Die Idee ist schlicht, das Ergebnis komplex: Gabriel Hill hat Flüchtlinge ins Visier seiner Kamera genommen, um sie mit ihrem wichtigsten Gegenstand in Szene zu setzen. Der Fotograf aus Basel nannte seine Serie «ImPortraits» – und machte nicht nur bei seinen Zuschauern grossen Eindruck, sondern bewegte auch Presse und Promis.
Nun liefert Hill nach – und macht nun quasi Schweizer zu Flüchtlingen. Die hypothetische Fragestellung: Was würdest du mitnehmen, wenn du plötzlich das Land verlassen müsstest? watson hat mit dem sozial engagierten Foto-Profi über das Shooting und die Reaktionen gesprochen.
Herr Hill, was für Reaktionen gab es auf den ersten Teil der «ImPortraits»?
Gabriel Hill: Die Portraits wurden in rund 50 Ländern publiziert. Spannend zu sehen war, wie die Medien die Serie aufnahmen. In Indien wurden meine Portraits mit sehr dramatischer Musik unterlegt und mit typischen Bildern von Flüchtlingscamps ergänzt. Dagegen konnte ich leider nichts machen. Sobald etwas viral geht, verliert man die Kontrolle.
Es gab aber gewiss auch positivere Resonanzen?
Ich habe weltweit sehr viele Interviews gegeben. Im Radio France Culture wurde darüber geredet und TeleBasel hat mich eingeladen. Das «Who is Who»-Magazin zählt mich inzwischen zu den 200 prominentesten Baslern: Bei der «Who is Who»-Release-Party wurde ich oft gefragt, ob ich gerade aus New York zurückgekommen sei, ob ich in L.A. wohne oder ob ich Ashton Kutcher denn persönlich kenne. Manchmal war das Ganze schon etwas absurd.
Fast schon ein kleiner Hype ...
Der hatte aber auch Vorteile. An der Release-Party durfte ich ein kleines Portrait-Studio aufbauen und bekam so sehr spannende Menschen vor die Kamera. Auch sonst hat es mir viele Türen geöffnet. Wenn ich heute ein persönliches Projekt umsetzen möchte, ist die Chance, dass jemand mitmacht, grösser als früher.
Wie haben die Menschen reagiert?
«Metro News», die grösste Gratiszeitung der Welt, druckte die Serie in vielen Ländern und immer wieder habe ich Mails von Menschen bekommen, die mir sagten, wie sehr sie die Fotos bewegt haben. Viele haben selbst von ihrer Flucht erzählt.
Das Thema bewegt die Leute ...
In Artikel-Kommentaren oder in Facebook-Posts tauchte immer wieder die Frage auf: Was würde ich mitnehmen, wenn man fliehen müsste? Ich selbst arbeite schon seit zwei Jahren an der «ImPortrait»-Serie – mittlerweile sind ja viele Fotografen auf das Thema aufgesprungen, und auch meine Idee vom wichtigsten Gegenstand der Migranten wurde mehrfach kopiert.
Ärgert Sie das?
Die Flüchtlingskrise beschäftigt mich wirklich und auch jetzt arbeite ich noch an diversen Projekten, die hauptsächlich sozialen Charakter haben. Der gesellschaftliche Aspekt ist für mich zentral. Eine weitere Portraitserie von mir beschäftigt sich beispielsweise mit den Menschen, die sich hinter den Kulissen für Menschenrechte einsetzen. Ich zeige dabei Mitglieder verschiedener, wohltätiger Organisationen wie Amnesty Students, Projekt Offener Hörsaal, Beraber, Basel hilft mit und andere. Gerade mache ich ein Projekt mit der Organisation Schwarzer Peter.
Sind Sie selbst auch in der Richtung aktiv?
Ich werde oft angefragt, ob ich Familienportraits oder Paarshootings mache und habe bislang regelmässig abgelehnt. Als ich vor Kurzem aber las, wie schwer es die Obdachlosen diesen Winter haben, hat mich das beschäftigt. Ich werde nun doch eine Zeit lang solche Shootings anbieten. Ein Teil des Erlöses bekommt der Verein Schwarzer Peter, der sich für Menschen auf der Strasse und andere Bedürftige einsetzt. Wer interessiert ist, kann sich sehr gerne melden.
Gab es auch negative Reaktionen?
Die meisten Leute waren von den Geschichten der Flüchtlinge sehr berührt, aber es gab auch jene, die sich darüber aufgeregt haben, wie gut die Portraitierten gekleidet waren. So nach dem Motto: «Die sehen ja gar nicht aus wie Flüchtlinge.»
Wann haben Sie sich entschieden, eine Fortsetzung zu machen?
Wie ich schon sagte: Die Frage «Was würde ich mitnehmen?» kam durch meine Ausstellung, durch die ganzen Artikel und die Interviews immer wieder auf. Es zeigte sich ziemlich schnell, dass die Vorstellung für uns in unseren sicheren Ländern eigentlich unvorstellbar ist: Wir können uns kaum in diese Situation hineinversetzen. Ich wollte weiterhin etwas zum Thema machen, um weiterhin auf die Problematik aufmerksam zu machen, aber dabei wieder einen unkonventionellen Weg gehen.
