Die Schweiz und ihre Milliardäre – eine Hassliebe. Während Superreiche in den USA gefeiert werden wie Rockstars, haben sie hierzulande einen schweren Stand. Vor allem Milliardäre, die politisieren, polarisieren. Grosses Misstrauen herrscht gegenüber denen, die mit ihrem Geld die Politik verdeckt beeinflussen: die sogenannte «Elite», die oft als Basis für Verschwörungstheorien dient.
Doch was passiert, wenn namhafte Zeitungen und Menschen aus der Öffentlichkeit das Argument bringen, dass Superreiche versteckt Einfluss auf die Öffentlichkeit nehmen? Das ist, was gerade im Zusammenhang mit dem Forschungsinstitut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern geschieht.
Das IWP will «eine verlässliche, faktenbasierte Stimme in den aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussionen sein», wie es auf der Website schreibt. Die Denkfabrik wurde Ende 2020 gegründet und ist ein An-Institut an der Universität Luzern.
Schon kurz nach der Gründung wurde das IWP kritisiert. Die WOZ nannte es «eine Denkfabrik für Reiche», die vom wissenschaftlichen Ruf der Universität Luzern profitieren würde. Milliardäre hätten das Ziel, es zu einem «rechtsliberalen Bastion» auszubauen und Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen.
Auch der «Tagesanzeiger» stellte die Frage in den Raum, ob sich ein Milliardär ein Uni-Institut kaufe. Dies, weil zwei Multimilliardäre im Stiftungsrat des Instituts Einsitz hätten: Alfred Schindler und Michael Piper. Der Verdacht komme auf, dass die Denkfabrik ihren Geldgebern verpflichtet sei – da die Deklarationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit fehle, bemängelte die Zeitung.
Infrage gestellt wurden auch die Personalien des IWPs. Direktor des Instituts ist Christoph Schaltegger, Professor und bis vor etwas mehr als einem Jahr auch Dekan der Wirtschaftsfakultät der Universität Luzern. Laut der WOZ gilt er als «Hardliner», der Steuersenkungen für Reiche in der Coronapandemie forderte. Geschäftsführer ist René Scheu, ehemaliger Leiter des NZZ-Feuilletons, der gemäss «Tagesanzeiger» bekannt sei für seinen «Kampf gegen die politische Korrektheit».
Diese Kritik ist nun zwei Jahre her. Viel Zeit, in der das IWP zeigen konnte, ob es das einhalten konnte, was es versprach: «politisch, finanziell wie auch ideologisch unabhängig zu sein». Ist das den Verantwortlichen gelungen?
Über «eine wirklich miserable Qualität der Publikationen» ärgerte sich vergangenes Jahr ein Luzerner Politiker im Kantonsrat. So habe das IWP im Auftrag der Tabaklobby herausgefunden, dass Rauchen volkswirtschaftlich sinnvoll sei, stellt der Luzerner Grüne-Kantonsrat Urban Frye ironisch fest. «Ein Raucher zahlt mit dem Kauf von Zigaretten ein Leben lang in die AHV ein. Wenn alles gut läuft, stirbt er vor Erreichung des AHV-Alters», fasst er die Studie zusammen. Das IWP habe die Publikation zum Glück «bald wieder zurückgezogen».*
Nicht nur die Ergebnisse, auch die Methodik des IWPs wird infrage gestellt. Wissenschaftler von Schweizer Universitäten bemängelten kürzlich unter einem LinkedIn-Beitrag die Herangehensweise bei einer Studie. Diese hatte ergeben, dass «12 Prozent der Bundesangestellten durchschnittlich mehr verdienten als vergleichbare Angestellte in der Privatwirtschaft». Die Kritik: Die verwendeten Daten würden das gezeichnete Bild verzerren.
Am Montag vor einer Woche veröffentlichte das IWP die Studie: «Subventionsreport: Milliardenschwere Einsparungen bei Bundessubventionen möglich». Dabei ordneten Ökonomen des Instituts die wirtschaftliche Wirkung der grössten Bundessubventionen «anhand eines Ampelschemas ein» – basierend «auf aktueller Forschungsliteratur».
