Waffenexport in Kriegsgebiete: SVP zockt mit der Neutralität
In ganz Europa boomt die Rüstungsindustrie. Deutschland hofft etwa auf einen Schub für seine kriselnde Wirtschaft. Nur ein Land bemerkt kaum etwas davon: die Schweiz. Hiesige Waffenhersteller leiden unter restriktiven Exportregeln. Jüngstes Beispiel: Die Solothurner Saltech AG will die Produktion von Maschinengewehr-Munition nach Ungarn verlagern.
Grund seien «zu 100 Prozent» die Ausfuhrgesetze, teilte die tschechische Eigentümerin der «Sonntagszeitung» mit. Ausländische Staaten wollen deshalb kaum noch in der Schweiz einkaufen. Die Wirtschaftsverbände und bürgerlichen Parteien sind alarmiert: Sie wollen das erst zu Beginn des Jahrzehnts verschärfte Kriegsmaterialgesetz wieder lockern.
Die bewaffnete Neutralität der Schweiz sei auf eine eigene Waffenproduktion angewiesen, lautet die Argumentation. Doch von den Bestellungen der Schweizer Armee allein überlebt kaum eine Firma. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor bald vier Jahren wird deshalb über eine Erleichterung von Waffenexporten gerungen. Bislang ohne Erfolg.
Export in Kriegsgebiete
Nun hat die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Nationalrats einen neuen Anlauf genommen. Eine Allianz aus SVP, FDP und Mitte beschloss am Dienstag eine Lockerung des Gesetzes, die es in sich hat. So darf Schweizer Kriegsmaterial künftig ohne Bewilligung an Drittstaaten geliefert werden – doch ausgerechnet die Ukraine profitiert nicht.
Noch brisanter: Eine Gruppe von 25 Ländern, die in der Verordnung über das Kriegsmaterial aufgelistet sind (es sind überwiegend NATO-Staaten), können selbst dann mit Kriegsmaterial beliefert werden, wenn sie sich «in einem bewaffneten Konflikt befinden». Insgesamt wird der Export von Schweizer Waffen in Kriegsgebiete somit erheblich erleichtert.
«Lex Rüstungsindustrie»
Die Proteste von linksgrüner Seite blieben nicht aus. Die Gesetzesrevision sei «eine reine Lex Rüstungsindustrie, die einzig den Waffenherstellern nützt», liess sich die Schaffhauser SP-Nationalrätin Linda De Ventura in einer Mitteilung ihrer Partei zitieren. Sie droht ebenso wie die Grünen und die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) mit dem Referendum.
Für die FDP hingegen ist die Vorlage nichts weniger als «die letzte Hoffnung für viele Schweizer Rüstungsunternehmen und für eine glaubwürdige, bewaffnete Neutralität». Das aber ist der Knackpunkt. Es geht bei den Ausfuhrregeln eben nicht nur um ein kontroverses Gesetz, sondern um ein für die nationale Identität ehernes Grundprinzip.
«Nicht neutralitätskompatibel»
Die SVP als «Gralshüterin» der Neutralität hat sich lange schwergetan mit der erleichterten Waffenausfuhr. Das zeigte sich im Juni, als der Ständerat über die Revision debattierte. Sicherheitspolitiker wie der Berner Werner Salzmann weibelten dafür, doch für den Schwyzer Pirmin Schwander war die Vorlage «noch nicht neutralitätskompatibel».
Schwander ist ein ehemaliger Präsident der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), die mittlerweile in der neuen Kampftruppe Pro Schweiz aufgegangen ist. Aus ihren Reihen stammt die Neutralitätsinitiative, die derzeit ebenfalls im Parlament behandelt wird und die Schweiz auf einen strikten Neutralitätsbegriff verpflichten will.
Buebetrickli der Bürgerlichen
Für die jetzt vorliegende Lösung wurde gemäss «CH Media» sogar Christoph Blocher konsultiert, der geistige Vater der Initiative. Der Bundesrat soll neu ein Vetorecht bei der Waffenausfuhr auch in dem Fall erhalten, wenn er die Neutralität gefährdet sieht. Gar nicht beliefert werden darf ein Land, das die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt.
Man riecht den Braten aus zehn Kilometern Entfernung: Mit solchen Relativierungen wollen sich die bürgerlichen Sicherheitspolitiker um das Haager Abkommen «herummogeln». Es verpflichtet neutrale Staaten, im Kriegsfall alle beteiligten Länder gleich zu behandeln. Das Abkommen von 1907 ist nach Ansicht von Völkerrechtlern weiterhin bindend.
Dehnbar wie Kaugummi
«Das Neutralitätsrecht verbietet es der Schweiz, sich einseitig für eine Partei militärisch mit Waffen zu engagieren», sagte Evelyne Schmid von der Universität Lausanne dem Tagesanzeiger. In einem «CH Media»-Gastbeitrag meinte sie, die Neutralität sei dehnbar wie Kaugummi, doch sie habe «einen harten Kern», der durch das Haager Recht definiert werde.
Mit anderen Worten: Wenn die Bürgerlichen im Interesse der Rüstungsindustrie sogar die Lieferung in Kriegsgebiete erlauben wollen, begeben sie sich in ein Minenfeld. Oder auf eine neutralitätsrechtliche Gratwanderung mit Absturzgefahr. Ein möglicher Ausweg wäre eine Anpassung der Neutralität an die UNO-Charta, die klar zwischen Angreifern und Opfern unterscheidet.
Ukraine-Verbot kippen?
Die Idee ist unter Rechtsexperten umstritten, und von derartigen Vorschlägen etwa aus den Reihen der SP wollten die Bürgerlichen bislang nichts wissen. Schon gar nicht die SVP, auf deren Betreiben die Ukraine weiterhin kein Schweizer Rüstungsmaterial erhalten soll, weder direkt noch indirekt. Im Dezember wird der Nationalrat über den neuen Vorschlag beraten.
Eine Möglichkeit wäre, die Verbote für die Ukraine aus der Vorlage zu kippen, mit dem Kalkül, dass die SVP diese Kröte aus Rücksicht auf die Waffenproduzenten schlucken wird. Gleichzeitig könnte die Linke besänftigt werden, die sich über diesen Punkt besonders echauffiert. Denn eigentlich wollen Bürgerliche und Industrie ein Referendum vermeiden.
Gelingen wird dies kaum, denn für GSoA und Co. geht es um die Glaubwürdigkeit. Eine allfällige Volksabstimmung könnte in der zweiten Hälfte 2026 stattfinden, womöglich gleichzeitig mit der Neutralitätsinitiative. Es wäre eine Konstellation mit Sprengkraft.
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