Schweiz
Analyse

Wahlen 2019: Den Grünen könnte es ergehen wie der SVP vor vier Jahren

Die Gruenen posieren fuer eine Drohne mit dem Schriftzug "Unser Klima Deine Wahl - Notre Climat votre Voix", an der Delegiertenversammlung der Gruene Schweiz, am Samstag, 31. August 2019, in ...
Aktion der Grünen im August an der Delegiertenversammlung in Rapperswil.Bild: KEYSTONE
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Den Grün-Parteien könnte es ergehen wie der SVP vor vier Jahren

Grüne und Grünliberale dürften bei den Wahlen in einer Woche deutlich zulegen. Vor Klima-Euphorie sei trotzdem gewarnt. Die SVP triumphierte vor vier Jahren und stürzte bald darauf ab.
13.10.2019, 10:1515.10.2019, 15:35
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Florian stammt aus dem Vorarlberg. Er arbeitet seit einigen Wochen bei uns. Kürzlich unterhielten wir uns über die eidgenössischen Wahlen vom kommenden Sonntag. Obwohl in einem grenznahen Gebiet aufgewachsen, war Florian ziemlich erstaunt, als ich ihm erzählte, nach den Wahlen werde erst einmal nichts passieren. Aus seiner Heimat ist er sich anderes gewohnt.

In Österreich muss Wahlsieger Sebastian Kurz entscheiden, mit wem er eine Regierung bilden will. Er hat diverse Optionen, es dürfte ein langwieriger und spannungsgeladener Prozess werden. Bei uns hingegen stellt sich die Regierungsfrage nicht. Ein Rücktritt aus dem Bundesrat ist nicht in Sicht, die Gesamterneuerungswahl im Dezember wird an der Parteienkonstellation nichts ändern.

Die Parteipraesidenten der SVP Toni Brunner, links, und der FDP, Philipp Mueller, verfolgen die Resultate vor der Elefantenrunde des Schweizer Fernsehens in der Wandelhalle des Nationalrats im Bundesh ...
SVP-Präsident Toni Brunner in der Elefantenrunde am Wahlsonntag 2015.Bild: KEYSTONE

Vielleicht werden die Grünen ein wenig mit den Muskeln spielen. Sie dürften an der bürgerlichen Phalanx abprallen. Bundesratswahlen sind ohnehin überbewertet. Was nicht heisst, dass die personelle Zusammensetzung der Landesregierung unbedeutend wäre. Aber über die grossen politischen Fragen entscheiden nicht Bundesrat und Parlament, sondern das Stimmvolk.

Durchsetzungsinitiative als Knackpunkt

Deshalb war das wichtigste Ereignis vor vier Jahren nicht der Triumph der SVP mit fast 30 Prozent Wähleranteil, und auch nicht die Rückeroberung ihres zweiten Sitzes im Bundesrat mit Guy Parmelin. Sondern der erste Abstimmungstermin der Legislatur am 28. Februar 2016, als die SVP mit ihrer Durchsetzungsinitiative ungebremst auf den nächsten grossen Sieg zuzusteuern schien.

Wer weiss, welche Dynamik in diesem Fall entstanden wäre. Spekulationen sind müssig, denn was damals geschah, wirkt auch mit fast vier Jahren Abstand erstaunlich bis surreal. Die «Süddeutsche Zeitung» brachte es auf den Punkt: Der 28. Februar 2016 wurde zu jenem Tag, «an dem die Angst vor den Rechtspopulisten erstmals grösser war als die Angst vor den Ausländern».

Das Scheitern ihrer «unschlagbaren» Durchsetzungsinitiative warf die SVP aus der Bahn. Die grosse Wahlsiegerin brachte kaum etwas auf die Reihe. Im Parlament war sie oft isoliert. Bei wichtigen Themen wie der AHV-Steuervorlage fuhr sie einen Slalomkurs und alle Abstimmungen zu ihren Kernthemen gingen verloren. Der Rechtsrutsch im Parlament geriet zum Flop.

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So sieht es aus, wenn gegen 100'000 fürs Klima demonstrieren
Gegen 100'000 Menschen strömten laut Organisatoren am Samstag nach Bern, um vor den Wahlen für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.
quelle: jan hostettler / jan hostettler
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Der Blindflug der SVP muss allen zu denken geben, die sich vom absehbaren Links- oder vielmehr Grünrutsch Grosstaten etwa in der Klimapolitik erhoffen. Die nationale Klimademo mit je nach Lesart 60'000 bis 100'000 Teilnehmenden war der eindrückliche Höhepunkt eines bewegten Jahres. Die beiden Grün-Parteien werden in einer Woche zweifellos zulegen.

Achtung Stimmungsfalle!

Zu viel Zuversicht ist trotzdem fehl am Platz. Der Politgeograf Michael Hermann warnte in seiner «Tages Anzeiger»-Kolumne vor der «Stimmungsfalle» und der damit verbundenen Absturzgefahr. Konkret verwies er auf den «Flüchtlingssommer» vor vier Jahren und die «Refugees welcome»-Euphorie. Manche glaubten allen Ernstes, sie werde der SVP bei den Wahlen schaden.

Ich konnte mit dieser Befindlichkeit nichts anfangen. Mir war bewusst, dass ausserhalb dieser Multikulti-Filterblase eine Schweiz existierte, der die Bilder des Flüchtlingstrecks auf der Balkanroute Angst einjagten. Sie verhalfen der SVP zum Wahlsieg. Wäre es bei uns zu ähnlichen Szenen wie in Deutschland gekommen, hätte sie die 30-Prozent-Marke wohl locker geknackt.

