen die Zahl der Menschen auf den Plätzen zunehmen wird.
Bereits beschlossen hat der Stadtrat von Lugano, dass das Seeufer zu bestimmten Zeiten für Autos geschlossen wird und nur für Spaziergängerinnen zugänglich ist. Damit will man auch der bevorstehenden Überfüllung über die Festtage etwas entgegenwirken.
Und am Dienstagabend ergriff mit Ascona die erste Tessiner Gemeinde die Initiative und verfügte ein Maskenobligatorium im Freien. Dieses gilt ab Mitte der kommenden Woche im Ortskern sowie auf der Piazza am See.
Über Osterferien im Tessin müssten sich deshalb eher Kantone mit derzeit tiefen Werten Sorgen machen.