Es ist eine Zahl, die stutzig macht. Fast 175'000 Tonnen Rohöl importierte die Schweiz im vergangenen Jahr aus Aserbaidschan. Die Autokratie aus Zentralasien katapultiert sich damit auf den vierten Rang der Importstatistik, die das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit jährlich erstellt. Das Öl hat einen Wert von 152 Millionen Franken.
Auch andere Länder wie Kasachstan, Nigeria oder die USA profitierten davon, dass die Schweiz nach Corona wieder deutlich mehr Öl einfuhr. Im Fall von Aserbaidschan ist aber besonders, dass das Land seit 2016 eigentlich ein bedeutungsloser Händler für die Schweiz war. Jahrelang bewegte sich der Anteil an aserbaidschanischem Rohöl an der gesamten Importmenge zwischen 0 und 0.1 Prozent. 2022 schoss dieser auf 6 Prozent. Wie kam es zu diesem sprunghaften Anstieg?
Gebaut wurde sie einst, um den Einfluss Russlands zu schmälern: Eine rund 1800 Kilometer lange Röhre verbindet die Ölfelder im aserbaidschanischen Baku über Georgien mit den Mittelmeerhäfen von Ceyhan in der Türkei. Die Pipeline ist derzeit von existenzieller Bedeutung für Aserbaidschan: Beide Alternativen für die europäischen Märkte enden im Schwarzen Meer - und dort beeinträchtigen Meldungen von herumtreibenden Seeminen aus dem Ukraine-Konflikt den Handel.
Aserbaidschan spürte eine steigende Nachfrage nach Öl, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die EU früh nach Putins Ukraine-Invasion über ein russisches Embargo nachdachte. Im Juni rangen sich die Mitgliedsstaaten schliesslich zu diesem Schritt durch, im Dezember vergangenen Jahres trat er in Kraft.
Immer wieder machten aber Medienberichte die Runde, die Zweifel säten am aserbaidschanischen Ölwunder. Während die aserbaidschanischen Medien über zunehmende Exporte berichteten, schien die Förderung im vergangenen Jahr zurückzugehen. So legen es unter anderem Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) nahe. Letzteres war keine Überraschung: Seit Jahren ist die aserbaidschanische Erdölproduktion rückläufig. Erst mit der Erschliessung von neuen Ölfeldern im kaspischen Meer wird erwartet, dass Aserbaidschans Haupteinnahmequelle wieder besser fliesst.
Offizielle Zahlen gibt es vom aserbaidschanischen Regime nur selten, und wenn, dann lassen sich damit nur selten Vergleiche über mehrere Monate oder Jahre anstellen. So berichtet es etwa «Eurasianet», eine unabhängige Nachrichtenagentur aus Zentralasien. Um die erhöhte Nachfrage zu decken, importiere Aserbaidschan drum Öl aus den umliegenden Staaten: Turkmenistan, Kasachstan - und Russland.
Aserbaidschan, das von den westlichen Sanktionen nicht betroffen ist, unterhält eine komplizierte Beziehung zu Putin. Schliesslich ist Russland Schutzmacht von Armenien im Konflikt um Bergkarabach. Zuletzt zeigte Russland aber kaum Willen, Armenien im Widerstand gegen Aserbaidschans Eroberungszüge zu unterstützen.
Aserbaidschan spielt auch für Europa eine grosse Rolle. Im Bestreben, sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu lösen, schloss EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangenen August eine Energiepartnerschaft mit Aserbaidschan. Wenige Wochen später unterzeichnete Aserbaidschan wiederum einen Gas-Deal mit Russland.
Wiederholt sich diese Geschichte nun auch beim Öl - und landen damit am Ende sogar russische Rohstoffe in der Schweiz? Die Schweizer Erdöl-Vereinigung Avenergy will diese Frage nicht beantworten und weist stattdessen darauf hin, dass Importe aus Aserbaidschan «in den letzten Jahren sehr starke Schwankungen gezeigt» hätten.
Mitte-Nationalrat und Präsident der Gesellschaft Schweiz-Armenien Stefan Müller-Altermatt hingegen hat kaum mehr Zweifel. Er sagt: «Dass Aserbaidschan beim Gas als Gehilfe Russlands wirkt, ist bekannt. Dass man es auch beim Rohöl tut, erstaunt deshalb wenig.» Was Aserbaidschan mache, sei «geradezu pervers»: «Die Petro-Diktatur in Baku biedert sich in Brüssel an als Partner, hintergeht aber diesen Partner und knebelt mit dem Geld aus Europa dann noch das eigene Volk und greift Armenien an.»
Etwas zurückhaltender kommentiert hingegen SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann: Die Angelegenheit unterstreiche die Dringlichkeit für den Ausstieg aus fossiler Energie. Er schlägt den Bogen zur Abstimmung vom Juni, dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative: «Mit den Finanzhilfen zum Ersatz von Öl- und Gasheizungen kann die Schweiz einen grossen Schritt nach vorne machen und die Kriegsfinanzierung von Putin erschweren.»
Da gibts nicht mehr dazu zu sagen. Mit jedem Litter Benzin und jeder Flugreise unterstützt man heute Diktaturen in der ganzen Welt.