Die Credit Suisse soll gemäss einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» über Jahre hinweg auch zwielichtige Figuren als Kunden akzeptiert haben: Autokraten, Drogendealer sowie mutmassliche Kriegsverbrecher und Menschenhändler. Das belegen nach Recherchen der «Süddeutschen Zeitung» (SZ) neue Daten aus dem Geldinstitut, die dem Blatt nach eigenen Angaben von einer anonymen Quelle zugespielt wurden. Die Unterlagen wertete die SZ zusammen mit dem NDR und WDR aus sowie mit mehreren weiteren internationalen Medienpartnern, darunter «Guardian», «Le Monde» und «New York Times». Total sind via Leak Informationen über mehr als 18'000 Konten an die Öffentlichkeit gelangt. Darin seien zeitweise mehr als 100 Milliarden Dollar eingezahlt gewesen.
In einer scharfen Stellungnahme weist die Credit Suisse die Vorwürfe und Unterstellungen über «angebliche Geschäftspraktiken der Bank entschieden zurück». Die dargestellten Sachverhalte seien überwiegend historisch bedingt und reichten teilweise bis in die 1940er-Jahre zurück. Sie würden auf unvollständigen oder selektiven Informationen beruhen, die aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Nach Medienanfragen in den letzten drei Wochen habe die Credit Suisse eine grosse Anzahl der möglicherweise angesprochenen Konten überprüft. Etwa 90 Prozent der überprüften Konten seien heute bereits geschlossen oder man sei dabei gewesen, sie zu schliessen, und zwar bevor die Medienanfragen eingingen.
SP-Präsident Cédric Wermuth setzt nun die von der CS genannten 90 Prozent mit den von den Medien kolportierten 18'000 Konten in Beziehung und rechnet vor, dass folglich noch immer 10 Prozent existierten - und das seien 1800 Konten, betont Wermuth. Die CS will weder die Zahl von 18'000 noch die Rechnung des SP-Politikers kommentieren, sie hält nur fest: «Bei den verbleibenden aktiven Konten ist die Credit Suisse überzeugt, dass die entsprechende Sorgfaltspflicht angewendet wurde und angemessene Überprüfungen und Kontrollmassnahmen im Einklang mit dem aktuellen Regelwerk der Bank durchgeführt wurden.»
Die Credit Suisse könne sich aus rechtlichen Gründen nicht zu potenziellen Kundenbeziehungen äussern. Die Bank nehme die Anschuldigung sehr ernst und werde die Untersuchungen mit einer internen Taskforce unter Einbeziehung spezialisierter externer Experten fortsetzen.
Nein, jedenfalls nicht in der ursprünglichen Form. Das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland wurde abgeschafft, auch wenn sich die Schweiz lange dagegen gewehrt hat. Am 19. März 2008 liess der damalige Finanzminister im Nationalratssaal das Ausland wissen: «Jenen, die das schweizerische Bankgeheimnis angreifen, kann ich voraussagen: An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen.» Nur ein Jahr später, am 13. März 2009, akzeptieren Merz und seine Bundesratskollegen den umstrittenen OECD-Artikel 26 und verzichten damit künftig auf die spitzfindige Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Heute werden Daten in der Regel nicht mehr auf dem Amtshilfeweg ausgetauscht, sondern automatisch - mit Hilfe des sogenannten automatischen Informationsaustausch (AIA), eines von der OECD entwickelten, im Juli 2014 verabschiedeten, globalen Standards.
Die Sorgen um den guten Ruf kommen nicht von ungefähr, in der ausländischen Berichterstattung fällt auf, dass die Abschaffung des Bankgeheimnisses oftmals unerwähnt bleibt, der Mythos Bankgeheimnis lebt im Ausland weiter. Und so wird der Schweizer Bankenplatz nun von ausländischen Medien erneut genüsslich durch den Kakao gezogen. Deutsche Fernsehsender haben einen halbstündigen Fernsehbericht erstellt: «Suisse Secrets: Schmutziges Geld». Der Bericht beginnt mit dem schönen Satz: «Es gibt viele Menschen in der Schweiz, die diesen Film wohl gerne verhindert hätten.» Später fallen Sätze wie:
Der Sender hat unter anderem mit einem amerikanischen Anwalt gesprochen, der ehemalige Mitarbeitende der Credit Suisse und heutige Whistleblower vertritt. Einer dieser Anwaltsklienten beschreibt seine Arbeit bei der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz folgendermassen: Nach 20 Jahren könne er bestätigen, dass die Kultur der Korruption ganz tief verankert sei. Die Regeln seien einfach: Nie schriftlich festhalten, was darauf hindeuten könnte, dass ein Konto nicht den Regeln genüge. Keine Fragen stellen, auf die man keine Antworten wolle. «Und vor allem: Niemals zu viel nachhaken.»
