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Credit Suisse: Wie Gerüchte die Grossbank ins Tief stürzten

Credit Suisse: Wie Gerüchte und Verschwörungstheorien die Grossbank ins Tief stürzten

Statt Swissness nur «Swiss mess», also Schweizer Chaos: Die Credit Suisse braucht mitten in einem Börsenabschwung neues Geld für einen Umbau – und wird so zum globalen Symbol.
12.10.2022, 08:11
Niklaus Vontobel / ch media
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Die Credit Suisse geht im Moment durch turbulente Zeiten.Bild: keystone

Am Morgen des 3. Oktobers stürzte der Börsenkurs der Credit Suisse ab, und zwar um über 10 Prozent zum Vortag. Die Aktie fing sich erst auf einem Allzeittief von 3.52 Franken, ehe sie sich etwas erholte. An diesem Morgen litt die Aktie nicht länger allein unter der jüngsten selbst verschuldeten Krise der Grossbank. Sie wurde hinuntergezogen von der weltweiten Furcht vor einem neuen Börsencrash sowie von Gerüchten, Geschwätz und Verschwörungstheorien auf den sozialen Medien.

Der Reihe nach. Die CS muss ihren neuesten Neuanfang inmitten einer Zeitenwende bewältigen – oder zumindest glauben viele, dass es eine solche ist. Die Zinsen steigen, die Aktienkurse fallen, und alles hält Ausschau, wo die ersten Risse im Finanzsystem auftauchen. Ob zu Recht oder zu Unrecht – die CS gilt als eine der wahrscheinlichsten Kandidatinnen.

Es ist eine Langzeitfolge ihrer Skandale und ihrer jüngsten Milliardenverluste, die ihr ehemaliger CEO Oswald Grübel so kommentierte: «schlicht dumm». So wurde der Kurs über Wochen immer tiefer hinabgetrieben.

Das Ende war wieder einmal nah

Auf einen solchen Börsenabsturz einer systemrelevanten Bank lauern sie schon lang, in ihren Blasen von Gleichgesinnten: Untergangspropheten, Verschwörungstheoretiker, fanatische Anhänger von Kryptowährungen mit ihren Laseraugen. Überall sehen sie die ersten Anzeichen der nächsten Finanzkrise, des Kollaps der traditionellen Banken und damit des Beweises der Überlegenheit der Kryptowährungen. Der CS-Börsenabsturz war ein Signal: Die Zeit war gekommen.

Alles, was es noch brauchte, war ein weiterer Fehltritt der Credit Suisse – oder bloss irgendeine Winzigkeit, die ihr als solcher ausgelegt werden konnte. Und am Freitag, den 30. September, lieferte CS-Chef Ulrich Körner diese Winzigkeit, die sich auf den sozialen Medien vervielfältigen sollte und schliesslich am Montagmorgen des 3. Oktober die Aktie einbrechen liess. Dazwischen wurde alles noch beschleunigt durch einen Tweet vom anderen Ende der Welt.

Absturz der CS-Aktie

Eine Grafik, die den Verlauf der CS-Aktie aufzeigt
Kursentwicklung am Freitag, 30. September 2022 und Montag, 3. Oktober 2022grafik: az, quelle: six group

Ulrich Körner hatte die Mitarbeitenden beruhigen und die Moral heben wollen. Zu diesem Zweck versandte er ein Memo an alle. Doch seine Worte waren unglücklich gewählt oder vielleicht nicht glücklich genug. Sie beruhigten nicht, sie verbreiteten Panik. Wie ein angesehener Experte auf dem Nachrichtendienst Twitter meinte, war es wie im Fussball: Wenn der Manager erst einmal dem Coach sein Vertrauen aussprechen muss, wissen alle: Der Coach fliegt morgen raus.

