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Wirtschaft

«Wir operieren quasi ohne Nationalbank»

Nick Hayek liebt Uhren und Zigarren.
Nick Hayek liebt Uhren und Zigarren.Bild: DENIS BALIBOUSE/REUTERS
Interview mit Nick Hayek

«Wir operieren quasi ohne Nationalbank»

Swatch-Group-Chef Nick Hayek (60) lanciert einen Vorschlag für eine Reform der Nationalbank. Und er sagt, wo die grosse Chance des Tourismus liegt.
22.02.2015, 07:5322.02.2015, 10:08
patrik müller / schweiz am Sonntag
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Ein Artikel von Schweiz am Sonntag
Schweiz am Sonntag

Herr Hayek, UBS-Chef Sergio Ermotti und Politiker aus SVP, FDP und CVP plädieren für einen «Deregulierungspakt», um den Standort Schweiz zu stärken. Unterstützen Sie diese Forderungen? 
Nick Hayek: Ich habe weder einen Fünf-Punkte-Plan noch einen Fünfzehn-Punkte-Plan. Generelle wirtschaftspolitische Forderungen und auch die Kritik an «wirtschaftsfeindlichen» Initiativen münden schnell in Dogmen. Und diese blockieren letztlich nur. Entscheidend für die Schweiz ist eine pragmatische Politik, die zulässt, dass die Firmen ihre Probleme selber lösen können. Wir brauchen keine Masterpläne von oben. 

Warum nicht? 
Der Reichtum der Schweiz ist auch die Vielfalt unserer Unternehmen: Es gibt den Werkplatz, den Finanzplatz, es gibt globale Konzerne und – entscheidend für unseren Wohlstand – die kleinen und mittelgrossen Betriebe. Unsere Stärke ist, dass wir schnell und unkompliziert entscheiden, oft auf lokaler Ebene, auch zusammen mit den Gewerkschaften. Jeder Unternehmer muss, wenn er Probleme hat, auch sehr kurzfristig flexibel Massnahmen treffen können. In einem sozialen Klima des Vertrauens ist das möglich. Es gibt keine generellen Rezepte für die heutige Situation. Für die einen können es Löhne in Euro sein, für die anderen Kurzarbeit. 

Und die vielen Volksinitiativen sorgen Sie nicht? 
Die schlechten müssen wir bekämpfen – nicht verbieten! Die meisten Initiativen drücken ein Unbehagen aus. Es gibt Vertreter der Wirtschaft und natürlich der Politik, die dieses Unbehagen in der Bevölkerung erst wahrnehmen, wenn Unterschriften gesammelt werden. Insgesamt ist der Standort Schweiz sehr attraktiv, und dessen Rahmenbedingungen entstanden ja in unserer direkten Demokratie. 

Auslöser der Deregulierungs-Forderungen ist der starke Franken, der den Standort Schweiz verteuert. Die Währungsturbulenzen machen auch Ihnen und Ihrem Unternehmen zu schaffen.
Ich habe die Aufhebung des Euro-Mindestkurses nicht kritisiert, weil sie die Swatch Group stark treffen würde. Das tut sie nicht: Unser Unternehmen ist nur zu etwa 18 Prozent euroexponiert. Für uns sind der Dollar und der chinesische Renminbi viel wichtiger. Zudem arbeitet die Hälfte unserer 36000 Mitarbeiter im Inland – die ganze Produktion ist hier –, die andere Hälfte im Ausland, vor allem in den Verkaufsfilialen. Wir sind sehr gut aufgestellt und denken nicht über Lohnsenkungen oder Kurzarbeit nach. 

Wie sehen Sie den Nationalbank-Entscheid einen Monat danach? 
Die Schweiz hat nun eine offene Flanke: Wir operieren quasi ohne Nationalbank. Sie hat sich vor den Augen der ganzen Welt aus dem Spiel genommen. Die Nationalbank hat Schwäche gezeigt, und diese Schwäche wird weiterhin kommuniziert. Es werden Vorträge gehalten, in denen gesagt wird, dass die Nationalbank den Euro-Mindestkurs nicht mehr hätte durchhalten können.

… so wie diese Woche Thomas Jordan in Brüssel.
Man erzählt überall, warum man nicht gekämpft hat. Das macht es nicht besser. Im Moment haben wir zwar eine gewisse Entspannung beim Frankenkurs: Die US-Wirtschaft wächst stark, die Schweiz als «sicherer Hafen» liegt zurzeit nicht im Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit. Aber es braucht nicht viel – zum Beispiel eine weitere Eskalation in der Ukraine – und das ändert sich wieder. Eine erneute massive Aufwertung des Frankens wäre die Folge. Ohne dass die Nationalbank eingreifen würde! So hat sie es klar allen signalisiert. 

Nick Hayek hat eine klare Meinung zur aktuellen Politik der Nationalbank.
Nick Hayek hat eine klare Meinung zur aktuellen Politik der Nationalbank.Bild: DENIS BALIBOUSE/REUTERS

Sie fordern eine Kursänderung? 
In einem demokratischen Land ist es erlaubt, zu fragen: Wie könnte man wieder eine Nationalbank konstruieren, die wichtige Beschlüsse wie die des Frankenkurses nicht einfach im stillen Kämmerlein des dreiköpfigen Direktoriums trifft? Was ist zu tun, damit solche Entscheide in gut schweizerischer Manier beraten werden? 

Sie stellen die politische Unabhängigkeit der Nationalbank infrage? 
Nein! Die Nationalbank muss unabhängig bleiben. Aber sie sollte nicht in einem «Denk-Tempel», theoretisch abgehoben, ihre Schlussfolgerungen ziehen – sondern gezwungen sein, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. So, wie es in unserem Land üblich ist! Gewerkschaften beschliessen auch nicht einfach einen Streik, sondern es ist ein Prozess mit klaren Signalen an alle Beteiligten. 

