In der Rhetorik von Gastrosuisse war die höchsten Eskalationsstufen früh erreicht. Im April 2020 bezeichnete es Präsident Casimir Platzer als «Frechheit», als der Bundesrat an einer Pressekonferenz nichts sagte zur Wiederöffnung seiner Branche. «Ich würde eine sehr schlechte Note geben.» Knapp ein Jahr später hat Platzer ungezählte Mal verbal zugeschlagen und tut es wieder, als ein Ende des Gastrolockdowns verweigert wird: «Der Bundesrat hat es offenbar auf uns abgesehen!»
Die Rhetorik ist schon so lange schrill, die Aufmerksamkeit so hoch, dass das Publikum ermüdet sein mag. Dennoch überraschen die Ausmasse der gastronomischen Jobkrise aufs Neue, wenn man sich die Zahlen anschaut und in Grafiken fasst. Negativrekorde werden reihenweise pulverisiert. Die Coronakrise mutiert zur grossen Krise der Gastronomie, die ja quasi das Gegenteil von sozialer Distanzierung ist.
Ende 2020 gab es in der Gastronomie volle 17 Prozent weniger Stellen als noch ein Jahr zuvor. In einer wichtigen Branche, die vor der Krise noch 190'000 Arbeitsplätze hatte, entspricht dies dem Verlust von 33'000 Arbeitsplätzen. Es ist ein Jobeinbruch in einem Ausmass und in einer Geschwindigkeit, wie er sich in den Statistiken kein zweites Mal findet.
Das Bundesamt für Statistik führt eine Tabelle, die für jede Branche die Jobzahl auflistet, und zwar Quartal für Quartal. Diese Beschäftigungsstatistik geht dreissig Jahre zurück, bis ins Jahr 1991. Aus der Tabelle lässt sich für jedes Quartal errechnen, wie sich die Jobzahl über das zurückliegende Jahr entwickelt hat. Diese Übung lässt sich für jede Branche machen, jeweils über dreissig Jahre und 120 Quartale hinweg.
Für die Gastronomie zeigt sich sogleich, dass es eine derartige Jobvernichtung wie in der Coronakrise noch nicht gegeben hat. Der zweitschlimmste Einbruch findet sich 1997, in den letzten Zügen der schweizerischen Immobilienkrise der Neunzigerjahre.
Dessen Ausmasse nehmen sich jedoch gering aus im Vergleich zur Coronakrise. Ein dritter grosser Rückgang ist 2011 zu beobachten. Damals treffen die Gastronomie die Spätfolgen der Finanzkrise: 2009 steckte die Schweiz in einer Rezession, danach schmerzt der stetige Wertverlust des Euros. Doch diese früheren Gastrokrisen kosten nicht halb so viele Jobs wie die aktuelle.
Nichts Vergleichbares zu Gastro-Jobkrise hat der Bankenplatz durchgemacht, der in der Finanzkrise zum Hauptschauplatz wurde. Damals findet der Stellenabbau jahrelang so gut wie gar nicht statt. Noch vier Jahre nach Krisenausbruch zählen die Banken nahezu gleich viele Stellen.
Erst als strengere Regeln greifen, fällt die Stellenzahl langsam. Und sie sinkt etwas schneller, nachdem die Nationalbank den Negativzins einführt. In dieser verdrehten Zinswelt verdienen die Banken weniger am Zinsdifferenzgeschäft.
Dennoch bleibt der Gegensatz deutlich, der sich zur Gastronomie in der Coronakrise zeigt. Nach der Finanzkrise gehen den Banken weniger Stellen verloren, alles geschieht viel langsamer. Der Verlust von 20'000 Stellen verteilt sich über ein ganzes Jahrzehnt. In der Gastronomie geht es schnell und krachend: in einem Jahr sind 33'000 Jobs weg. Die Gastronomie ist jobmässig in der Coronakrise das, was die Banken in der Finanzkrise waren: Hauptschauplatz des Geschehens.
Dieser Gegensatz bleibt nicht unbemerkt. In der Gastronomie wird er vor allem so erklärt: der Staat habe nicht gleich entschlossen geholfen. Auf Anfrage sagt ein Sprecher des Branchenverbands Gastrosuisse, die UBS sei mit Dutzenden von Milliarden Franken gerettet worden, wobei die Grossbank selbstverschuldet in die Krise geraten sei.
Nun seien Hotellerie und Gastronomie unverschuldet in Schieflage. Doch würden Bundesrat, Parlament und viele Kantone nur sehr zaghaft handeln. Er sagt:
Die grosse Gastrojob-Krise lässt sich auch damit vergleichen, wie es anderen Branchen in der Coronakrise ergeht. Auch in dieser Betrachtung findet sich nichts Vergleichbares zur Gastronomie. Sie verliert den höchsten Anteil an Stellen und auch in absoluten Zahlen am meisten.
Mit grossem Abstand findet sich der zweitgrösste Einbruch in der Hotellerie. Es folgt die Vermittlung von Temporärstellen. Dem gegenüber stehen Zugewinne bei Post- oder Kurierdiensten. Solche Dienste bringen wieder zusammen, was die Pandemie auseinandergerissen hat.
Der Blick in ausländische Statistiken zeigt, dass die dortige Gastronomie ähnlich triste Bilder abgibt. In Österreich gehen diesen Zahlen zufolge gar noch mehr Stellen verloren als in der Schweiz. In Italien oder Deutschland scheinen die Verluste ähnliche Ausmasse zu haben. Was rund um die Schweiz passiert, dürfte seine Entsprechung in den meisten Ländern haben. Inmitten der Pandemie spielt sich global eine Krise der Gastronomie ab.
Schliesslich kann man nochmals in den Schweizer Zahlen zurückkehren. Findet sich irgendwo in der Beschäftigungsstatistik ein vergleichbarer Jobeinbruch, wie ihn die Gastronomie im Coronajahr erlebt hat? Man kann dafür in jeder Branche jedes einzelne Quartier durchgehen und das drei Jahrzehnte zurück.
Dann zeigt sich: Die Luftfahrt und die Vermittlung von Temporärstellen haben schon Jahre hinter sich, in denen ein grösserer Anteil ihrer Stellen verloren ging als nun in der grossen Gastrokrise. Doch in der Gastronomie arbeiten viel mehr Menschen. Und so bleibt ein Abbau von 33'000 Stellen in nur einem Jahr einzigartig.
gradusehrlich
Das ganze andere Gedöns von Zahlen, Positivitätsraten etc. kann ich nicht mehr hören...
du_bist_du
Dann sollte das ja alles kein Problem sein...
Ist nicht meine Meinung. Das bekam ich aber immer zu hören, auch hier (Kommentare).
Bruno Meier (1)
Aber wie wird hier immer geschrieben, wir haben genug Geld, wir können alles bezahlen ... man muss nur wollen ...