Der Swissair-Prozess endete vor 15 Jahren mit einer Blamage für die Staatsanwaltschaft. Alle 19 Angeklagten wurden freigesprochen und erhielten eine Entschädigung. Es war keine Überraschung, denn beim Untergang des fliegenden National-Symbols war keine kriminelle Energie im Spiel, sondern ein Mix aus Selbstherrlichkeit und Überforderung.
Nun steht auch das Urteil im grössten Schweizer Wirtschaftsprozess seit der Aufarbeitung der Swissair-Pleite fest. Und dieses Mal war die Überraschung beträchtlich: Das Bezirksgericht Zürich verurteilte den früheren Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis. Sein Mitstreiter Beat Stocker erhielt vier Jahre.
Es war nicht nur eine «Alibi-Verurteilung», um dem Staat eine Entschädigung wegen der je 106-tägigen Untersuchungshaft zu ersparen. Das dreiköpfige Bezirksgericht folgte in den meisten Punkten der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Vereinzelt gab es Freisprüche, weshalb die Strafen geringer ausfielen als die beantragten je sechs Jahre Haft.
Dennoch waren die Medienvertreter im Volkshaus erstaunt über die Höhe des Strafmasses. Denn mit einer Verurteilung rechnen konnte man im Vorfeld einzig bei Vincenz’ grosszügiger Verwendung der Firmenkreditkarte für private Eskapaden. Seine Besuche in Stripclubs und Cabarets seien «nicht im Interesse von Raiffeisen» gewesen, so das Gericht.
Umstrittener waren die vier Firmenübernahmen, bei denen Vincenz und Stocker durch heimliche Beteiligungen abkassiert haben sollen. Die Anklage stützte sich in erster Linie auf einen Berg von Indizien ab, die von den Verteidigern in ihren Plädoyers teilweise genüsslich zerpflückt wurden. Selbst Fachleute zweifelten an der Qualität der Anklageschrift.
Das Gericht aber ist ihr nun in weiten Teilen gefolgt, was der leitende Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel nach der Urteilsverkündung mit Genugtuung zur Kenntnis nahm. Erkennbar war in der mündlichen Begründung des vorsitzenden Richters Sebastian Aeppli auch das Bemühen um eine differenzierte Beurteilung der vier Transaktionen.
Über den konkreten Fall hinaus hat das Raiffeisen-Urteil eine hohe Symbolwirkung. Man kann es als Signal interpretieren gegen die Abzocker-Mentalität, die auch die vermeintlich biedere und grundsolide Welt der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erfasst hat. Denn letztlich spielten sich die Machenschaften in dieser Sphäre ab.
Dies wiederum trägt zum oft beklagten Vertrauensverlust in die Schweizer Wirtschaft bei, der in diversen politischen Entscheiden der letzten Zeit zum Ausdruck kam. «Das Signal an Wirtschaftsführer, die Geschäfte im Graubereich betreiben und diese ihren Arbeitgebern nicht offenlegen, ist auf jeden Fall abschreckend», heisst es in einer Einschätzung der NZZ.
Im Fall von Pierin Vincenz kommt eine persönliche Komponente hinzu: Der joviale Bündner inszenierte sich gerne als bodenständiger «Volksbanker», pflegte aber gleichzeitig einen «Goldküsten-Lifestyle». Auch wenn es in juristischen Verfahren in erster Linie um Paragrafen und Präzedenzfälle geht, darf man solche psychologischen Aspekte nie unterschätzen.
Vincenz verliess das Volkshaus kommentarlos. Sein Anwalt Lorenz Erni kündigte an, das Verfahren ans Obergericht weiterzuziehen. Sollte das Urteil durch alle Instanzen bestätigt werden, muss der einstige Liebling der People-Medien auch nach Abzug der U-Haft definitiv ins Gefängnis. Es wäre ein tiefer und nach Ansicht des Gerichts selbst verschuldeter Fall.
Gewiss ein Warnschuss für andere 🙄