Die Autoren gruppierten die jeweiligen Subventionen in Farben; Rot bedeute «tendenziell wohlfahrtsmindernd», Gelb, wo «eine schädliche Wirkung denkbar» sei, und Grün bedeute wohlstandsvermehrend. Die Ergebnisse des Subventionsreports verbreiteten sich rasant. Die NZZ titelte: «Der Bund verteilt 7 Milliarden Franken an schädlichen Subventionen – vor allem für Landwirtschaft und Klimaschutz». Auch der «Blick» schrieb von einer «Studie mit hartem Verdikt».
Genau das wird nun kritisiert. So schreibt etwa Dina Pomeranz, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Zürich, auf Twitter, dass die Analysen des IWPs «oft nicht Stand halten». Noch deutlicher wird Marius Brülhart auf Twitter, Professor an der Universität Lausanne. Er stört sich vor allem daran, dass ein «Meinungsbeitrag dreier Ökonomen als universitäre Studie präsentiert wird, mit dem impliziten Anspruch an Wissenschaftlichkeit.
Wichtig für alle JournalistInnen zu wissen: das neue "Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik" - an der Uni Luzern angegliedert - ist kein unabhängiges akademisches Institut. Es ist eine politisch klar wirtschaftskonservative Gruppe, deren Analysen oft nicht Stand halten. https://t.co/AQFjyKWSNA
— Dina D. Pomeranz (@DinaPomeranz) May 16, 2023
Konkret geht es um die «fragwürdige» Methodik. So machte das IWP laut eigenen Angaben die Einordnung der Subventionen «auf Basis von qualitativen Einschätzungen unter Berücksichtigung von wissenschaftlicher Literatur und bestehenden Evaluationsstudien». Dies sei eine höchst subjektive Bewertung, findet Brülhart. Verweise auf andere Studien kämen zudem oft nicht vor. Auf Anfrage von watson wollten die Professoren keine weitere Stellung beziehen.
Doch auf Twitter schreibt auch Mathias Binswanger, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, dass die Studie «keine seriöse Arbeit» sei. Andere bemängeln, die Ergebnisse hätten in einer Fachzeitschrift mit Peer Review einen schweren Stand.
Die meisten Subventionen in der Landwirtschaft sind Direktzahlungen und diese werden in dem erwähnten IWP-Subventionsreport pauschal als "wohlfahrtsvermindernd" eingestuft. Evidenz?: drei willkürlich herausgegriffene Arbeiten werden zitiert. Fazit: keine seriöse Arbeit! https://t.co/zaaQUtFk8x
— Mathias Binswanger (@goldmannerdmann) May 17, 2023
Diese Kritik von mehreren Professoren hinterfragen jedoch einige. So schreibt die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür zur Debatte auf Twitter, ob es den Professoren um eine «Diffamierung der wissenschaftlichen Konkurrenz» gehe.
Und was sagen die Verantwortlichen des Luzerner Instituts für Wirtschaftspolitik dazu?
Beim IWP weist man die Kritik an der Studie und am Institut vollumfänglich zurück. «Von willkürlich-subjektiven Einschätzungen kann keine Rede sein. Im Subventionsreport geht es um die nachvollziehbare Beurteilung von Bundessubventionen aus wohlfahrtstheoretischer Sicht von Autoren mit Expertise», schreibt René Scheu, Geschäftsführer des IWPs, auf Anfrage von watson. Die Autoren hätten in Kauf genommen, von «Lobby- und Interessensgruppen kritisiert» zu werden, denen die Ergebnisse des Berichts «naturgemäss nicht gefallen» würden. «Eben weil wir unabhängig und nicht von Interessensgruppen abhängig sind, können wir uns dies erlauben», schreibt Scheu.
Auch das Vorgehen des IWPs verteidigt der Geschäftsführer und betont, dass sie dem Beispiel des langjährigen Subventionsberichts vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) folgen würden. Die Kieler Autoren hätten auch den IWP-Subventionsreport peer-reviewt und auch das «Geleitwort verfasst». Die Studie sei zudem dem wissenschaftlichen Beirat in Luzern präsentiert sowie die erhaltenen Kommentare und Anmerkungen geprüft und umgesetzt worden.