Oder anders gesagt, schuf Körner unbeabsichtigt die perfekte Kurzbotschaft, welche die Untergangspropheten als Meme weiterverbreiten können. Seine Worte klangen wie die berühmten letzten Worte der Investmentbank Lehman Brothers, ehe sie unterging und die Finanzkrise ihren Lauf nahm. Es sei ein «kritischer Moment» für die Bank, sagt Körner – und sie waren in Aufruhr, die Untergangspropheten auf dem Kurznachrichtendienst Twitter oder im berüchtigten Chatroom Wallstreetbets:

«Der Aktienkurs ist im Keller. Die Märkte sagen uns, dass etwas nicht stimmt, und jetzt sagt der CEO auch noch, es sei ein ‹kritischer Moment›.»

Eine «starke Position in Bezug auf Kapital und Liquidität» habe die CS, schrieb Körner. Diese Aussage wurde auf den sozialen Medien sogleich verglichen mit einem Statement von Lehman, abgegeben kurz vor der Insolvenz, wonach es bald zum Abschluss einer Kapitalerhöhung komme. Ebenfalls 2008, kurz vor dem Konkurs, wollte der CEO der Bank Bear Stearns beruhigen mit der Behauptung, man habe viel Liquidität.

«Hört sich an wie das, was Lehman vor dem Konkurs zu sagen pflegte», schreibt stellvertretend für zig solcher Beiträge ein amerikanischer Finanz-Twitterer mit 350'000 Followern und finster fragt er: «Lehman 2008 = Credit Suisse 2022?»

Und so geht es weiter und weiter. «Die Credit Suisse geht wahrscheinlich bankrott ... Ein Moment wie 2008 kommt bald.» Auf der Diskussionsplattform Reddit im berüchtigten Forum «Wallstreetbets» sind sie ohnehin völlig enthemmt: Dort ist es längst zur Gewissheit geworden, dass die CS bankrottgeht.

Wallstreetbets wurde Anfang 2021 global bekannt, als seine Teilnehmenden die Aktie des Videospielhändlers Gamestop in irrationale Höhe trieben – aus purem Jux oder um Gleichgültigkeit gegenüber Verlusten zur Schau zu stellen.

Bild
bild: reddit (screenshot)

Und schliesslich wird herumgealbert, die Zeichen seien überall, wirklich überall. «Der Nachname des Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse lautet Lehmann». Da könne man gleich noch einen Finanzchef namens Ponzi haben, einen berühmten amerikanischen Finanzbetrüger.

Platsch! Mitten in den ohnehin überkochenden Gerüchtetopf flog noch der Tweet vom anderen Ende der Welt. In Australien hatte der Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders einen üblen Tweet abgesetzt, am gleichen Tag wie Körner sein Memo. Der Journalist wollte von «glaubwürdigen Quellen» erfahren haben, dass eine grosse Investmentbank «am Abgrund» stehe.

Am Nachmittag des Montags, an dem die CS-Aktie abstürzte, wurde der Tweet gelöscht; der Reporter vom Sender erinnert, dass es so etwas wie Richtlinien für soziale Medien gebe. Aber derlei Schadensbegrenzung wird von Verschwörungstheoretikern mit Leichtigkeit umgedeutet: Warnende Stimmen würden unterdrückt.

Alles andere als ein Leichtes ist hingegen für Körner, Gerüchte und Verschwörungstheorien zu kontern. Denn die Gemengelage ist tatsächlich kompliziert: Die CS hat nach gängiger Einschätzung von Experten genug Kapital – und braucht doch neues. Genug hat sie, um ihre bestehenden Geschäfte fortzuführen – neues braucht sie, um ihre Geschäfte umzubauen. Banker zu entlassen, ist teuer.

Die Gefahren lauern anderswo

Und anders als die Untergangspropheten treibt die Börse vor allem die Frage um, wie sich die Credit Suisse dieses neue Geld beschaffen wird. Und es sind nicht bösartige Gerüchtestreuer, sondern Analysten namhafter Banken, die glauben, die CS müsse sich neues Geld bei den Investoren erbitten, also via eine Kapitalerhöhung. Beim aktuellen Aktienkurs müsste sie dafür jedoch allzu viele neue Aktien unter die Leute bringen: Die bestehenden Aktionäre verlören viel von ihrem Eigentum an der Bank.

