In seiner aktuellen Lageeinschätzung wählt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit deutliche Worte: Bei der Vogelgrippe deute vieles «auf eine neue Seuchensituation hin». In der Öffentlichkeit ist diese Nachricht bisher kaum durchgedrungen. Doch europaweit ist die Situation besorgniserregend: Das Virus wütet so stark wie nie. Die aktuelle Epidemie dauert seit Herbst 2021 an; zum ersten Mal gab es auch über den Sommer Ausbrüche. Über 50 Millionen Hühner, Enten oder Gänse mussten bereits getötet werden.
In der Schweiz dürfen Geflügelbetriebe ihre Tiere wegen der Ansteckungsgefahr seit fast vier Monaten nicht mehr ins Freie lassen. Auch «Freilandhühner» müssen sich mit Stall und Wintergarten begnügen. Der Bund hat den Hausarrest für Geflügel erst kürzlich bis Ende April verlängert. Das Virus verbreite sich vermehrt unter einheimischen Wildvögeln, begründete er den Entscheid.
In der Vergangenheit trat die Vogelgrippe vor allem im Herbst und Winter, zur Reisezeit der Zugvögel, auf. Nun grassiert der hochansteckende Erreger also ganzjährig. Am Dienstag wurde der dritte Vogelgrippe-Ausbruch in einer Schweizer Tierhaltung bekannt. In einem privaten Betrieb im zürcherischen Fehlaltdorf fielen 40 Legehennen dem Virus zu Opfer.
Wegen der Vogelgrippe sowie der gestiegenen Produktionskosten sind Eier in der EU schon seit Monaten knapp. Britische Supermärkte hatten den Verkauf zwischenzeitlich gar rationiert. Droht nun, ausgerechnet vor Ostern, auch hierzulande ein Eier-Engpass? Es könne in den nächsten Wochen vorkommen, dass nicht immer alle Eier-Produkte in den Läden verfügbar sind, sagt Raphael Zwahlen, Geschäftsführer von Gallo Suisse, dem führenden Verband der Eierproduzenten.
Dennoch ist Zwahlen optimistisch, dass die Eier-Krise ausbleibt: Selbst wenn im Worst-Case-Szenario in mehreren grossen Ställen die Vogelgrippe ausbreche, sei die Versorgung gesichert. Die fehlenden Eier könne die Schweiz mit ihrer hohen Kaufkraft importieren - trotz der Engpässe auf dem europäischen Markt. Der grosse Eierhändler Eico bestätigt, dass wegen der hohen Nachfrage über Ostern bei wenigen Produkten aus Schweizer Eiern teilweise auf Import-Eier umgestellt werden muss.
Dass hierzulande die Verfügbarkeit knapp ist, liegt laut Zwahlen nicht an der Vogelgrippe, sondern indirekt am Coronavirus. In den Pandemie-Jahren hätten viele öfter zu Hause gekocht und dadurch mehr Eier konsumiert. Danach sei der Absatz jedoch wieder zurückgegangen. Als Gegenreaktion hätten Bauern Kapazitäten abgebaut. Noch hat sich die Produktion nicht wieder eingependelt.
Die Lagerbestände dürften wohl bis auf Weiteres knapp bleiben, sagt Zwahlen. Derzeit sei es nicht attraktiv, in den Eiermarkt einzusteigen. Die Produktionskosten seien – wenn auch nicht so stark wie in den Nachbarländern – auch in der Schweiz angestiegen. Die Mehrkosten würden nicht vollumfänglich abgegolten.
Für Diskussionen sorgt zudem, dass Schweizer Eier nach wie vor mit «Freiland» deklariert sind - obwohl die Legehennen nicht auf die Weide dürfen. Josianne Walpen von der Stiftung Konsumentenschutz sagte gegenüber dem «Tages-Anzeiger», dass es sich hierbei um eine Täuschung der Kundschaft handle. Sie fordert gut sichtbare Kleber auf den Eierkartons, wo der eingeschränkte Auslauf deklariert wird.
Sowohl in der Schweiz als auch in der EU gilt, dass Anforderungen an die Tierhaltung während bis zu 16 Wochen untergraben werden dürfen, ohne das entsprechende Label anzupassen. Für die «Freilandeier» ist diese Frist jedoch nun abgelaufen. Der Konsumentenschutz schreibt auf seiner Website, es habe sich schon länger abgezeichnet, dass die Schutzmassnahmen wegen der Vogelgrippe länger aufrechterhalten werden müssten. Er kritisiert deshalb, dass die Branche offenbar erst jetzt Lösungen erarbeitet.
Die Interessengemeinschaft Detailhandel, der Migros und Coop angehören, schreibt auf Anfrage, die Kleber-Variante habe sich in der Prüfung als nicht zielführend erwiesen. Die Eier-Verpackungen anzupassen, brauche mindestens ein halbes Jahr Vorlauf. Deshalb habe man sich entschieden, Hinweisschilder an den Regalen anzubringen. Langfristige Alternativen seien noch nicht spruchreif.
In den Coop-Filialen hängen seit wenigen Tagen bereits Schilder bei den Eiern. «Zum Schutz vor Wildvögeln ist der Auslauf der Freilandhennen aktuell auf den Aussenklimabereich beschränkt», steht darauf. Auch die Migros bestätigt auf Anfrage, Schilder in ihren Läden montiert zu haben.
Den Bauern wird für die «Freilandeier» nach wie vor der gleiche Preis vergütet. Für Geflügelzüchter Zwahlen ist das selbstverständlich. Nur weil die Hennen nicht mehr ins Freie dürfen, könne der Bauer die Wiese ja nicht anders nutzen. Nebst dem Auslauf im Grünen halte die Freilandhaltung weitere Standards ein. Im Wintergarten seien etwa ein Sandbad und Sitzstangen Pflicht.
Schon seit einigen Monaten spüre man im Markt die Teuerung, sagt der Gallo-Suisse-Geschäftsführer. «Ein Teil der Kundschaft kauft Eier jetzt ein Niveau tiefer ein», sagt er. «Wer früher Bio kaufte, greift jetzt zu Freilandeiern. Statt Bodenhaltung werden wieder öfter importierte Eier gekauft.»