Die Juso-Initiative ist chancenlos: Warum die Wirtschaft trotzdem «zittert»
Die politische Schweiz erlebt gerade ein eigenartiges Schauspiel. Am 30. November kommt eine Volksinitiative zur Abstimmung, die nach menschlichem Ermessen chancenlos ist. Und doch sind die Gegner vor allem aus der Wirtschaft besorgt. Sie führen eine Kampagne mit Millionenbudget und malen für den Fall eines Ja den Teufel an die Wand.
Gemeint ist die Volksinitiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» der Jungsozialisten (Juso). Sie fordert eine Erbschafts- und Schenkungssteuer von 50 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen Franken. Die Einnahmen sollen zur «sozial gerechten» Bekämpfung der Klimakrise verwendet werden.
Anfangs wurde die Initiative kaum beachtet. Doch seit Peter Spuhler, der Inhaber von Stadler Rail, im Sommer 2024 bei einer Annahme mit Wegzug ins Ausland drohte, ist Feuer im Dach. Weitere Unternehmer schlossen sich an, zuletzt Ipsomed-Gründer Willy Michel, der eine Erbschaftsteuer grundsätzlich befürwortet, solange sie «moderat und gerecht» ist.
Populistischer Schnellschuss
Die betroffenen Wirtschaftsführer verweisen darauf, dass ihr Vermögen zum grössten Teil in der Firma steckt. Deren Existenz wäre durch die Juso-Initiative bedroht. Die Warnungen verfehlten ihre Wirkung nicht. In einer watson-Umfrage vom August 2024 lehnten 73 Prozent die Initiative ab, und auch die ersten Abstimmungsumfragen sind negativ.
Das erstaunt nicht, denn die Initiative ist ein populistischer Schnellschuss, eine moralische Empörungsschleuder. Sie basiert auf dem Klischee von Superreichen, die sich auf ihrer Jacht den Bauch mit Kaviar und Champagner vollschlagen. In der Realität wären häufig Unternehmer betroffen, und das scheint dem Stimmvolk einzuleuchten.
Bombe mit brennender Lunte
Dennoch ist die Nervosität gross. Wirtschaftsverbände warnen bei jeder Gelegenheit vor einer Annahme der Juso-Initiative. Der Industrieverband Swissmem, dessen Mitgliederfirmen mit einem schwachen Geschäftsgang zu kämpfen haben, verwendet als Sujet eine Bombe mit brennender Lunte. Das deklarierte Budget der Gegner beträgt 3,67 Millionen Franken.
Damit haben sie neunmal mehr Geld zur Verfügung als die Initianten. Es ist ein grosser Aufwand für den Kampf gegen ein Volksbegehren, dessen Ablehnung praktisch sicher ist. Daran werden auch ‹Rettungsversuche› der Mutterpartei SP, etwa das «Abstottern» der geschuldeten Erbschaftssteuer in jährlichen Raten, kaum etwas ändern.
Warum «zittert» die Wirtschaft trotzdem? Drei Gründe drängen sich auf:
Der Linksrutsch
Jahrzehntelang galt eine Art ungeschriebenes Gesetz: Das Volk stimmt im Sinne der Wirtschaft ab. «Ausreisser» wie die Alpeninitiative bestätigten die Regel. Das hat sich radikal geändert. Zwei Volksentscheide des letzten Jahres fuhren Bürgerlichen und Wirtschaft in die Knochen: das Ja zur 13. AHV-Rente und das Nein zum Autobahnausbau.
Ähnliche Resultate wären noch vor wenigen Jahren fast undenkbar gewesen. Auch andere Vorlagen waren aus Sicht der Wirtschaft alarmierend: Die Konzernverantwortungsinitiative scheiterte einzig am Ständemehr, und der Freihandel mit Indonesien wurde nur knapp angenommen. Kein Wunder, sorgt selbst die radikale Juso-Initiative für Unbehagen.
Die Psychologie
Ein weiterer Effekt konnte zuletzt beobachtet werden, der die Rechte beunruhigen muss. Ein drohendes Nein in den Umfragen mobilisiert das Ja-Lager. Das zeigte sich bei der 13. AHV-Rente, die am Ständemehr zu scheitern drohte, und im September bei der Abschaffung des Eigenmietwerts. Beide Vorlagen wurden deutlicher angenommen als erwartet.
Droht bei der Juso-Initiative ein ähnliches Szenario? Sie ist dafür wohl zu radikal, und es fehlt anders als bei den erwähnten Vorlagen die persönliche Betroffenheit. Eher könnte ein anderer Effekt spielen: Die Initiative wird ohnehin abgelehnt, also kann man mit einem Ja ein Zeichen setzen. Bei der Minarett-Initiative 2009 könnte dies eine Rolle gespielt haben.
Der Achtungserfolg
Eine Ablehnung bleibt das wahrscheinlichste Szenario am 30. November. Das allein aber genügt womöglich nicht. Schon ein Achtungserfolg, also ein Ja-Anteil über 40 Prozent, wäre aus Sicht von Bürgerlichen und Wirtschaft ein unerwünschtes Signal. Er könnte zumindest einzelne Superreiche aufschrecken und sie dennoch zur Abwanderung motivieren.
In der ersten SRG-Trendumfrage sagten immerhin 35 Prozent sicher oder eher Ja. Es erstaunt somit nicht, dass die Nein-Seite eine massive Kampagne fährt, denn für sie kommt nur eine deutliche Abfuhr infrage. Ob sie damit durchkommt, wird man in einer Woche erfahren. Dann werden die letzten Abstimmungsumfragen veröffentlicht.