Auch in Bundesbern liefert der neuste Datenleck-Skandal viel Gesprächsstoff. Einige schlagen Alarm, andere verweisen darauf, dass die rapportierten Fälle aus der Vergangenheit stammen. Das Finanzdepartement und das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen wollen sich auf Anfrage zu den Medienberichten nicht äussern. Sie betonen aber: «Die Schweiz erfüllt heute alle internationalen Standards zum Informationsaustausch in Steuersachen und zur Bekämpfung von Geldwäscherei, Terrorismusfinanzierung und Korruption.»
Die Schweiz nimmt seit 2017 am internationalen automatischen Informationsaustausch zu Kontodaten teil, «inzwischen mit über 100 Ländern», wie das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) festhält. Per Anfang 2023 sollen weitere 12 Abkommen hinzukommen - unter anderem mit Ecuador, Jordanien, Thailand und der Ukraine.
AIA-Abkommen abschliessen kann die Schweiz grundsätzlich nur mit jenen Staaten, die von der OECD als AIA-tauglich eingestuft werden. Das heisst: Nur mit Ländern, die gewisse Mindestanforderungen etwa in Bezug auf die Datensicherheit garantieren. Das ist etwa im Fall von Venezuela nicht der Fall, weshalb kein Land mit dem südamerikanischen Staat Daten über den AIA austauscht. Die Schweiz ist also hier, anders als teilweise in der «Suisse Secrets»-Berichterstattung insinuiert, kein Einzelfall. Venezuela ist gemäss OECD nicht AIA-tauglich.
Der AIA soll Steuerhinterziehung verhindern. Die Banken müssen aber bei der Annahme von Geldern auch noch andere Sorgfaltspflichten einhalten - etwa in Bezug auf Geldwäscherei, Korruption oder Terrorfinanzierung.
Besondere Vorsicht müssen die Banken bei der Geldannahme von politisch exponierten Personen - sogenannten PEP - walten lassen. Die Finanzhäuser dürfen zwar solche PEP-Kunden haben, müssen aber besondere Sorgfaltspflichten erfüllen, unter anderem muss ein Gremium jedes Jahr bestätigen, dass man weiterhin mit dem PEP geschäften will. Zudem wurde der PEP-Kreis in den vergangenen Jahren ausgeweitet und umfasst neben Regierungsmitgliedern und hohen Funktionären auch weit weniger wichtige Personen sowie deren familiäres, persönliches und geschäftliches Umfeld.
Auch in Bezug auf die PEP kommen die Verschärfungen von der internationalen Staatengemeinschaft her, konkret: von der sogenannten «Groupe d'action financière» (Gafi), welche Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei vorgibt. Die Schweiz übernimmt die neusten Vorgaben jeweils - oder fast: So hat sich das Parlament - ganz zum Missfallen von Finanzminister Ueli Maurer - geweigert, auch Notare und Anwälte, die nicht als Finanzintermediäre agieren, dem Geldwäschereigesetz zu unterstellen.
In ihrer Stellungnahme betont die Credit Suisse, es handle sich grösstenteils um geschlossene Konten, mehr als die Hälfte davon sei gar schon vor 2015 geschlossen worden - und teils würden sie bis in die 1940er-Jahre zurückreichen. Handelt es sich also bloss um alte Geschichten, ohne jede Bedeutung für die Zukunft? Das mag schon sein, wissen tut man es nicht. Wenn die Finanzmarktaufsicht (Finma) sagt, sie stehe mit der Credit Suisse in dieser Angelegenheit in Kontakt, dann bedeutet das ausgedeutscht: Die Behörde prüft nun, ob durch das Datenleak oder die Medienberichterstattung irgendwelche wirklich neuen Informationen aufgetaucht sind - also Informationen, die Rückschlüsse darauf zulassen, ob das Verteidigungsdispositiv gegen Geldwäscherei genügt. Und dieses Dispositiv steht noch immer unter Beobachtung, nachdem die Finma im Jahr 2018 die Credit Suisse gehörig rüffeln musste.
«Finma stellt Mängel bei der Geldwäschereibekämpfung fest», überschrieb die Behörde im September 2018 eine Medienmitteilung. Die Credit Suisse habe in drei Fällen «gegen aufsichtsrechtliche Pflichten zur Bekämpfung der Geldwäscherei verstossen». Unter anderem habe sich nicht gut genug geschaut, mit wem sie da einen Vertrag eingeht, und wer eigentlich wirtschaftlich berechtigt war - also wem das Geld eigentlich gehört. Die Credit Suisse sei zudem auch nicht in der Lage, auf Knopfdruck eine Gesamtsicht zu erstellen über alle Geschäftsbeziehungen, die sie mit einer Kundin oder einem Kunden hat. Das nannte die Finma damals «organisatorische Schwächen».
