Vor zwei Jahren, am 19. März 2023, endete eine Ära in der Schweiz: Die Traditionsbank Credit Suisse, gegründet 1856 von Alfred Escher, war Geschichte, geschluckt durch die UBS. Ein fusioniertes Bankenmonstrum entstand, dessen Bilanzsumme knapp doppelt so gross ist wie die Wirtschaftsleistung der Schweiz. Man muss die Zukunft nicht zwangsläufig schwarzmalen, doch wenn die gleiche Unternehmenskultur wie in der CS dort Einzug halten sollte, sieht es irgendwann finster aus.
Vielleicht hätte es nicht so weit kommen müssen. Das enthüllt der Dokfilm «Game Over», den der Wirtschaftsjournalist Arthur Rutishauser zusammen mit Regisseur Simon Helbling realisiert hat. Am Mittwochabend, zum Jahrestag, feierte er in Zürich seine Premiere. Im Mai 2022 hatte der US-Spitzenbanker und frühere Barclays-Chef Bob Diamond nach eigenen Angaben dem CS-Verwaltungsratspräsidenten Axel Lehmann ein Angebot unterbreitet: Er wollte mit Investoren der schon arg strauchelnden Credit Suisse für bis zu 5 Milliarden Dollar die Investmentbank abkaufen. «Ich war enttäuscht, dass sie dieses Angebot nicht ernster genommen haben», sagt Diamond im Film.
Für die Schweiz wäre ein anderes Ende vielleicht besser gewesen. Dem, was aus der Credit Suisse geworden ist, braucht man aber nach dem Film keine Träne nachweinen. Von der viel beschworenen Escher-Bank, einst gegründet, um den Gotthard-Tunnel zu finanzieren, war zuletzt nicht mehr viel übrig. Respektive schon lange nicht mehr. Oder wie es der Rechtsanwalt Andreas Rüd im Film ausdrückt: «Es ist schwieriger, einen Skandal zu finden, an dem die CS nicht beteiligt war, als einen aufzuzählen, an dem die CS beteiligt war.»
Das Fundament für die Unkultur wurde gemäss «Game Over» bereits in den 1970er-Jahren im Tessin gelegt, wo die Filiale in Chiasso Jahr für Jahr die besten Resultate präsentierte und ihre Manager dafür üppig belohnt wurden – bis das Kartenhaus bei der CS-Vorgängerin, der Schweizerischen Kreditanstalt SKA, in sich zusammenbrach. Mittels einer Scheinfirma in Liechtenstein waren Kredite auf Fluchtgelder gewährt worden, die schlicht nicht gesichert werden konnten. Hauseigene Revisoren aus Zürich wurden bei ihren Besuchen mit Wein, Zigarren und Frauen ruhiggestellt.
Der Verlust aus der später als «Chiasso-Skandal» in die Bankengeschichte eingegangenen Episode wurde zuerst mit 250 Millionen Franken beziffert, belief sich aber auf 5 Milliarden, was dem Doppelten des Eigenkapitals entsprach. Im Prinzip war die CS also schon 1977 bankrott, wie Rutishauser festhält.
Das Milliarden-Loch musste gestopft werden – etwa mit dem Aufbau des Investmentbankings. Es war die Stunde von Rainer E. Gut, dem mittlerweile verstorbenen langjährigen Lenker und späteren Ehrenpräsidenten der CS. Ein Banker, der Sätze sagt wie: «Mir war die Schweiz immer zu klein.» London lockte und vor allem New York. Die Liaison mit der First Boston, «ausgerechnet die wildeste Investmentbank der USA», wie Rutishauser es formuliert, nahm ihren Anfang. Es sollte für die CS eine teure Beziehung werden. Wie vieles, das folgen wird – bis zu den beiden Milliarden-Pleiten Greensill und Archegos, die der CS endgültig das Genick gebrochen haben.
«Game Over» erzählt eine äusserst hässliche Banken-Geschichte, die sich von Skandal zu Skandal angelt, von Boni-Exzess zu Boni-Exzess, von Millionen-Bussen zu Milliarden-Bussen. Eine Geschichte von Managern, einzig angetrieben von ihrem eigenen Profit, ohne Verantwortung für Fehlleistungen zu übernehmen.
In der Schweiz mag dieses Gebaren Empörung auslösen. In Moçambique hingegen, einem der ärmsten Länder der Welt, trieb das Wirken der Credit Suisse mit ihren Thunfischanleihen die Menschen noch tiefer in die Armut und das Land in einen Bürgerkrieg. Wie Rutishauser einschätzt: «Die Credit Suisse hat Moçambique die Zukunft geraubt.»
Rutishauser macht sich mit seiner Recherche auf die Suche nach den Ursachen des Kollapses. Seine Antworten lauten: «Gier», «Grössenwahn», «Arroganz» und «illoyales Verhalten», namentlich gegenüber den eigenen Mitarbeitenden. Es sind die vier Eigenschaften, welche bis zuletzt die Unternehmenskultur bestimmten und die auch von den CS-Managern in der Konzernleitung und im Verwaltungsrat gnadenlos vorgelebt wurden.
Finanzwesen und Verbrechen liegen bekanntlich nah beieinander. Insofern ist «Game Over» eine Art ansprechende True-Crime-Doku klassischer Bauart. Unterlegt mit Spannungsmusik und gestützt von zahlreichen Aussagen von Zeitzeugen wie etwa Joe Ackermann, Oswald Grübel oder dem Chiasso-Whistleblower Meinrad Perler. Die Verantwortlichen für die Misere wie etwa der langjährige Verwaltungsratspräsident Urs Rohner oder der Untergangs-Präsident Lehmann wollten allerdings nicht vor die Kamera treten.
Archivaufnahmen ordnen die Skandale in ihre jeweiligen Epochen kurz ein: die bunten, wilden 1970er, die internationale Goldgräberstimmung der 1990er. Und auch bis nach Moçambique sind die Macher gereist. Etwas oft und repetitiv hingegen fährt die Kamera die Fassade des Hauses am Paradeplatz ab. Das wirkt teils mehr wie routiniertes Streaming denn als grosses Kino.
Zwischendurch sind die diversen Geldflüsse und Kursstürze auf grauen Karten mit gelben Strichen und Pfeilen visualisiert. Das geht nicht so ins Detail, wie es etwa in Hollywood der Spielfilm «The Big Short» tat. Muss es aber auch nicht. Denn die Geschichte selbst ist ebenso spektakulär wie ihre Aufarbeitung in «Game Over» sorgfältig erzählt ist. (aargauerzeitung.ch)