2123 Kilometer beträgt die Distanz zwischen Recep Tayyip Erdoğans megalomanen Präsidentenpalast in der türkischen Hauptstadt Ankara und der Fegistrasse in Spreitenbach AG. Die unscheinbare Adresse in einem Gewerbegebiet ist der Sitz der Schweizer Sektion der Union internationaler Demokraten (UID).
Ende September 2022 wurde diese Distanz überwunden – mit Hilfe eines Besuchers aus der Türkei. Ahmet Aydin, Parlamentarier der türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Erdoğan, sprach in den Räumlichkeiten der UID.
Die UID, bis 2018 als UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten) bekannt, gilt als Arm von Erdoğans Partei im Ausland. Der deutsche Verfassungsschutz nennt sie in seinem jüngsten Jahresbericht «eine Lobbyorganisation der AKP».
Laut einem Facebook-Eintrag der UID Schweiz referierte der AKP-Politiker Aydin über die türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2023, die Mitte Mai stattfinden werden. Der UID-Vorstand unterhielt sich mit ihm über «Pläne, Programme und Projekte für die Wahlen im Jahr 2023». Die UID reagierte nicht auf Anfragen von CH Media.
Die Gruppierung organisierte in Europa schon zahlreiche Wahlkampfauftritte türkischer Politiker – im Vorfeld von früheren Wahlen und der Abstimmung vom April 2017 über die umstrittene Verfassungsreform, die Präsident Erdoğan deutlich mehr Macht verschaffte,
Diese sorgten insbesondere 2017 für Schlagzeilen und erhebliche Verstimmungen zwischen mehreren EU-Staaten und der Türkei. AKP-Politiker drohten bei ihren Auftritten in Europa den Gegnern von Erdoğans neuer Verfassung teilweise mit Gewalt.
Lokale Polizeibehörden fürchteten um die öffentliche Sicherheit. Deutschland und die Niederlande erliessen in der Folge gesetzliche Grundlagen, um Auftritte ausländischer Politiker künftig verbieten zu können.
Diese Forderungen wurden 2017 auch in der Schweiz erhoben. Der Bundesrat lehnte sie mit Verweis auf die Redefreiheit ab. Ein auf Einladung der UID geplanter Auftritt des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu wurde nach langem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Veranstaltern und Behörden letztendlich abgesagt.
Der Historiker und Türkei-Kenner Hans-Lukas Kieser von der Universität Zürich rechnet bis zu den Wahlen mit erneuten Auftritten von AKP-Politikern in der Schweiz: «Präsident Erdoğans Popularität hat gemäss Umfragen abgenommen und es wird ein knappes Wahlergebnis erwartet.»
Umso wichtiger seien heuer die Stimmen aus der zahlenmässig grossen Diaspora, also der im Ausland lebenden türkischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Erdoğans AKP habe seit ihrer Machtübernahme 2003 gezielt Strukturen aufgebaut, um die Beziehungen zur Diaspora zu stärken.
Sie habe dabei gegenüber den anderen Parteien den Vorteil, dass sie als Regierungskraft die staatlichen Organisationen kontrolliert. So schuf die AKP-Regierung 2010 ein Amt, das sich um die Anliegen der im Ausland lebenden Türken kümmert.
Ein weiteres Beispiel ist das direkt dem Präsidenten unterstellte Amt für religiöse Angelegenheiten (Diyanet). Es kontrolliert auch die türkischen Moscheen im Ausland und entsendet dorthin die von ihr ausgebildeten Imame.
Der Schweizer Ableger des Diyanet, die Türkisch Islamische Stiftung für die Schweiz (TISS), gilt ebenfalls als AKP-nahe. Kein Zufall: Bei seinem Aufenthalt in der Schweiz im September besuchte AKP-Parlamentarier Aydin auch die TISS-Zentrale in Zürich-Schwamendingen.
«Die Republik Türkei war schon immer ein Parteistaat und die staatlichen Strukturen stets mehr oder weniger im Dienst der jeweiligen Machthaber», sagt Historiker Hans-Lukas Kieser. Unter der Herrschaft der islamistischen AKP und ihres ultranationalistischen Koalitionspartners MHP habe sich diese Tendenz noch verschärft.
Die politische Einflussnahme der türkischen Diaspora erfolge über «eine kontinuierliche Pflege und Bindung eines gewissen Milieus.» Über Organisationen wie die UID und deren sehr aktive Jugendarbeit würden die politischen Dogmen der AKP propagiert.
Inhaltlich gehe es um vieles, aber immer auch um einen übersteigerten Nationalismus, der den Völkermord an den Armeniern leugnet und Kurden mit politischen Anliegen pauschal als Terroristen kennzeichnet. «Vor den Wahlen wird dann daran erinnert, welche Parteien diese ‹patriotische› Weltanschauung vertreten», so Kieser.
Besuche von AKP-Politikern wie jener von Ahmet Aydin im letzten Jahr stärken laut Kieser diese Bindung und dienten propagandistischen Zwecken. Mitte Januar war ein weiterer AKP-Abgeordnete in der Schweiz zu Besuch: Serkan Bayram wohnte im Hotel Hilton in Opfikon ZH der Europapremiere des Films «Buğday Tanesi» bei, der auf seinem Leben basiert. Er tat dies auf Einladung der Türkischen Gemeinschaft Schweiz, einer weiteren AKP-nahen Organisation.
Die Auftrittsverbote in Deutschland und der Niederlande könnten gemäss Kieser dazu führen, dass die Schweiz im Wahlkampf zu einer Drehscheibe wird. Doch er rechnet damit, dass allfällige Anlässe eher im kleinen Rahmen stattfinden.
Das Bundesamt für Polizei Fedpol schreibt auf Anfrage, man verfolge gemeinsam mit den kantonalen Behörden «die politischen Vorgänge im Ausland, welche eine Diaspora in der Schweiz betreffen könnten». Diese Erkenntnisse fliessen laufend in die Lageanalyse mit ein, «um bei sicherheitsrelevanten Ereignissen zeitgerecht die adäquaten Sicherheitsmassnahmen treffen zu können».
Trotz dem Engagement der AKP-nahen Organisationen bleibt die knapp 100'000 Stimmberechtigte zählende türkische Diaspora in der Schweiz für Erdogan ein hartes Pflaster, anders als jene in Deutschland oder Österreich. Sie besteht hierzulande mehrheitlich aus Kurdinnen und Kurden und alevitischen und linken Türken. Diese haben wenig für die AKP übrig: Beim Verfassungsreferendum 2017 und den Präsidentschaftswahlen 2018 erhielt Erdogan in der Schweiz je nur rund 38 Prozent der Stimmen . (aargauerzeitung.ch)
Leider lassen wir uns immer mehr von populistischen extremisten verführen und am Schluss leidet die ganze Welt.