In der CS-Chefetage wissen sie das natürlich auch und wollen lieber Geschäftsteile verkaufen. Oder wie es die «Financial Times» plastisch ausdrückt: «Die CS wirbt um Partner, die einer ihrer Divisionen das Mark aussaugen.»

Ob sich Sauger finden, die auch genug zahlen – das bleibt offen, wie so vieles offen bleibt rund um die Credit Suisse. Und solange die Börsen wackeln und tendenziell nachgeben, wird ohnehin weiter gerätselt, wo die Milliardenverluste auftauchen. Die Banken waren in der Vergangenheit immer gute Kandidaten dafür, weshalb ihre Aktienkurse allgemein stark heruntergekommen sind – nicht nur jene der Credit Suisse, wenn auch ihre besonders stark.

Doch die Geschichte muss sich nicht immer wiederholen, erst recht nicht in allen Details. Wie das Magazin «Economist» schreibt:

«Obwohl mit der CS ein mittelgrosser Kreditgeber unter Druck steht, ist es unwahrscheinlich, dass die Banken zum grossen Problem werden – die Gefahren lauern anderswo.»

Eine Randnotiz ist, dass die Verschwörungstheorien immerhin amüsant sein können, wie dieses kleine Filmchen zeigt.

Und immer wieder herhalten muss Jim Cramer, Moderator der TV-Sendung «Mad Money». Cramer hatte 2008 einem Zuschauer davon abgeraten, sein Geld abzuziehen von der Investmentbank Bear Stearns, das sei «kindisch» – wenige Tage später war die Bank pleite und musste verkauft werden. (aargauerzeitung.ch)

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Die CS-Chefs
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Die CS-Chefs
Am Anfang war der Eisenbahn- und Gotthard-Pionier: Am 16. Juli 1856 nimmt die von Alfred Escher gegründete Schweizerische Kreditanstalt (SKA), Vorgängerin der heutigen Credit Suisse, ihre Geschäftstätigkeit auf. Der Politiker und Wirtschaftsführer leitete die SKA als erster Verwaltungsratspräsident von 1856-1877 und von 1880-1882.
quelle: alfred-escher-stiftung / alfred-escher-stiftung
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20 Kommentare
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In vino veritas
12.10.2022 09:24registriert August 2018
Ja, die böse Weltpresse. Schliesslich sind es die neidischen Journalisten aus dem Ausland, welche die CS in den Ruin gewirtschaftet haben. Genauso haben es die Amerikaner auf unser Geld abgesehen und verhängen deshalb Strafen gegen unsere Banken. Nicht etwa die Straftaten in den USA führen zu den regelmässigen Überweisung nach Amerika, nein es ist die ausländische Konkurrenz welche uns stolze Schweizer niedergingen möchte.

Wann werden wir endlich erwachsen und lösen unsere Probleme, anstatt die Schuld anderen Menschen in die Schuhe zu schieben?
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XKCD
12.10.2022 08:55registriert Mai 2020
Dieser Artikel enthält leider keine kritische Auseinandersetzung mit der CS - wieso braucht die Bank derart viel neues Geld? Welche Positionen müssen bedient werden?
Und WSB / GME als Jux zu bezeichnen, hat auch was schönfärberisches, wenn die naked Shorts dabei nicht erwähnt werden.
Fühlt sich extrem tendenziös an.
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Gauss
12.10.2022 11:01registriert Dezember 2020
Bildfolge der CS-Chefs schreibt zu Thiam: "Mit ihm hat sich die ehemalige Schweizerische Kreditanstalt zur internationalen Grossbank gemausert". WTF? Unter Thiam hat sich der Aktienkurs von 20 auf 5 CHF 'gemausert'. Thiam war die grösste Pfeiffe und hat die CS nach Dougan noch völlig an die Wand gefahren und gleichzeitig die grössten Boni kassiert für Gewinne aus Sondereffekten.
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