Sie gehören zum Wahlkampf wie die Bierdeckel mit Parteiemblem: Prominente Kandidatinnen aus Sport, Wirtschaft, Kultur und Fernsehen. Parteien versprechen sich von ihnen Stimmen über die eigene Basis hinaus.
Doch manchmal endet das Abenteuer für die Polit-Neulinge schon, bevor es richtig begonnen hat. So zog Model Tamy Glauser 2019 ihre Kandidatur für die Zürcher Grünen zurück, weil sie «noch nicht für die Politik bereit» sei. Zuvor hatte sie mit einer wissenschaftlich unhaltbaren Aussage über die Auswirkung veganer Ernährung auf das Krebsrisiko irritiert.
Ähnliches musste heuer die Berner SVP mit Extrembergsteigerin Evelyne Binsack erleben. Diese zog ihre Kandidatur vier Wochen nach der Ankündigung wieder zurück - mit Verweis auf verstärkt auftretende Spätfolgen eines Unfalls.
Dennoch stehen auch dieses Jahr wieder zahlreiche Prominente für die eidgenössischen Wahlen in den Startlöchern. Der wohl bekannteste von ihnen: Ueli Schmezer, langjähriger Moderator der SRF-Sendung «Kassensturz». Er will für die Berner SP in den Nationalrat. Man kennt ihn ausserdem als begeisterten Sänger von Mani-Matter-Liedern – im Kanton ist das ein massentaugliches Hobby. Entsprechend gelten seine Wahlchancen als gut.
Eher geringe Chancen werden dem als Corona-Massnahmenkritiker bekannten Komiker Marco Rima eingeräumt. Er kandidiert als Parteiloser im Kanton Zug für den Ständerat. Er wolle sich «frei und ungeschminkt äussern, Fragen stellen und politische Entscheidungen infrage stellen», zitierte die NZZ am Mittwoch aus seinem Programm.
In der Westschweiz bewerben sich der Ex-Judoka und Olympia-Medaillengewinner Sergei Aschwanden (FDP/VD) und die bekannte Cellistin Estelle Revaz (SP/GE).
«Jede Partei hat grundsätzlich Freude an prominenten Köpfe auf ihren Haupt- oder Nebenlisten», sagt Politologe und Kampagnenspezialist Mark Balsiger. Sie bringen einer Partei automatisch Aufmerksamkeit – insbesondere in den Medien – und haben gemäss Balsiger das Potenzial, über die eigene Stammwählerschaft hinaus Stimmen zu mobilisieren.
Doch Promi-Kandidaturen sind für die Parteien auch mit Risiken verbunden. So willkommen die zusätzlichen Stimmen sind, die Quereinsteiger einbringen, so argwöhnisch werden sie von jenen beäugt, die für ihren Aufstieg eine Ochsentour in Partei und Politik absolvieren müssen. «Streit und Enttäuschung sind vorprogrammiert, wenn arrivierten Parteimitgliedern, die seit Jahren in Gemeinden und Kantonen Knochenarbeit leisten, plötzlich ein Promi in der Sonne steht», so Balsiger.
Der Konflikt zwischen Quereinsteigern und Ochsentour-Absolventen zeigt sich beispielhaft an Ex-Fernsehmann Ueli Schmezer. Er steht im Kanton Bern auf der Liste der SP-Männer zusammen mit Adrian Wüthrich, dem Präsidenten des Gewerkschaftsdachverbands Travail Suisse. Wüthrich hatte seinen Sitz bei den Wahlen 2019 verloren. Die SP-Männer machen sich berechtige Hoffnungen, nach den Wahlen im Oktober nebst dem Bisherigen Matthias Aebischer wieder einen zweiten Vertreter ins Bundeshaus zu schicken.
Vieles deutet auf einen Zweikampf Wüthrich gegen Schmezer hin. Insider sehen leichte Vorteile für Schmezer, dank dessen Popularität. Wüthrich muss auf die parteiinterne Mobilisierung hoffen. Immerhin hat der Verlierer im Duell Schmezer – Wüthrich gute Chancen, nachzurutschen. Denn der Bisherige Matthias Aebischer hat bereits angekündigt, im Laufe der nächsten Legislatur zurückzutreten.
Auch Aebischer schaffte den Sprung in den Nationalrat als Promi, ohne die Ochsentour absolviert zu haben. Der ehemaligen SRF-Moderator («Tagesschau», «Club») wurde 2011 ins Parlament gewählt. Wie hat er den Wechsel in die Politik damals erlebt? «Am Anfang stehst du unter besonderer Beobachtung, weil viele denken, du habest die Wahl nur geschafft, weil du bekannt bist», sagt er, «was im Wahlkampf ein Vorteil war, ist jetzt ein Minus.»