Was schlagen Sie vor? 
Ich habe keine Patentlösung, meine aber, man müsste jetzt Ideen diskutieren. Nur ein Vorschlag: Vielleicht ist das Direktorium mit drei Personen zu klein, vielleicht bräuchte es fünf oder sieben sehr unterschiedliche Personen. Nicht nur Professoren und Theoretiker. Die Debatte über die Nationalbank ist absolut zentral. Diese offene Flanke ist im Moment das grösste Risiko für den Standort Schweiz. 

Die Nationalbank steht für einen starken Franken - das ist doch positiv! Wäre Ihnen ein Land mit einer Schwachwährung lieber? 
Nein. Niemand will eine schwache Währung. Ich wünsche mir einen starken Franken – aber keinen massiv überbewerteten. Und keine Spekulationswährung. Sonst wird es für ganze Branchen, nicht zuletzt für den Tourismus, sehr schwierig. 

Oft wird die Situation des Tourismus mit jener der desolaten Uhrenindustrie der 70er-Jahre verglichen, die durch die Lancierung der Swatch 1983 dann einen wundersamen Aufstieg erlebte. Was ist im Tourismus zu tun? 
Die Ausgangslage ist im Tourismus ungleich besser als damals in der Uhrenindustrie. Diese interessierte sich nur noch für das oberste Segment, entwickelte keine Innovationen, verschlief neue Technologien und erhöhte dauernd die Preise. Im Tourismus braucht es keine Revolution sondern eher einen Kulturwandel: Ein Kunde ist auch ein Kunde, wenn er kein Fünfsterne-Hotel bucht. Der Kunde hat es gern, wenn man familienfreundlich und aufmerksam ist. Hier hapert es in manchen Gebieten. 

Also doch eine Parallele zur Uhrenindustrie: Es braucht auch attraktive Billigangebote?
Auf jeden Fall. Oft heisst es: Das oberste Segment ist krisensicher. Jetzt erleben wir gerade, was passiert, wenn die reichen Russen nicht mehr kommen. Es braucht mehr Wertschätzung für «normale» Touristen – nicht nur des Geldes wegen, sondern aus Freude darüber, dass sie hierherkommen. Es ist wie bei einem Penthouse: Die oberste Wohnung lässt sich nur teuer verkaufen, wenn es einen soliden Unterbau mit Wohnungen gibt, die ebenfalls gepflegt sind. 

Wenn wir vom Standort reden, kommt schnell die Masseneinwanderungs-Initiative ins Spiel. Viele Politiker und Unternehmer sehen die bilateralen Verträge mit der EU gefährdet. Sie auch?
Nein. Es wird eine Lösung geben. Wir haben nun einmal das System der direkten Demokratie. In Deutschland und überall hat man applaudiert, als das Volk die Abzocker-Initiative angenommen hat. Alle lobten die Schweizer. Und jetzt wurde halt eine Initiative angenommen, die der EU nicht passt. Aber das stärkt doch unsere Verhandlungsposition in Brüssel ungemein! Wir haben allen Grund, gegenüber der EU selbstbewusst aufzutreten und für eine Lösung zu kämpfen. Zumal für die EU die bilateralen Verträge genauso wichtig sind wie für uns. 

Tritt der Bundesrat zu defensiv auf?
Zu wenig entschlossen und mit vorauseilendem Gehorsam. Dabei gibt es doch keine bessere Ausgangslage für Verhandlungen als ein Mandat des Volkes. Wir unterschätzen uns! Die Griechen traten in Brüssel leider etwas arrogant auf, dennoch können wir von ihrer erfrischenden, frechen Art etwas lernen. Warum nicht einmal Stärke zeigen? 

In diesem Herbst sind Wahlen.
Hilfe! 

Dann wird sich die Frage stellen: Ist der Bundesrat richtig zusammengesetzt?
Mir geht es weniger um die Parteien als um die Persönlichkeiten und um die Kultur, die im Bundesrat herrscht: Unsere Regierung sollte wieder selbstbewusster führen und nicht von der ersten Sekunde weg an den Kompromiss denken und damit etwas ängstlich wirken. 

Stimmen die Kräfteverhältnisse in der Regierung?
Ich erzähle im Ausland immer mit Stolz, dass wir linke und rechte Parteien in der Regierung haben, die sich zu Lösungen durchringen müssen. Das wird ebenso bewundert wie der jährliche Wechsel des Bundespräsidenten. Ich weiss, Sie wollen jetzt etwas zu BDP oder CVP hören. Aber das hat mich nie gross interessiert. Wir brauchen starke Persönlichkeiten, dann kommt es gar nicht auf die Partei drauf an. 

Ist der Wirtschaftsminister, Johann Schneider-Ammann, eine solche Persönlichkeit?
Er ist ein Freund, er war lange Jahre bei uns im Verwaltungsrat. Die Frage ist immer: Was erwarten wir von wem? Herr Schneider-Ammann ist nicht derjenige, der für die katastrophale Nationalbank-Politik verantwortlich ist. Ich kritisiere ihn nicht. Natürlich hat er neben seinen Stärken auch seine Schwächen, wie ich auch und viele Politiker sowieso. Wenn ich etwas kritisieren sollte, dann vielleicht, dass seine Botschaft bei den einfachen Leuten nicht immer klar ankommt. Aber da ist er nicht der einzige: Viele Politiker wie auch Manager haben das gleiche Problem. 

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