Die Schweiz ist das Bahnland schlechthin, und wenn man so will, dann sind die Schienen ihre Lebensader. 10'700 Züge transportieren täglich 1.26 Millionen Reisende und 210'000 Tonnen Güter. Das hiesige Schienennetz ist eines der meistbefahrenen der Welt. Dass es erst gar nicht zu Verspätungen und Zugausfällen kommt, dafür sorgen sie: die Männer und Frauen von SBB Infrastruktur. In ihren orangefarbenen Kleidern sind sie die Reperateure der Nation.
10'000 Angestellte kümmern sich bei der Konzerntochter um Bau, Betrieb und Unterhalt des Netzes. Eine Schlüsselrolle dabei spielt der Geschäftsbereich Instandhaltung. Seine Mitarbeitenden schleifen und erneuern die Schienen, sie warten die Weichen und stopfen das Schotterbett. «Hammerschläge, Schraubenrattern und Schweissgezische» – so wird der Geschäftsbereich in einer Imagebroschüre beworben. Denn bei der Instandhaltung gebe «Heavy Metal den Takt an».
Heavy Metal? Einem harten Sound folgen auch die andauernden Reorganisationen und Sparprogramme bei den SBB.
In der Infrastruktur-Division steht nun eine weitere Radikalkur bevor – das zeigt ein internes Dokument, das der «Schweiz am Wochenende» vorliegt: Was das Management hinter verschlossenen Türen plant, ist nicht weniger als eine Abkehr von bislang geltenden Prinzipien. Es will die Verantwortung für zentrale Arbeiten an Drittfirmen auslagern, und zwar im grossen Stil.
Ein Insider sagt, bei der Instandhaltung drohe «eine massive Welle des Outsourcings». Zwar halten sich die SBB mit offiziellen Informationen bedeckt. Aber die Marschrichtung steht fest: Die Bundesbahnen legen die Gewährleistung von Aufgaben, die bisher quasi hoheitlich waren, in fremde Hände. Im Endeffekt könnte die Instandhaltung mehrheitlich von Privaten verantwortet werden. So geht es aus einem Konzept hervor, das einen unmissverständlichen Titel trägt: «Beauftragung Dritte». Datiert ist das vertrauliche Papier aus dem Kreis der Geschäftsleitung der Infrastruktur-Division auf Ende Juni 2018.
Dass Arbeiten für die Fahrbahnerneuerung an externe Unternehmen vergeben werden, ist seit geraumer Zeit üblich. Bei acht von zehn Projekten sind Private am Werk; teils sind sie als einfache Auftragnehmer involviert, teils leihen sie Personal aus. Doch die direkte Verantwortung übernehmen sie dabei naturgemäss nicht. Dies ist nur beim «Bauen mit Dritten» der Fall, wie es die SBB nennen. Der entsprechende Anteil beläuft sich aktuell lediglich auf sechs Prozent. Das kommt einem Volumen von 25 Millionen Franken gleich. Aus der Sicht der SBB ist das zu dürftig.
Das Outsourcing habe derzeit «monetär wenig Wirkung», steht im besagten Papier schonungslos. Das Marktpotenzial könne kaum ausgeschöpft werden, es herrsche eine «wenig ausgeprägte Wettbewerbsfähigkeit». Was also tun? Das Mantra der SBB lautet «mehr Markt».
Gemäss dem Papier sollen Drittanbieter in den nächsten Jahren die Verantwortung für die Hälfte der Arbeiten übernehmen – und sich so für die Erneuerung von 100 Kilometer Fahrbahn verantwortlich zeichnen. Das entspräche einem Volumen von mehr als 200 Millionen Franken. Das Konzept schlägt «neue Beschaffungsmodelle» vor, die Rede ist von Rahmenverträgen mit ausgewählten Generalunternehmern. Wer dafür infrage kommt, gilt unter Branchenkennern als ausgemacht: Der Markt der Gleisbauer wird in der Schweiz von der Scheuchzer SA aus der Waadt und der Zürcher Sersa-Group dominiert.
Nach mehreren Nachfragen bestätigen die SBB: Es bleibt nicht bei Planspielen. Bis im Jahr 2025 soll der Anteil der «externen Vergaben mit Ausführungsverantwortung» von 6 auf rund 50 Prozent erhöht werden. Der Anteil könne sowohl nach oben als auch nach unten variieren, heisst es. Damit solle ein «interner und externer Wettbewerb zugelassen werden», sagt ein Sprecher.