Indem Sie Schweizer als Flüchtlinge mit ihrem wichtigsten Hab und Gut zeigen ...
Im zweiten Teil sind Nicht-Flüchtlinge zu sehen: Es ist schon kontrovers, Menschen aus dem reichsten Land der Welt mit ihren Gegenständen zu zeigen, aber die Portraitierten sind hier nur Stellvertreter. Das Hauptthema sind nach wie vor die Flüchtlinge, nur ist dies auf den ersten Blick nicht ersichtlich.
Woran denken Herr und Frau Schweizer bei dem Stichwort?
Noch immer sind viele Menschen misstrauisch und sprechen von «Wirtschaftsflüchtlingen». Sicherlich gibt es auch solche, die nicht an Leib und Leben bedroht sind, und flüchten, weil sie kaum etwas zu essen haben. Aber jeder Mensch hat das Grundrecht auf Existenz: Wer von uns würde nicht alles Menschenmögliche tun, um seine Familie zu versorgen? Da sitzen wir nun in der Schweiz, dem reichsten Land der Welt, und regen uns über Menschen auf, die hierherkommen – es sei denn, ihr Leben ist bedroht. Dabei können wir uns nicht in sie hineinversetzen – und das will ich mit dieser Portraitserie zeigen.
Auf welche Objekte setzen die «Schweizer Flüchtlinge»?
Sich mit dem für sich wichtigsten Gegenstand für ein Portrait hinzusetzen, löst ganz viele Prozesse aus. Auf elementarster Ebene geht es darum, zu überlegen, was denn an sich der wichtigste Gegenstand wäre. Aber wie bewertet man, was wichtig ist? Ist es ein Geldwert oder doch ein sentimentaler? Ist es eher eine praktische Überlegung wie bei einem Reisepass wegen der Aufnahme oder ein rein emotionaler Entscheid wie die Querflöte, die Kraft in schweren Zeiten gibt?
Gab es von Ihrer Seite Einschränkungen?
Die Portraitierten hatten etwa eine Stunde, den Gegenstand auszuwählen und erfuhren erst an Ort und Stelle um was es geht. Die Vorgabe war: «Du hast so lange Zeit, bis ich meine analoge Kamera aufgebaut und eingestellt habe.» Um DEN wichtigsten Gegenstand wählen zu können, muss man sich aber zuerst mal bewusst werden, was man alles besitzt. Das ist gar nicht so leicht: Wir sind in einer Konsumgesellschaft aufgewachsen und können uns ja praktisch alles leisten. Nicht ob wir etwas brauchen, sondern ob wir etwas wollen, ist das Auswahlkriterium. Für die Portraitierten war es also auch ein Prozess, bei dem den Leuten klar wurde, was sie alles besitzen und in welchem Überfluss wir leben.
Wie sind Ihre Schweizer Modelle damit umgegangen?
Mit der Auswahl des Gegenstands waren alle etwas überfordert – bis auf die Kinder. Die haben sich gar nicht so viel Gedanken über die Hypothese dieser Frage gemacht und instinktiv ausgewählt. Andere kamen immer mal wieder mit einem Gegenstand zu mir und fragen, ob der in Ordnung sei. Wenn ich gesagt habe, dass ich mich da nicht einmische, gingen sie wieder von dannen und suchten etwas Neues. Oder aber sie fragten beim Shooting, wo die Bilder zu sehen sein würden. Als sie hörten, sie könnten auch in der Presse zu sehen sein, gingen die Leute wieder etwas anderes suchen. Die Aussenwirkung des Gegenstands war also auch ein zentraler Punkt.
Verraten Sie uns noch ein paar technische Details der neuen Portraits?
Sie wurden mit einer analogen 8×10-Grossformatkamera auf Polaroid Film belichtet. Die analoge Grossformatfotografie ist sehr aufwändig, kostspielig und langsam. Für den Aufbau der Ausrüstung, das Einstellen der Kamera und des Lichts sowie der Wahl des Ortes vergingen im Schnitt etwa zwei Stunden. Für ein einziges Bild! Mir war dabei wichtig, immer nur einen Film mitzunehmen.
Warum das?
Damit es beim ersten Versuch klappen musste: Das sollte die Portraitierten etwas unter Druck setzen, den Gegenstand klug auszuwählen. Der Nachteil: Zwei Leute haben die Veröffentlichung verweigert, da sie sich auf dem Foto nicht gefielen. Das mag eitel klingen, ist aber nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die «ImPortraits» auf der ganzen Welt publiziert wurden.
Ist ein dritter Teil der Serie bereits in Planung?
Ich führe sie fort und bin immer auf der Suche nach Freiwilligen aus Basel. Wer Lust hat, dabei zu sein, kann mir gerne mailen.
Gabriel Hill, danke für das Gespräch!
Gern geschehen, ich habe zu danken.