Schon vor der Beratung im Parlament sorgte die Revision des Versicherungsvertragsgesetzes für rote Köpfe. Es drohen massive Verschlechterungen für die Versicherten. Doch die Nationalratswahlen im Herbst könnten auch bei dieser Vorlage disziplinierend wirken.
Die Revision des über 100 Jahre alten Versicherungsvertragsgesetzes steht heute Donnerstag auf der Traktandenliste des Nationalrats. Ein erster Anlauf der Revision war 2013 gescheitert. Der bürgerlichen Mehrheit ging der Konsumentenschutz damals zu weit. Unter der Ägide von Finanzminister Ueli Maurer schwingt das Pendel in die andere Richtung aus. Aber anders als im ersten Anlauf handelt es sich nicht mehr um eine Totalrevision, sondern um punktuelle Änderungen.
Im Zentrum der Diskussion steht das Recht der Versicherungen, die Vertragsbedingungen einseitig zu ändern. Das ist zwar schon heute möglich, das Bundesgericht setzt aber enge Schranken. Mit der neuen Bestimmung könnten sich die Versicherungen grössere Freiheiten herausnehmen, die Versicherten hätten das Nachsehen.
Daran würde auch das vom Bundesrat vorgeschlagene Kündigungsrecht nichts ändern. Im wichtigen Bereich der Krankenzusatzversicherung zum Beispiel sind ältere Versicherte «gefangen», weil sie kaum mehr einen neuen Versicherer finden. Für sie ist eine Kündigung keine Option, sie müssten die von der Versicherung verordneten Verschlechterungen hinnehmen.
Eng: Die vorberatende Wirtschaftskommission hat die Bestimmung mit Stichentscheid des Präsidenten gutgeheissen. Die öffentlichen Reaktionen fielen harsch aus, in den Medien war von einem «Kniefall vor der Versicherungslobby» die Rede. Linke und Konsumentenschutzorganisationen drohen mit dem Referendum. Dieses Geschenk wollen ihnen die Bürgerlichen im Wahljahr nicht machen.
Wie schon beim Thema Krankenkassen-Franchisen in der Frühjahrssession zeichnet sich eine Kehrtwende ab: Der Tessiner FDP-Nationalrat Giovanni Merlini beantragt, in Sachen einseitige Vertragsänderung beim geltenden Recht zu bleiben. Seine Fraktion hat am Dienstag beschlossen, ihm zu folgen. Auch bei SVP und BDP gibt es offenbar Zweifel, sogar der Versicherungsverband distanziert sich inzwischen vom fraglichen Artikel.
Anpassungen sind auch bei anderen hoch umstrittenen Bestimmungen möglich. So will der Bundesrat ein ordentliches Kündigungsrecht nach drei Jahren Laufzeit einführen, um Knebelverträge zu verhindern. Im Schadenfall könnten sich Versicherungen dadurch aber aus der Verantwortung stehlen.
Merlini schlägt vor, dass bei Krankenzusatzversicherungen nur von den Versicherten gekündigt werden darf. Heute verzichteten die Versicherungen in der Regel ohnehin auf ihr Kündigungsrecht, begründet er seinen Antrag. Diese Praxis soll nun im Gesetz verankert werden.
Nun, zu reden geben dürfte auch das Recht der Versicherung, ihre Leistungen im Fall einer Krankheit oder eines Unfalls einzuschränken oder ganz einzustellen. Umstritten ist zudem die Umkehr der Beweislast bei versäumten Obliegenheiten, etwa einem nicht sofort gemeldeten Schaden. Gegen solche Verschlechterungen leisten SP und Grüne heftigen Widerstand. Sie möchten die Vorlage insgesamt an den Bundesrat zurückweisen, um zu Gunsten der Versicherten nachzubessern.
Die zentrale Verbesserung aus Konsumentensicht ist das Recht, einen Vertragsschluss innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Eine Minderheit verlangt, dass das nicht nur beim Abschluss, sondern auch bei wesentlichen Änderungen des Versicherungsvertrags gilt. Zudem müssen die Versicherer ihre Kunden künftig genau informieren, wie lange der Versicherungsschutz nach Auslaufen des Vertrags gilt. Eine Minderheit möchte eine gesetzliche Nachhaftung von 5 Jahren. Die Verjährungsfrist für Forderungen aus dem Versicherungsvertrag wird von 2 auf 5 Jahre verlängert. Die Vorlage erleichtert auch den elektronischen Geschäftsverkehr, indem neben der einfachen Schriftlichkeit ein anderer Nachweis durch Text erlaubt ist. (mlu/sda)