Der Klausenpass bildet zwar den Übergang von Glarus nach Uri, doch die Kantonsgrenze verläuft nicht dort. Sondern eigentlich weit auf Glarner Gebiet unterhalb des Urnerbodens. Diese grösste Alp der Schweiz mit acht Kilometern Länge auf knapp 1400 Metern wird heute von knapp 40 Menschen ganzjährig bewohnt. Bis 1877 war eine «Überwinterung» gesetzlich verboten. Denn der Klausenpass ist dann nicht passierbar und der Weg nach Linthal je nach Schneesituation auch nicht.
1315 wurde die Grenze bestimmt. Wie es dazu kam, erzählt eine herrliche Sage, die jeder Glarner und Urner in der Schule lernt:
Die beiden Kantone stritten sich fast täglich um das schöne Weideland rund um den Klausenpass. Eines Tages beschlossen die beiden Bürgermeister der Täler: «Zur Tag- und Nachtgleiche solle von jedem Teil frühmorgens, sobald der Hahn krähe, ein rüstiger, kundiger Wanderer ausgesandt werden und jedweder nach dem jenseitigen Gebiet zulaufen; da, wo beide Männer sich begegneten, solle die Grenzscheide festgesetzt bleiben; der kürzere Teil möge nun fallen diesseits oder jenseits.»
Beiden Lagern war klar: Der Güggel muss so früh wie möglich krähen. Wie soll das trainiert werden? Die Glarner entschieden, dass sie ihren Güggel mästen und ihm so viel zu essen und trinken geben, wie er möchte. Glücklich soll er dann frühmorgens krähen. Die Urner fuhren eine andere Strategie. Ein altes Mütterlein habe den Tipp gegeben, ihren Hahn fast verhungern zu lassen. So soll er frühmorgens krähen.
Als die Tag- und Nachtgleiche im September kam, krähte der Urner Hahn noch vor Sonnenaufgang. Angeblich soll das Mütterlein schon in der Nacht in der Küche herumhantiert und gehofft haben, ihn so zu wecken. Während der Urner also schon loslief, wartete der Glarner noch immer. Erst nach der Morgenröte bequemte sich der vollgefressene Güggel in Linthal aufzustehen und zu krähen. Die Glarner waren so fair und weckten das Tier nicht auf.
Kein Wunder, trafen sich die beiden Läufer oberhalb der Fruttbergen (Nähe des Gasthaus Bergli an der heutigen Klausenpassstrasse. Der Urner schrie glücklich: «Hier ist die Grenze!» Der Glarner aber versuchte noch zu retten, was zu retten war und erwiderte: «Sei gerecht und gib mir ein Stück von dem Weidland, das du errungen hast.» Der Urner liess sich erweichen – unter einer Bedingung: «So viel will ich dir noch gewähren, als du mich bergauf tragen kannst.»
Der Glarner akzeptierte und schleppte seinen Konkurrenten den Berg hoch. Als er kurz vor dem Urnerboden ein Bächlein erreichte, war er mit seinen Kräften am Ende. Er bat zu trinken. Der Urner erlaubte dies, allerdings nur mit ihm auf dem Rücken. Als der Glarner trank, verliessen ihn auch die letzten Kräfte und er sackte tot zusammen. Noch heute verläuft die Grenze der Kantone genau an diesem Ort.
So gehört der Urnerboden zum Kanton Uri. Die gut 40 Einwohner sprechen zwar den Dialekt des Uris, sind aber klar nach Glarus orientiert, da dieses Tal einfacher – und vor allem ganzjährig – zu erreichen ist. Und jeder Glarner weiss: Willst du, dass der Güggel früh kräht, lass ihn hungern.