Inhaltsleerer Wahlkampf

Das jüngste SRG-Wahlbarometer liefert Hinweise, dass die Klimadebatte einen ähnlichen Backlash auslösen könnte, wenn auch nicht im damaligen Ausmass. Die SVP könnte Stimmen von bürgerlichen Protestwählern gegen den «Klimahype» bekommen. Es wäre ein Hohn, wenn sie nach einer derart desaströsen Legislatur noch profitieren könnte. Aber es ist nicht undenkbar.

Rücktritte aus dem Ständerat

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Rücktritte aus dem Ständerat
Karin Keller-Sutter (FDP, SG): Die Ersatzwahl für den Sitz der neuen Bundesrätin findet am 10. März statt (ein allfälliger zweiter Wahlgang folgt am 19. Mai). Favorit ist CVP-Regierungsrat Benedikt Würth.
quelle: keystone / peter klaunzer
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Dazu beitragen könnte auch der «inhaltsleere Wahlkampf», den CVP-Präsident Gerhard Pfister in seinem Sessionsbericht in Cham diagnostiziert hat. Tatsächlich wurde bestürzend wenig über konkrete Inhalte geredet. Selbst die Klimadebatte verlief oberflächlich. Die Kampagnen der Parteien erschöpften sich weitgehend in Schlagworten und Sauglattismen.

Rechtsrutsch im Ständerat?

Dabei steht die Schweiz vor grossen Herausforderungen, nicht nur beim Klima. In Altersvorsorge, Gesundheitswesen und Europapolitik sind in den nächsten vier Jahren wichtige Weichenstellungen angesagt. Im Wahlkampf hörte man kaum etwas dazu. Praktisch inexistent war die Digitalisierung und die mit ihr verbundenen Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Lösungsfindung dürfte nicht einfach werden, denn während sich im Nationalrat ein Linksrutsch abzeichnet, könnte es im Ständerat, der in den letzten vier Jahren zum Taktgeber wurde, zu einem gegenteiligen Effekt kommen. Die SP wird Mühe haben, ihre Rekordzahl von zwölf Sitzen zu verteidigen, und für die Grünen werden die Bäume erst recht nicht in den Himmel wachsen.

Absturzgefahr beim CO2-Gesetz

Das Parlament ist in unserer (halb-)direkten Demokratie keine unwichtige Institution, im Gegenteil. Aber am Ende entscheidet das Volk. Was vor vier Jahren die Durchsetzungsinitiative war, könnte in der neuen Legislatur das CO2-Gesetz werden. Obwohl der Ständerat in der Herbstsession das Debakel im Nationalrat ausbügeln konnte, ist die Absturzgefahr keineswegs gebannt.

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Das CO2-Gesetz könnte zur DSI der Grünen werden.Bild: KEYSTONE

Die Befürworter fürchten bereits die nächste Runde im Nationalrat im kommenden Frühjahr. Die Wirtschaftsverbände, die marktwirtschaftliche Instrumente nur befürworten, wenn sie nichts kosten, dürften aus ihrer Deckung hervorkommen. Weil die CVP eine Belastung der Randregionen ablehnt, könnte die durchaus ambitionierte Vorgabe des Ständerats verwässert werden.

Am Ende entscheidet das Portemonnaie

Eine absehbare Volksabstimmung, die kaum vor 2021 stattfinden dürfte, wird ebenfalls kein Spaziergang. Warnsignale gibt es. In mehreren Kantonen, darunter Bern und Solothurn, ist die Umsetzung der Energiestrategie 2050 abgelehnt worden. Die Klimadebatte mag die Sensibilität für das Thema erhöht haben, aber am Ende entscheidet meistens das Portemonnaie.

Nach den Wahlen am kommenden Sonntag wird sich fürs Erste wenig ändern. Wenn sich bei den grossen Themen aber wirklich etwas bewegen soll, muss die Bereitschaft zu konstruktiver Politik und Kompromissen wiederbelebt werden, die in den letzten Jahren zu oft dem Drang zur Profilierung unterlag. Mit unsrer Stimmgabe können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

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91 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ökonometriker
13.10.2019 12:07registriert Januar 2017
Entscheidend dürfte am Ende auch sein, wen die Klimapolitik belastet. Hier ist extrem viel politisches Fingerspitzengefühl gefragt. Gleichzeitig gilt es zu vermeiden, dass man einen Papiertiger verabschiedet. Die Versuchung ist gross, die Unternehmen zu schonen, dem Fussvolk ein paar Franken Abgaben aufzudrücken und dies dann als Klimapolitik zu bezeichnen. Beispiel: Flugticketabgaben. Das Klima rettet man so am Ende nicht.
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Christian Fluri
13.10.2019 11:47registriert September 2018
Mein Wunsch als alter Sack an die Jungen. Geht wählen, wählt eure Zukunft
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Walser
13.10.2019 13:27registriert Februar 2018
Die Klimajugend hat einen Umwelt-Hype ausgelöst. Zumindest in den westlichen Staaten. Finde ich gut. Sie und die Grünen allgemein, sind kapitalismuskritisch. Das ist ihr Problem. Sie werden darum kläglich scheitern. Der normale Bürger wird wie immer, zuerst seinen Wohlstand sichern und erst dann die Welt retten wollen. Die Grünen können diesen Spagat nicht anbieten.
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