Dagegen gebe es nur ein Mittel: «Man muss arbeiten und Leistung zeigen. Wer ohne Dossierkenntnis in der Kommission aufkreuzt und bloss auf seinen Promifaktor setzt, wird im Bundeshaus scheitern», sagt Aebischer. Er habe damals das Glück gehabt, schon nach zwei Jahren die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur zu präsidieren. Und als Leader der SP in der Gerichtskommission, zu der auch Ständeratsmitglieder gehören, habe er früh gute Kontakte in die kleine Kammer knüpfen können.
Auch Marcel Dobler (FDP/SG) wurde 2015 als Quereinsteiger in den Nationalrat gewählt. Kurz zuvor hatte Dobler sein Unternehmen Digitec an die Migros verkauft. Der Einstieg im Bundeshaus sei durchaus anspruchsvoll gewesen, sagt Dobler gegenüber CH Media: «Als Unternehmer war ich es gewohnt, schnell zu entscheiden und am Abend genau zu wissen, was ich heute erreicht habe.»
An das langwierige parlamentarische Prozedere habe er sich erst gewöhnen müssen. Geholfen habe ihm das Götti-System in der FDP-Fraktion. Mithilfe erfahrener Kollegen habe er den Startnachteil eines Quereinsteigers, der das Funktionieren eines Parlaments weniger gut kennt als jemand, der aus einem Kantonsparlament nach Bern gewechselt hat, rasch aufholen können.
Doch klar sei auch: «Als Neuling hat niemand in Bern auf dich gewartet.» Die Zuteilung der Kommissionssitze etwa erfolge aufgrund der Anciennität. Als Unternehmer hätte er gerne in der Wirtschaftskommission mitgearbeitet. Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Als Neuling und erst noch als Quereinsteiger müsse man sich hinten anstellen. «Es sei denn, man heisst Martullo Blocher zum Nachnamen», fügt Dobler mit einem Schmunzeln an.
Die angesprochene Unternehmerin und Bündner SVP-Nationalrätin lässt schriftlich ausrichten, sie sei als Wirtschaftspolitikerin mit vielen politischen Themen vertraut gewesen und habe rasch Einfluss nehmen können. Gewöhnungsbedürftig seien für sie die sehr zeitraubenden Ratsdebatten gewesen: «Es werden keine Prioritäten getroffen und die Berufspolitiker kümmern sich oft mehr um ihr Image als um die Bevölkerung», so Magdalena Martullo.
Aebischer, Dobler und Martullo haben sich in der Fraktion und im Parlament etabliert und dürften einer ungefährdeten Wiederwahl entgegenblicken. Doch viele Quereinsteiger bleiben im Parlament wirkungs- und glücklos. So etwa der frühere Schweizer Botschafter in Berlin, Tim Guldimann. 2015 für die Zürcher SP in den Nationalrat gewählt, schmiss er nach nur zweieinhalb Jahren wieder hin, ohne politisch Spuren hinterlassen zu haben.
Ebenfalls vor dem Rückzug aus dem Nationalrat steht der 2015 gewählte «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel (SVP). Er generierte zwar mithilfe seiner «Weltwoche» viele Schlagzeilen für seine Partei. Doch im Bundeshaus glänzte er als Absenzenkönig und in der Fraktion blieb er ein Fremdkörper.
Köppel ist für Politikberater Mark Balsiger der Prototyp eines «Medienpolitikers». Deren Äusserungen innerhalb und ausserhalb des Ratsaals generierten Aufmerksamkeit, die in keinem Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Einfluss unter der Bundeshauskuppel stehen.
Übrigens: Weder Promi-Politiker noch ihr aus Sicht der Parteien zwiespältiger Nutzen sind ein neues Phänomen. So zog etwa 1967 der bekannte Volksschauspieler Alfred Rasser (HD Läppli) für den Landesring der Unabhängigen (LdU) in den Nationalrat ein, wo er acht Jahre blieb. Nur eine Legislatur, von 1991 bis 1995, sass der Zürcher Obdachlosenpfarrer Ernst Sieber für die EVP im Nationalrat.
Rasser blieb im kollektiven Gedächtnis für seine Leistungen auf Leinwand und Bühne in Erinnerung, Sieber für seinen Einsatz für die Menschen am Rand der Gesellschaft. Als Politiker erinnert man sich kaum an sie. (aargauerzeitung.ch)
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