Weiter erklärt Scheu: «Das 16 Seiten umfassende Literaturverzeichnis zeigt auf, dass wir zu den Themen intensiv recherchiert haben. Dass es nicht für alle 241 Einzelposten des Schweizer Bundes passende Untersuchungen gibt, die wir zitieren könnten, sollte nicht verwundern.» Bei diesen Einzelbeurteilungen würden die Autoren die ökonomischen Überlegungen, die zur Einordnung führen, im Text transparent darlegen. Zudem seien auch andere Studien des IWPs peer-reviewt.
Zum Vorwurf, das IWP wolle mit den Ergebnissen die Politik beeinflussen, schreibt Scheu: «Die nun bevorstehenden Abstimmungen haben zu keinem Zeitpunkt eine Rolle bei der Themenwahl, Bearbeitung oder Publikation gespielt. Schon die Themenfindung erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem die nun bevorstehende Abstimmung noch nicht einmal absehbar war.» Man habe «alle Bundessubventionen über 1 Million Franken» einer ökonomischen Prüfung unterzogen.
Als eine «unfundierte Unterstellung» bezeichnet René Scheu den Vorwurf, das IWP sei eine «Denkfabrik, die vor allem für die Geldgeber arbeitet». «Niemand hat diese Studie beauftragt. Zu keinem Zeitpunkt gab es seitens Dritter, etwa des Stiftungsrats, von der Universität oder von Interessensgruppen, irgendeine Form der Einflussnahme bei der Themenfindung, der Erstellung der Studie oder ihrer Publikation.»
watson hat mit Stefan Bühler, Professor für angewandte Mikroökonomik an der Universität St.Gallen gesprochen. Bühler ist Co-Editor bei der Fachzeitschrift Swiss Journal of Economics and Statistics. «Die Ergebnisse einer Studie sind grundsätzlich relevant, wenn diese einen Peer-Review-Prozess erfolgreich durchlaufen hat. Bei Fachzeitschriften ist es so, dass anonyme Gutachterinnen oder Gutachter eine Studie beurteilen, bevor sie publiziert wird.»
Den geschilderten Prozess beim IWP-Subventionsbericht bezeichnet Bühler nicht als «das übliche Verfahren, das eine Fachzeitschrift hat». Wenn eine Studie peer-reviewt sei, könne man sie nicht so einfach «von der Hand weisen». Aber, führt Bühler aus: «Kritik an den Studienergebnissen gibt es natürlich auch dann noch.» Vor allem, je nachdem wer die Studie in Auftrag gegeben oder finanziert habe. Eher neu in der Schweiz sei für ihn aber, dass sich Institutionen oder Autoren und Autorinnen gegenseitig via Social Media kritisieren.
*Das von Kantonsrat Frye erwähnte Tabak-Gutachten hat direkt nichts mit dem Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern zu tun, wie fälschlicherweise erwähnt. Das erwähnte Gutachten von Herrn Dr. Patrick Eugster und Herrn Professor Dr. Christoph A. Schaltegger wurde bereits am 15. Mai 2020 veröffentlicht – und damit ein halbes Jahr vor der Gründung des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern.
Wäre mir nicht bewusst dass Milliardäre bei uns ernsthaft einen schweren Stand hätten…
Ganz im Gegenteil: Bei jeder Abstimmung wird der Bevölkerung weis gemacht, sie müsse schön brav im Sinne der Milliardäre und Unternehmen stimmen, sonst würden diese Abwandern und die Schweiz ihren Wohlstand verlieren…
Meist glaubt ein (zu) grosser Teil der Bevölkerung diese Angstmacherei, weshalb die Vermögensschere weiter massiv aufgeht, insbesondere der Mittelstand im Verhältnis zu viele Steuern bezahlt…
Grund ist die unseriöse Methode, alles auf Personenkilometer hinunterzurechnen und insbesondere Unfallkosten hineinzurechnen. Mit der gleichen Argumentation wäre sogar Fliegen "nachhaltiger" als Zufussgehen.
Am 'nachhaltigsten wär wohl (Schindler) - Liftfahren.
Passt aber irgendwie zur "Universität" Luzern.