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Über 700 Lehrstellen im Aargau unbesetzt – «Lieber keinen als einen Faulen»

Über 700 Lehrstellen im Aargau unbesetzt – «Lieber keinen als einen Faulen»

Über 700 Ausbildungsplätze sind im Aargau noch zu haben – und das wenige Wochen vor Lehrbeginn. Am meisten Nachwuchs fehlt der Informatikbranche, gefolgt von der Gebäudetechnik und der Baubranche. 
07.07.2015, 06:2907.07.2015, 08:56
Mario Fuchs / Aargauer Zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Das Schuljahr ist zu Ende, die Sommerferien haben begonnen. In wenigen Wochen starten weit über 4000 junge Leute im Aargau in ihre Berufslehre. Doch die Statistik des kantonalen Lehrstellennachweises zeigt: Über 700 Lehrstellen sind noch nicht besetzt (Stand 18. Juni).

Am meisten Nachwuchs fehlt der Informatikbranche: 63 Lehrstellen sind noch offen, das sind 40 Prozent. Für Hakan Erci, Vorstandsmitglied des Branchenverbands ICT-Berufsbildung Aargau, ist dieser Mangel «nichts Neues». Er sagt: «Seit ein paar Jahren bereitet uns die Suche nach Lernenden immer mehr Kopfzerbrechen.»

Schüler informieren sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne zum Thema Informatik.
Schüler informieren sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne zum Thema Informatik.Bild: KEYSTONE

Den Hauptgrund sieht er in der «Qualität der Schulabgänger»: Oft stimmten zwar die Schulnoten, doch sei wenig Arbeitswille und Eigeninitiative vorhanden. «Wir haben viele Kleinbetriebe. Die nehmen lieber keinen Lernenden als einen Faulen», sagt Erci. Hinzu komme, dass man bei den Lehrern kaum mehr eine Lobby habe.

Sanitärbranche mit Imageproblemen

«Seklehrer sagen ihren Schülern, ihr müsst euch gar nicht bewerben, ihr habt sowieso keine Chance. Und Bez-Lehrer schicken ihre Schüler an die Kantons- oder Mittelschulen.» Erci hofft nun auf den Juli und den August: Dann werden erfahrungsgemäss noch zahlreiche Lehrverträge abgeschlossen.

Am zweitmeisten Lernende fehlen in der Gebäudetechnik. Hier sind es 84 offene Ausbildungsplätze (32 Prozent). Laut Renate Kaufmann, Geschäftsleiterin des Branchenverbands Suissetec Aargau, seien die Zahlen beim Heizungsinstallateur auf Vorjahresniveau, beim Spengler leicht darunter.

«Einen grossen Einbruch haben wir aber beim Sanitär», sagt Kaufmann. Warum, sei schwierig zu sagen. «Der Beruf ist wohl zu wenig attraktiv und zu wenig bekannt.» Man habe feststellen müssen, dass viele Jugendliche gar nicht mehr wüssten, was ein Sanitär überhaupt mache, denn: «Das Wasser kommt ja einfach zum Hahnen heraus.» Der nationale Verband Suissetec unternehme «grosse Anstrengungen», um junge Leute wieder für Beruf zu begeistern.

«Müssen oft bei den Lehrern und Eltern Türen öffnen»

Auch die Suissetec-Lehrbetriebe stellen gewisse Anforderungen an Lernende. Falls jemand nicht oder nur unter Vorbehalt für eine Lehre mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis geeignet sei, bestehe auch die Möglichkeit, stattdessen eine Ausbildung mit Attest abzuschliessen. «Wir appellieren an unsere Lehrmeister, dass dies gut geprüft wird, denn zuletzt hatten wir deswegen leider viele Lehrabbrüche und Vertragsumwandlungen.»

Bauarbeiter auf der neuen Staumauer mit dem Stausee auf der Muttenalp im Glarner Grosstal bei Tierfehd im Kanton Glarus.
Bauarbeiter auf der neuen Staumauer mit dem Stausee auf der Muttenalp im Glarner Grosstal bei Tierfehd im Kanton Glarus.Bild: KEYSTONE

An dritter Stelle bei der Anzahl noch offener Ausbildungsplätze steht mit 124 (30 Prozent) die Baubranche. Pascal Johner, Geschäftsführer des Aargauer Baumeisterverbands, prognostiziert, dass die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge in etwa gleich hoch sein wird wie im Jahr 2014.

Jetzt auf

«Dies aber nur dank grossem Aufwand», betont Johner. Auch er sieht das Handicap im Image der angebotenen Berufe: «Wir müssen oft bei den Lehrern und Eltern Türen öffnen.» Im Bau müsse man natürlich anpacken können – aber nicht nur. Und auch er hofft auf Juli und August: «Das waren immer starke Monate.» Gemäss Gesetz können Lernende bis drei Monate nach Berufsschulstart einsteigen. (aargauerzeitung.ch)

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Unchruut
07.07.2015 07:12registriert Januar 2015
Die Schüler, die "so wenig Eigeninitiative" zeigen, sind auch oft gerade 14-16 Jahre alt. Wenn Sie noch nicht super aktiv und eigeninitiativ sind muss das ja nicht heissen, dass sie zu faul sind. Zudem ist dies meiner Meinung nach ca. 1 Woche schnuppern (und das ist noch lang) oder einem Vorstellungsgespräch, indem man möglichst anständig und brav rüberkommen soll kaum zu beurteilen!
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kuhrix
07.07.2015 08:38registriert Juni 2014
In der Informatik haben sie auch immer das Gefühl sie bräuchten allwissende Musterschüler welche schon programmieren können. Mit 15 Jahren und nach ein paar Schnuppertagen hat man halt noch keine Ahnung vom Beruf. Ich war und bin selber faul und nur ein durchschnittlicher Schüler, dennoch habe ich dieses Jahr ohne Probleme meine Informatik-Lehre abgeschlossen. Bei einem guten Lehrmeister kann auch ein schwacher Schüler aufblühen. Es liegen sowieso Welten zwischen Praxis und Theorie. Hauptsache man jammert am Schluss über die Eigeninitiative von 15-Jährigen.
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stadtzuercher
07.07.2015 07:24registriert Dezember 2014
der damalige präsident von economiesuisse rudolf wehrli ist ja selbst als beispiel vorangegangen und hat bei seiner globalen firma clariant aufgehört, lehrlinge auszubilden. neoliberaler economiesuisse-abzocker. da darf man für die viel kleineren kmu ruhig etwas verständnis aufbringen in sachen lehrlingausbildung.
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