Am Sonntag ist Zahltag. So bezeichnet der Volksmund bekanntlich den Wahltag. Welche Partei aber muss blechen, und welche kann abkassieren? Die Umfragen liefern Anhaltspunkte. Genauer wissen wollte es der Politologe und Historiker Claude Longchamp. Er hat zum zweiten Mal nach 2015 ein Combining-Modell erstellt, eine Kombination aus mehreren Prognoseverfahren.
Berücksichtigt hat der Gründer des Forschungsinstituts GFS Bern alle kantonalen Wahlen der letzten vier Jahre, die neuesten Wahlumfragen (SRG-Wahlbarometer, Tamedia-Umfrage und Gallup-Umfrage von Radio Top) sowie eine Wahlbörse. 2015 hatte sich das Combining bewährt: Mit einer mittleren Abweichung von 0,37 Prozent pro Partei war es genauer als alle Umfragen.
«Ich habe mich selbst geschlagen», sagte Longchamp am Dienstag am «Lunchtalk» von Polito, dem Fachverein der Studierenden am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich (IPZ). Damit spielte er auf das vor vier Jahren noch vom GFS erstellte Wahlbarometer an. Diese Trefferquote ist in der Tat hoch, trotz der im Vergleich etwa mit den USA knappen Datenlage.
Das aktuelle Kombinations-Modell bringt keine aufregenden Erkenntnisse: Die SVP wird am Sonntag die grosse Verliererin sein, während Grüne und Grünliberale deutlich zulegen. Freuen dürften sich auch FDP und CVP. Die Freisinnigen, die im Wahlbarometer von letzter Woche Federn lassen mussten, bleiben im Combining wie die SP stabil.
Die CVP verliert zwar, bleibt aber über der psychologisch wichtigen Marke von 10 Prozent Wähleranteil. Vor allem aber liegt sie vor den Grünen, die im Combining knapp unter der 10-Prozent-Marke landen. Bleibt es dabei, erhalten mögliche Spekulationen über einen «grünen» Bundesratssitz – auch und gerade auf Kosten der FDP – einen Dämpfer.
Trotz relativ genauer Prognosen lässt sich die Sitzverteilung im Nationalrat schwer einschätzen. Dafür sind Listen- und Unterlistenverbindungen sowie die Panaschierstimmen verantwortlich. Dies erzeuge ein «riesiges Tohuwabohu», so Longchamp. Entsprechend zurückhaltend gab er sich am Dienstag bei der Frage, wie sich im neuen Nationalrat die Sitze verteilen werden.
Ein Rennen hob er hervor: In Basel-Stadt wackelt der Sitz der Grünen Sibel Arslan gewaltig. Sie wurde 2015 nur ganz knapp gewählt, und nun hat die Linkspartei Basta, der Arslan auf kantonaler Ebene angehört, der SP-Ständeratskandidatin Eva Herzog die Unterstützung verweigert. Was im linken Lager für böses Blut sorgt. Longchamp machte klar, dass er am Sonntag nicht in Arslans Haut stecken möchte.
Für die kleine Kammer, die mit zwei Ausnahmen (Jura und Neuenburg) im Majorz gewählt wird, sind Vorhersagen einfacher. Claude Longchamp hat drei Kriterien formuliert: Bisherige werden zu 92 Prozent wiedergewählt. Bei einem Rücktritt sind Kandidierende derselben Partei im Vorteil. Und um einer Partei einen Sitz abzujagen, braucht es Herausforderer mit starkem Profil.
Der St.Galler SP-Ständerat Paul Rechsteiner, der als gefährdet gilt, darf deshalb zuversichtlich sein. Ohnehin geht Longchamp im Ständerat, dessen Zusammensetzung wohl erst Ende November definitiv feststeht, von stabilen Verhältnissen aus. Er werde weiterhin über jene Mitte-Links-Mehrheit verfügen, die in der zu Ende gehenden Legislatur wiederholt Akzente gesetzt hat.
Das interessanteste Rennen verortet der Berner Politologe nicht im Aargau, wo beide Sitze frei werden, sondern in Baselland. Wie im Stadtkanton bahne sich ein Zerwürfnis im linksgrünen Lager um den einzigen Sitz an. Denn gegen FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger als bürgerliche «Einheitskandidatin» treten SP-Nationalrat Eric Nussbaumer und die Grüne Maya Graf an.
Ein zweiter Wahlgang ist sicher. Nussbaumer hat seinen Rückzug angekündigt für den Fall, dass er am Sonntag hinter Graf liegen sollte. Ob die grüne Nationalrätin im umgekehrten Fall gleich handeln wird, ist hingegen unsicher. Die Baselbieter Grünen wollen sich bislang nicht festlegen. Das Potenzial für Zoff ist vorhanden, mit Schneeberger als womöglich lachender Dritten.
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— Wahljahr 2019 (@wahlforschung0) October 8, 2019
Mehr Wählende als Nicht-Wählende? Jedenfalls in Basel und Bern gut möglich!@cedricwermuth @gfsbern @Blickch https://t.co/b8X430tA1U pic.twitter.com/YQbn5bY9gX
Allgemein wird damit gerechnet, dass Frauen- und Klimastreik sich auf die Wahlen auswirken werden. Claude Longchamp sieht es ähnlich: «Es werden mehr Junge und weniger Rentner an den Wahlen teilnehmen», sagte er und bezog sich vor allem auf die Ergebnisse der Zürcher Wahlen im April. Dabei war der grösste Rückgang bei den ganz alten Männern verzeichnet worden.
Aus der SVP, die auf solche Stimmen angewiesen ist, sind defätistische Töne zu vernehmen. Man rechnet mit Verlusten von drei Prozent und mehr. Darin mag Zweckpessimismus enthalten sein – alarmierende Prognosen werden gerne zur Mobilisierung verwendet. Longchamp aber ist sich sicher: Im National- und im Ständerat wird es eine Mitte-Links-Mehrheit geben.
Nachtrag: Claude Longchamp hat uns am Mittwoch eine nochmals aktualisierte Combining-Grafik zugestellt. Dabei verliert die BDP statt 1,1 «nur» 1,0 Prozent.
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