Trotz der Corona-Baisse erneuern die SBB die Zugsflotte – und bauen das Angebot weiter aus. Die Bundesbahnen kaufen bei Stadler Rail 286 neue Regionalzüge vom Typ Flirt. Der 2-Milliarden-Order ist einer der grössten Aufträge in der Schweizer ÖV-Geschichte.
SBB-Chef Vincent Ducrot erklärt im Interview die Hintergründe des Mega-Deals – und äussert sich zu Problemen beim Fernverkehrs-Dosto:
Herr Ducrot, Sie haben den neuen Regionalzug von Stadler Rail bis ins letzte Detail studiert. Was gefällt Ihnen am besten?
Vincent Ducrot: Die neuen Züge bieten sehr viel Stauraum für Velos, Kinderwagen und Gepäck. Zudem verfügt nun jedes Abteil über Steckdosen. Weiter werden in der 2. Klasse wieder vier Sitze pro Reihe installiert, nicht mehr fünf wie in gewissen Zügen der aktuellen Generation.
Mit dem rundum erneuerten «Flirt» setzt man auf bewährte Züge und sieht von einer Neuentwicklung ab. Hat man die Lehren aus dem Debakel um den als «Schüttelzug» bekannten Fernverkehrs-Doppelstöcker von Bombardier gezogen?
Das sind zwei komplett verschiedene Beschaffungen. Als wir 2011 den neuen Doppelstöcker bei Bombardier bestellten, existierte kein anderer Zug, der unsere Anforderungen erfüllte. Darum hatten wir keine andere Wahl als eine Neuentwicklung zu kaufen. Die benötigten Regionalzüge hingegen existieren schon, darum setzen wir auf die bewährte Flirt-Plattform von Stadler Rail. Die Züge der ersten Generation verkehren seit Jahren zuverlässig bei den SBB.
Sie haben heute fast unbemerkt einen Paradigmenwechsel verkündet. Alle neuen Züge der SBB – das gilt im Regional- und Fernverkehr – werden nun bereits nach 25 statt wie bisher 40 Jahren verschrottet. Auch der FV Dosto. Warum?
Bislang haben wir nach 20 Jahren die Züge komplett überholt und dann noch 20 Jahre weiterbetrieben. Doch das Kosten/Nutzen-Verhältnis stimmt einfach nicht mehr für solche «Refit»-Programme. Denn die Technik in den Zügen entwickelt sich extrem schnell – nicht so rasant wie die Smartphones, aber viel schneller als früher. Es ist einfacher und wirtschaftlicher für uns, die Kompositionen nach 25 Jahren zu ersetzen. Die Kundinnen und Kunden erwarten heutzutage einfach moderne Züge. Wir wollen keine 40-jährigen Kompositionen mehr auf den Schienen.
Züge landen nach 25 Jahren auf dem Schrottplatz. Ist das nicht eine Ressourcenverschwendung?
Die Kompositionen sind so konzipiert, dass man sie recyclen kann. Sehr viele Materialien können weiterverwendet werden. Der SBB ist die Kreislaufwirtschaft sehr wichtig, das gilt auch für dieses Projekt.
Apropos Bombardier: Die Gewerkschaft des Zugpersonals fordert, dass SBB-Kundenbegleiter nur noch zwei Stunden am Stück im FV Dosto arbeiten sollen. Dies, weil der Zug nach wie vor stark schüttle und deswegen die Knie schmerzten. Was sagen Sie dazu?
Die Gesundheit unseres Personals liegt uns natürlich sehr am Herzen, wir werden Gespräche mit den Personalvertretern führen. Vorher kann ich dazu nichts sagen. Der FV Dosto befindet sich nach wie vor in der Einführungsphase, es sind noch nicht alle Fahrzeuge abgeliefert. Wir haben aber gerade in den letzten zwei Jahren grosse Fortschritte gemacht, der Zug ist viel stabiler geworden. Schon bald wird eine neue Software implementiert, die die Laufruhe des FV Dosto weiter verbessern soll.
Gerade in den letzten Tagen kämpften die SBB mit zahlreichen Ausfällen beim FV Dosto. Zugbegleiterinnen sprechen von einer «desolaten» Situation. Wie ist die Lage tatsächlich?
Klar, alle Augen sind auf diesen Zug gerichtet. Ich muss gestehen, dass wir auch schwierige Tage mit mehr Pannen haben. Ein Team von uns untersucht zusammen mit dem Hersteller jede einzelne Störung der FV Dosto. Diese betreffen vor allem die Leittechnik der elektronischen Steuerungssysteme. Diese Berichte landen jeden Tag bei mir auf dem Tisch. Fakt ist: Die Distanz zwischen zwei Zwischenfällen (MDBI) liegt beim FV Dosto bei über 12'000 Kilometern. Das ist bei weitem besser als der Durchschnitt der SBB-Flotte.
Nach 25 Jahren sind sie such nicht mehr neu…