Als ich vor einigen Jahren für das Cape Epic trainierte und mich über «Sauwetter» ärgerte, meinte mein damaliger Coach für das harte Wintertraining: «Wenn du danach unter der warmen Dusche stehst, ist dies das Schönste, was es gibt und alles andere ist wieder vergessen.»
Heute ist so ein Tag. Ich weiss genau: Es wird kalt und nass und ich hasse das. Ich bin ein Gfrörli. Und normalerweise ein Schönwetterfahrer. Immerhin ist's am Morgen noch trocken, die Stimmung am Neuenburgersee grossartig. Doch die Sturmwarnungen leuchten schon an den Ufern, Wind kündigt Ungutes an und ein Blick zum Himmel verrät: Hier schifft's gleich. Und zwar mächtig.
Ihr kennt diese Momente. Sie sind doof. Immerhin treffe ich in Concise genau in dem Augenblick meine Eltern. Sie verbringen zwei Tage in der Region, nehmen mir Gepäck ab, unterstützen mich auch sonst und wollen die Gegend etwas geniessen. Rentner – mein grosses Karriereziel. Während ich in den Regen fahre, schauen sie sich das Schloss Grandson an (es sei grossartig). Wir machen zum Mittagessen wieder ab.
Noch während wir uns verabschieden, beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Ich fahre los. Aber während mich der Gegenwind bremst, blasen mich die Seitenwindböen teilweise fast um. In Bonvillars murmelt eine ältere Frau unter dem Schirm etwas in der Art von: «Pas idéale pour vous.» Nicht ideal? Die Untertreibung des Jahres. Manchmal bin ich froh, lassen meine Französischkenntnisse keine ausschweifenden Fluchtiraden zu. Die Dame hätte eine Ladung abgekriegt.
In Novalles stehe ich kurz bei einer Scheune unter. Der Bauer kommt dazu. Was, ich möchte noch bis La Chaux-de-Fonds? «Ohlala», sagt er und öffnet auf seinem Handy den Wetterradar. «Ab 14 Uhr wird's besser.» Es ist jetzt knapp nach 10. «Je continue», sage ich. Er ruft mir noch nach, ich könne auch noch etwas in der Scheune bleiben. Aber das brächte ja auch nichts.
Auf dem Weg hoch über den Col des Etroits leere ich einmal meine Schuhe und wringe die Socken völlig aus. Meine Eltern holen mich ein. Mami sagt: «Pack doch das Velo ins Auto und wir fahren ein Stück.» Geht leider nicht. Auch wenn sie mir in der nächsten halben Stunde das Angebot noch zweimal macht. Papi dagegen ist pragmatischer: «6 Kilometer bis Bullet, 11 bis Sainte-Croix.» Sainte-Croix erküre ich als Mittagsstopp.
Der Gegenwind auf 1200 Metern haut mich wieder fast um. Ich denke mir: «Warum mache ich das? Warum ging ich nicht wie Kollege Sandro Zappella ein bisschen im Mittelmeer segeln? Ich hätte alle mit meinen alten Kenntnissen vom Segelschnuppertag beeindrucken können. Und vor allem wäre es dort warm und schön.»
Endlich in Sainte-Croix angekommen bin ich durchnässt und durchgefroren. Im Restaurant wird erst einmal Kleidung gewechselt. Ich zittere vor Kälte. Mami bietet mir an, ich könne die eine Hand auch an ihrer Teetasse wärmen und muss nicht beide um meine krallen. Haha, das hätte ja lustig ausgesehen. Ich lehne dankend ab.
«Willst du für nachher die Jacke von Papi?» fragt sie weiter. Er nickt leicht zustimmend, ich schüttle den Kopf. «Oder seine Socken?» Ich lache. Er nickt nicht mehr, sondern vertieft sich in den Etappenplan: «Wann entscheidest du, ob du wirklich bis La Chaux-de-Fonds fährst?» Ich zucke mit den Schultern. So weit kann ich momentan gar nicht denken. Das Etappenziel scheint auf dem Mond zu liegen.
Aus geplanten 30 Minuten Pause werden 90. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar für die Motivation, für die (bis auf den Sockentausch und das Verladen des Velos) guten Ideen, für alles. Sie sind einfach die besten der Welt.
Die Wirtin bietet mir eine zweite Portion Pasta an. Sehe ich so abgekämpft aus? Sie bringt dann auch noch Schöggeli «für unterwegs». Trotzdem liegt meine Motivation am Tiefpunkt. Ich erinnere mich an Arbeitskollege Corsin. Der sagte doch mal was, dass er mich gerne mal ablösen wolle. Seine Antwort auf die Twitter-Anfrage aus dem Büro kommt umgehend:
.@retofoxfehr Ääähmmm wart schnell .... Nei! :) pic.twitter.com/Ut0sTn874F
— Corsin Manser (@CorsinManser) 17. September 2015
Na gut, dann muss ich wohl selber wieder auf den Sattel. Oder soll ich das Velo doch ins Auto verladen? Nein, beim ersten grossen Widerstand kann ich nicht einfach umknicken. Immerhin macht der Regen grad eine Pause. Obwohl die Uhr erst 13 Uhr zeigt.
Das Wetter bleibt am Nachmittag besser. Es regnet zwar nochmals und in La Brévine fahre ich bei 5 Grad durch das «Sibirien der Schweiz». Aber gegen Abend zeigt sich gar noch die Sonne. La Chaux-de-Fonds schaffe ich. Was bisschen Sonne bewirken kann: Plötzlich liegt der Ort nicht mehr auf dem Mond, sondern bei einigermassen gemütlicher Fahrt schon um kurz nach 18 Uhr erreichbar.
Das Hotel in der Innenstadt ist schnell gefunden. Ich nehme eine warme Dusche. Es ist herrlich, ja das Schönste, das es gibt. Der Regen, der Wind, die Kälte: Alles ist wieder vergessen.