Zum Vorstellungsgespräch trat Gabrielle Rütti mit einer «offensichtlichen Kugel» an. Die Biometzgerei Ueli-Hof in Ebikon stellte die schwangere Frau gleichwohl für eine neu geschaffene Stelle im Marketing ein. Auf der Social-Media-Plattform Linkedin ernteten Rütti und der Ueli-Hof zahlreiche Glückwünsche. «Man hört sonst nur die negativen Erfahrungen. Es gibt ja auch Vorzeigebeispiele», lautete ein Kommentar.
Nicht alle Firmen strahlen beim Thema Mutterschaft als Leuchttürme der Gleichberechtigung. Dies offenbart eine vor zwei Jahren publizierte Befragung von fast 3000 Frauen im Auftrag des Bundes: Drei Prozent der Mütter werden nach dem Mutterschaftsurlaub entlassen, sechs kündigen von sich aus. Der Kündigungsschutz endet 16 Wochen nach der Geburt.
Die Universität Genf analysierte für das Eidgenössische Gleichstellungsbüro 190 kantonale Schlichtungsprotokolle und Gerichtsurteile. Das Fazit: Etwa ein Drittel aller Diskriminierungen hat mit der Schwangerschaft zu tun. Häufig finden sie unmittelbar nach der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub statt: «Meistens wird der Mutter gekündigt», halten die Studienautoren fest.
Nach dem Kind die Kündigung: Dieses Phänomen beschäftigt jetzt auch bürgerliche Politiker. «In der Schweiz kommt es täglich zu ungerechtfertigten Entlassungen nach Ablauf der Schutzfrist», sagt Marco Romano. Der Tessiner CVP-Nationalrat verlangt deshalb vom Bundesrat einen Bericht, in dem er mögliche Verbesserungsmassnahmen zu Gunsten der Mütter und ganz allgemein zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie analysieren soll. Ein Patentrezept könne er nicht aus dem Hut zaubern. «Ich hoffe aber, dass ein Bericht das Bewusstsein für die Problematik schärft und mögliche Lösungsansätze aufzeigt.» Es liege auch im Interesse der Wirtschaft, sich für den Wiedereinstieg von Müttern in die Berufswelt einzusetzen. «So können wir das inländische Potenzial an Arbeitskräften besser ausschöpfen.»
Romano versteht seinen Vorstoss nicht als linkes Anliegen. «Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie handelt es sich vielmehr um eine Generationenfrage», sagt der 37-jährige Vater eines Kindes. Jüngere Vorgesetzte seien offener für die Thematik.
Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsrecht beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, erblickt in Romanos Postulat eine Chance, den Zusammenhang zwischen einem reduzierten Pensum und der Auflösung der Arbeitsverhältnisse zu durchleuchten. Falls der Vorstoss angenommen werde, sollte sich der Bundesrat aber auch mit dem Wunsch nach flexiblen Arbeitsmöglichkeiten auseinandersetzen. Viele Frauen könnten wegen der fehlenden oder teuren Kinderbetreuung kein höheres Pensum leisten. Und «Mini-Pensen» seien oft ein Grund, dass die bisherigen Aufgaben nicht mehr weitergeführt werden könnten.
Ganz konkrete Forderungen kommen von linker Seite. Der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard will die Kündigungsschutzfrist nach der Geburt auf 32 Wochen verdoppeln. Seine parlamentarische Initiative ist hängig. In einer Motion ruft Reynard sodann nach schärferen Sanktionen bei missbräuchlichen Entlassungen. Derzeit werden Betroffene maximal mit sechs Monatslöhnen entschädigt – was gemäss Reynard nicht abschreckend genug wirkt. Der Bundesrat sieht jedoch derzeit keinen politischen Konsens, um die Sanktionen hochzuschrauben. Er räumt zwar Probleme im Zusammenhang mit der Schwangerschaft ein, relativiert aber das Ausmass. Gemäss der eingangs erwähnten Befragung seien 82 Prozent der Mütter nach Ankündigung der Schwangerschaft immer gut behandelt und unterstützt worden.
In den Rechtsberatungen der Gewerkschaften sei das Thema Stellenverlust wegen Mutterschaft jedoch allgegenwärtig, sagt Luca Cirigliano vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Giorgio Fonio, CVP-Kantonsrat und Mitglied der christlichsozialen Gewerkschaft des Kantons Tessins, beobachtet eine Zunahme derartiger Entlassungen – und spricht von einer «sozialen Schande». So habe etwa ein Industrieunternehmen einer Mutter gekündigt mit der Begründung, es stelle an ihrer Stelle lieber einen jungen Mann ein, bei dem das Unternehmen nicht mit häufigen Absenzen rechnen müsse. Missbrauch zu beweisen, sei allerdings sehr schwierig. Fonio verlangt mit einem Vorstoss, der Kanton Tessin solle den Kündigungsschutz nach Mutterschaft auf ein Jahr ausdehnen.
Missbräuchlichhkeit muss bekämpft werden. Aber vielleicht braucht es ein paar Kriterien mehr als nur die Mutterschaft, um zu beurteilen, wann eine Kündigung missbräuchlich ist?