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Euro-Franken-Kurs: Warum ein Kurs unter 1 Franken zur Normalität wird

Euroschwäche: Warum ein Kurs unter 1 Franken zur Normalität wird

Nach einer kurzen Schwächephase setzt der Franken seinen Aufwertungstrend wieder fort. Wo wird das enden?
15.05.2023, 21:25
Niklaus Vontobel / ch media
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Schweizer Franken und Euro Banknoten fotografiert am 15. Juni 2020 in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)
Euro zu Franken: Ein neuer Kurs pendelt sich ein.Bild: KEYSTONE

«Wir sehen den Eurokurs langfristig unter einem Franken», sagt UBS-Chefökonom Daniel Kalt. Auf Jahresfrist erwartet die Grossbank einen Kurs von 97 Rappen pro Euro. Diese Abwertung werde vor allem durch die Inflationsdifferenz getrieben, die zwischen der Eurozone und der Schweiz entstanden ist. Im April betrug die Teuerung in der Eurozone noch 7 Prozent, in der Schweiz hingegen nur 2.6 Prozent. Bleibe diese Differenz noch lange bestehen, würde der Euro weiter abwerten, erklärt Kalt. «Darum wird entscheidend sein, wie schnell die Zentralbanken der Eurozone und der Schweiz die Inflation in den Griff kriegen.»

Die Raiffeisenbank rechnet mit einer noch grösseren Abwertung. «Wir sehen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Eurokurs über die Zeit weiter unter die Parität sinken wird», sagt Ökonom Alexander Koch. «Auf Jahressicht haben wir eine Prognose von 95 Rappen.» Kommt es so, wird ein Eurokurs unter der Marke von 1 Franken zur neuen Normalität.

Schon jetzt hat der Euro wieder eine grosse Abwertung hinter sich. Im Vergleich zum Jahresanfang 2022 ist er knapp 7 Prozent weniger wert. Doch der Euro ist damit gemäss Raiffeisen nicht unterbewertet, der Franken nicht überbewertet. Es gibt auch keinen neuen Sturm auf die grenznahen Einkaufsparadiese in Deutschland. Im Gegenteil, der Einkaufstourismus könnte leicht geschwächt sein.

Wie erklärt sich das? Einst boomte der Einkaufstourismus, als der Euro noch 1 Franken oder 1.10 Franken kostete. Aber bei einem Eurokurs von rund 97 Rappen entsteht kein zusätzlicher Andrang. Der vermeintliche Widerspruch erklärt sich mit dem Zusammenspiel des Eurokurses mit der Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz und der Eurozone.

Der Franken schockt nicht länger

Seit Anfang 2022 ist in der Schweiz wie in der Eurozone alles teurer geworden, aber in der Eurozone war dieser Inflationsschock viel grösser. Somit wurden Produkte und Dienstleistungen aus der Eurozone preislich weniger attraktiv für alle, die ihr Einkommen in Schweizer Franken beziehen. Doch dieser Nachteil wird durch die Euroabwertung wettgemacht. Wenn man seine starken Franken über die Grenze trägt, bekommt man umgerechnet in Euro im Durchschnitt noch immer etwa gleich viel wie zuvor. Der Wechselkurs gleicht also aus, dass die Inflation in der Eurozone viel höher ist als in der Schweiz.

Das war in der Finanzkrise und später in der Eurokrise noch ganz anders. Damals ging die Angst um, die Eurozone könnte auseinanderbrechen. Zig Sparer retteten ihr Geld lieber aus der Eurozone heraus. Sparer in der Schweiz trugen es nicht mehr in die Eurozone, sondern behielten es lieber daheim. Der Franken versprach Sicherheit, der Euro Totalverlust. Die Flucht aus der Eurozone bestimmte den Wechselkurs. So kam es zum Frankenschock.

Der Wechselkurs wirkte damals ganz und gar nicht ausgleichend zwischen den Preisen in der Eurozone und in der Schweiz. Er schuf im Gegenteil riesige Unterschiede: In der Eurozone war auf einmal alles viel günstiger für alle, die ihr Einkommen in Franken hatten. Diesen Unterschied musste dann die Wirtschaft in der Schweiz wieder wettmachen, mühsam und über Jahre hinweg. Die Hotellerie musste ihre Zimmer billiger anbieten; die Bergbahnen konnten ihre Ticketpreise nur moderat erhöhen, während die österreichische Konkurrenz nahezu nach Belieben aufschlug.

Nun ist also alles anders als zu Zeiten des Frankenschocks. Der Wechselkurs ebnet die Preisunterschiede ein, die es zwischen der Schweiz und der Eurozone gibt. Und dennoch gibt es Grund zur Annahme, dass der Einkaufstourismus aktuell eher geschwächt wird durch die hohe Inflation in der Eurozone. «Psychologisch könnten die hohen Preisanpassungen eher abschreckend wirken», sagt Raiffeisen-Ökonom Koch. Bei den für Einkaufstouristen wichtigen Lebensmitteln seien die Preise so sehr in die Höhe gestiegen, dass dies die Euroabwertung nicht mehr ausgleiche.

Der andere Treiber des Eurokurses

Der Inflationsunterschied beeinflusst derzeit also den Eurokurs. Wie Raiffeisen-Ökonom Koch erklärt, ist er jedoch damit nicht allein. Ein wichtiger Treiber sei auch, wie viel Geld die Sparer in der Eurozone oder der Schweiz anlegen. Das hängt davon ab, wie viel Rendite man dort erwarten kann, und das wiederum davon, wie hoch die Zinsen in Zukunft sein werden und was nach Abzug der Inflation davon übrig bleiben könnte.

Wenn also Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) andeutet, die Inflation sei längst nicht besiegt und die Leitzinsen müssten weiter steigen, und wenn die Sparer ihr glauben, so wertet das den Euro zum Franken auf. Seit kurzem glauben die Finanzmärkte jedoch, die EZB werde nicht mehr viel an der Zinsschraube drehen und sogar die Leitzinsen bald wieder senken, wie Koch sagt. Darum ist der Euro zuletzt nochmals schwächer geworden. (aargauerzeitung.ch)

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