Die Finma verfügte damals drei Dinge: Neue Massnahmen, mit denen die Credit Suisse ihr Verteidigungsdispositiv verbessern musste; dass die Credit Suisse solche Massnahmen beschleunigt umsetzen musste, die sie bereits ergriffen hatte; und die Finma setzte einen unabhängigen Beauftragten ein, der kontrollieren sollte, ob die Credit Suisse die Massnahmen umsetzt und ob diese wirken. Oder anders gesagt, die Finma sagte der Credit Suisse laut und deutlich, dass sie zu wenig tat gegen Geldwäscherei.
Die Finanzaufsicht Finma sagt, Ja. Für die Behörde zählt in ihrem jährlichen «Risikomonitor» die Geldwäscherei zu den Hauptrisiken für den Schweizer Bankenplatz. Doch ist es laut Finma ein zwangsläufiges Problem: Je grösser und internationaler der Bankenplatz, desto grösser die Risiken mit Geldwäscherei. In einem früheren Bericht fügte die Behörde zu diesem generellen Bild noch an: Sinkende Margen könnten Finanzinstitute dazu verleiten, riskante Geschäftsbeziehungen einzugehen. Obwohl viele Institute ihre Geldwäschereiprävention weiter verbessert haben, vermehrt verdächtige Vermögenswerte erkennen und diese der Meldestelle für Geldwäscherei melden, gelte noch immer: «Die Risiken für Finanzinstitute bleiben im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft hoch.»
Harte Kritik an die Adresse der Schweiz gibt es aus dem Europaparlament: Die Schweizer Banken hätten offensichtlich Defizite im Bereich Geldwäschereiprävention, findet Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der Europäischen Christdemokraten (EVP) im EU-Parlament. Er schlägt deshalb vor, dass die Schweiz als ein Geldwäsche-«Hochrisikogebiet» eingestuft werde.
Den Sozialdemokraten kommt der neuste «Suisse Secret»-Skandal gerade recht: Die Credit Suisse sei der «Problembär im Raum», sagt SP-Chef Wermuth, aber letztlich würden die Schweiz und ihr Finanzplatz an fehlender Regulierung leiden. Zuoberst auf der SP-Wunschliste: Die Abschaffung des Bankgeheimnisses im Inland sowie weitere Verschärfungen der Geldwäschereigesetzgebung. Zudem will die Partei die Finanzmarktaufsicht weiter stärken. Konkret verlangt SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo, dass die Aufsichtsbehörde «Bussen oder weitere Sanktionen gegen fehlbare Finanzinstitute und verantwortliche Personen verhängen» könnte.
Doch der Bundesrat will nichts davon wissen, er will nicht einmal eine Evaluation neuer Aufsichtsinstrumente vornehmen - und hat Birrer-Heimos entsprechendes Postulat am 16. Februar 2022 abgelehnt. Die SP-Nationalrätin hofft nun auf Unterstützung aus dem Parlament, ansonsten will sie ihr Anliegen mittels einer parlamentarischen Initiative nochmals neu einbringen. Finma-Präsidentin Marlene Amstad jedenfalls signalisiert Unterstützung: «Wir sind daran interessiert, einen möglichst kompletten Instrumentenkasten zu haben, und grundsätzlich offen für neue, effektive Instrumente», sagte sie Ende Dezember der «Sonntagszeitung».
Das Gesetz verbietet es Medienschaffenden in der Schweiz, über Enthüllungen aufgrund von gestohlenen oder geleakten Daten zu berichten. Der Artikel 47 wurde 2015 mit einer parlamentarischen Initiative der FDP verschärft. Nun verlangen die Grünen in einem heute eingereichten Vorstoss eine umgehende Revision des Artikels 47. Auch die SP will hier eingreifen.
Für viele Politikerinnen und Politiker hat die Medienfreiheit Grenzen. So hat sich der Ständerat dafür ausgesprochen, die Hürden für superprovisorische Verfügungen gegen Medienberichte zu senken. Das heisst, das Erscheinen von Medienberichten soll einfacher verhindert werden können, wenn sie für jemanden einen schweren Nachteil zur Folge hätten. Zudem hat FDP-Ständerat Andrea Caroni letztes Jahr gefordert, den Quellenschutz bei Medienschaffenden aufzuheben, wenn es in Kommissionen um persönliche Daten von Dritten geht. (saw/aargauerzeitung.ch)
Dieser AIA ist sicher grundsätzlich gut, wenn da alle mitmachen würden. Ich kenne den Einfluss von Venezuela jetzt nicht, kann ich nicht abschätzen. Was ich aber kenne ist die Macht der USA. Auf deren Druck sind wir schliesslich von unseren Regeln zurückgekrebst. Da find ich es halt schon störend, dass Amerika selber nicht mitmacht und dubiose Finanzplätze mit Miami und Delaware betreint