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Wirtschaft

Schweizer glauben an Eigenverantwortung – essen aber viel zu viel Zucker

Schweizer glauben an Eigenverantwortung – essen aber viel zu viel Zucker

Eine Mehrheit der Schweizer will den Zuckergehalt von Lebensmitteln nicht über eine Steuer senken, besagt eine neue Studie. Finanziert hat sie die Getränkelobby.
18.09.2025, 05:4718.09.2025, 05:47
Deborah Stoffel / ch media

27 Würfelzucker konsumiert jede Schweizerin und jeder Schweizer im Schnitt pro Tag. Das entspricht 100 Gramm reinem Zucker und dem Doppelten dessen, was die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Die Folgen für die öffentliche Gesundheit und ihre Finanzierung sind erheblich: Der Zuckerkonsum fördert Übergewicht, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Depressionen.

Sugar cubes lie on a conveyor belt, pictured on November 22, 2013, in the sugar factory in Aarberg, canton of Bern, Switzerland. The Zuckerfabriken Aarberg und Frauenfeld (ZAF, sugar factories in Aarb ...
In der Schweiz konsumieren wir durchschnittlich 27 Würfelzucker pro Kopf und Tag (100g), das ist mehr als doppelt soviel wie das empfohlene Maximum von 13.Bild: KEYSTONE

Nahezu alle Industriestaaten haben ein Zuckerproblem. Über 80 Länder haben deshalb Steuern auf zuckerhaltige Produkte eingeführt. Je höher der Zuckergehalt, desto höher die Abgabe. Damit konnten sie den Zuckeranteil in Lebensmitteln wie Süssgetränken senken. In Grossbritannien zum Beispiel hat sich infolge der Besteuerung ab 2018 der Zuckergehalt in Süssgetränken um 1,7 Gramm pro 100 Mililiter reduziert. Mexiko hat seine Steuer auf Süssgetränke erst diesen September verdoppelt. Keine solche Lenkungsabgabe auf nationaler Ebene kennt hingegen die USA, wo die Zuckerlobby die Einführung erfolgreich verhindert hat.

Erfolgreiches Lobbying der Lebensmittelindustrie

Und in der Schweiz? Auch hier gibt es keine Zuckersteuer. Und das entspricht durchaus dem Willen einer Mehrheit der Bevölkerung. Zu diesem Resultat kommt eine neue Studie des Forschungsinstituts GfS in Bern, die am Mittwoch vorgestellt wurde.

Demnach sehen zwar 91 Prozent der Befragten zugesetzten Zucker als Dickmacher und 90 Prozent wünschen sich, dass die Lebensmittelbranche aufhört, versteckten Zucker in Fertiggerichten zu verwenden. Gleichzeitig lehnen 72 Prozent eine Steuer auf zucker-, salz- und fetthaltige Lebensmittel ab.

Ein Grund für die Ablehnung ist laut der Studie, dass eine Zuckersteuer über Preisaufschläge insbesondere armutsbetroffene Personen und Familien belasten würde. Ausserdem sind 70 Prozent der Befragten überzeugt, dass sich Ernährungsgewohnheiten nicht mit Steuern ändern lassen. Das ist allerdings gar nicht der primäre Wirkmechanismus dieser Steuern: Sie fallen bei den Herstellern an. Sie und nicht die Konsumenten sollen zu einer Veränderung bewegt werden.

In Auftrag gegeben hat die Schweizer Studie mit dem Titel «Ernährung und Bewegung – Eigenverantwortung gewinnt an Bedeutung» die «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke». Die Lobbyorganisation der Getränkebranche wehrt sich seit rund zehn Jahren erfolgreich gegen staatliche Regulierung und propagiert Freiwilligkeit.

So hat die Schweizer Lebensmittelindustrie im Rahmen der sogenannten Erklärung von Mailand den Zuckeranteil in einer Reihe von Produkten gesenkt. 84 Prozent der in der Studie Befragten, begrüssen dieses gemeinsame Vorgehen von Staat und Wirtschaft.

Kritik vom Konsumentenschutz

Nicht allen reicht das: Einige Westschweizer Kantone wollten bereits auf eigene Faust eine Steuer einführen. Umgesetzt ist sie noch nirgends. Und die Stiftung für Konsumentenschutz schreibt auf Anfrage, die jährliche durchgeführte Studie sei «Teil eines intensiven Lobbyings gegen jegliche Bemühungen, die Ernährungsumgebung zu gestalten und gewisse rote Linien zu ziehen». Der Informationsgruppe Erfrischungsgetränke gehe es nur darum, mit Befragungen zu belegen, dass eine Zuckersteuer eine abwegige Idee sei, welche auch die Bevölkerung nicht mittrage.

Freiwillige Massnahmen hätten – etwa im Bereich der Werbung für Kinderprodukte – in 15 Jahren nicht gefruchtet, schreibt die Stiftung für Konsumentenschutz weiter. Die Lebensmittelindustrie konfrontiere die Konsumentinnen und Konsumenten mit schwer durchschaubaren Deklarationen sowie einem Marketing, das auf überzuckerte Lebensmittel fokussiert.

«Kinder und Jugendliche mit ihrer Vorliebe für süsse Produkte werden so gezielt zu einer ungesunden Ernährung hingeführt. Inzwischen sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig oder adipös.»

(aargauerzeitung.ch)

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101 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Düsenschleicher
18.09.2025 06:25registriert Februar 2022
Viel effektiver als eine Steuer wäre ein Grenzwert. Dann würde sofort weniger Zucker von der Industrie beigemischt. Nicht vergessen: die Zuckerindustrie bzw. der Anbau von Zuckerrüben wird subventioniert. Da könnte man auch ansetzen.
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TheCatWhoEatsTheDog
18.09.2025 06:20registriert Dezember 2022
Das ist halt Eigenverantwortung, wie sie die Bürgerlichen verstehen: jeder soll machen was er will, für die Schäden bezahlen sollen dann alle.
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Meinung_ohne_Ahnung
18.09.2025 06:45registriert Juni 2021
Die "Informationsgruppe Erfrischungsgetränke" - was für ein heuchlerischer Name. Schon da merkt man, dass sie sich im besseren Licht darstellen wollen. Jetzt übernehmt doch mal Verantwortung - ihr seht ja, wie der Status quo wirkt! Einfach vom selbstverantwortung zu palafern, dann aber trotzdem nicht alternative produkte anbieten und ebensowenig transparenz schaffen. Ich könnt nicht mehr in den Spiegel schauen.
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