Bei den Rahmenverträgen mit externen Firmen seien keine festen Zielgrössen vorgesehen. Es gehe darum, «die vorhandenen Mittel noch besser einsetzen zu können» und Drittfirmen mit direkter Verantwortung auszustatten, auch das bestätigen die Bundesbahnen. Das Projekt «Beauftragung Dritte» ist am 1. Oktober angelaufen. Zurzeit würden «die ersten Stossrichtungen» definiert und die künftigen Modelle erarbeitet, so der SBB-Sprecher weiter.
Man erhoffe sich «mit neuen Beschaffungsmodellen mehr Innovation von den Unternehmungen und damit auch einen effizienteren Einsatz der Steuergelder».Stehen infolge der Outsourcing-Welle auch Jobs zur Disposition? Stellen würden keine gestrichen, betonen die SBB. Bei der Instandhaltung werde es zu einer Umverteilung kommen, nicht zu einem Abbau.
Wie lange diese Aussagen bestand haben, ist freilich eine andere Frage. Im vertraulichen Papier des Managements wird neben der Verschiebung von Stellen auch eine Reduktion ebendieser erörtert – ob sich dahinter letztlich auch bloss «Umlagerungen» verbergen, wie es im Manager-Jargon genannt wird, geht nicht hervor. Die Arbeitnehmervertreter jedenfalls schlagen Alarm. Konfrontiert mit dem Vorhaben der SBB, zeigen sie sich beunruhigt.
Urs Huber ist bei der Eisenbahner-Gewerkschaft SEV für die Infrastruktur-Division zuständig. «Von den nun bekannt gewordenen konkreten Absichten und Folgen wussten wir nichts», sagt er. «Sonst hätten wir sicher schon lange reagiert.» Der Gewerkschaftssekretär sieht unzählige Stellen in Gefahr und verlangt «ein sofortiges Treffen mit den SBB-Verantwortlichen».
Die Folgen des Outsourcings hält Huber für dramatisch. «Jede Reorganisation vernichtet schon jetzt fortlaufend Know-how, Wissensträger laufen davon. Dabei fehlen die schon heute überall», kritisiert er. Die SBB-Chefs gingen lieber fremd als eigenes Personal zu bezahlen, getreu der Devise: «Koste es, was es wolle».
Für den SEV-Mann führt das in eine Abwärtsspirale. «Die Privaten werden nur an den guten Aufträgen interessiert sein, den SBB bleibt der unattraktivere, aber wichtige Rest wie das Störungsmanagement», sagt Huber. «Das wird dann erst recht teuer und ineffizient.»
Aus der Perspektive der SBB schreibt die neuste Radikalkur letzten Endes nur die Gegenwart fort. Sie verweisen darauf, dass im vergangenen Jahr mit 212 Kilometern markant mehr Fahrbahn erneuert worden ist. Trotzdem ist der Rückstand beim Unterhalt noch immer riesig, Ende 2017 betrug er 5.3 Milliarden Franken.
Ohne Gegenmassnahmen müssen 20 Prozent mehr Mittel in den Unterhalt gebuttert werden, so eine Schätzung von 2016. Im Sommer dieses Jahres sperrten die SBB erstmals ganze Strecken, um die Arbeiten einfacher organisieren zu können. Die Zuschüsse der öffentlichen Hand sind nicht grenzenlos. Der Kostendruck ist hoch, der Druck auf die Mitarbeitenden auch.
Das Personal habe schon viele Opfer erbringen müssen, kritisiert Gewerkschafter Huber. Die Bähnler sind mit einem Geflecht aus Umstrukturierungen und Sparprogrammen konfrontiert. Allein die Infrastruktur-Division hat seit 2016 über 380 Stellen abgebaut. Betroffen waren vor allem Mitarbeitende in administrativen Funktionen. Bis im Jahr 2020 müssen den offiziellen Zielen zufolge 260 weitere Stellen bei SBB Infrastruktur abgebaut werden.
Konzernweit sollen bis im Jahr 2020 rund 1400 Jobs verschwinden, während parallel kräftig in die Digitalisierung und die Automatisierung investiert wird. So will es das Programm «Railfit 20/30», das die SBB-Rechnung um 1.2 Milliarden Franken entlasten soll. Und weil das offenbar noch nicht ausreicht, will die Konzern-Spitze ihren Laden mit einem Programm namens «SBBagil2020» stärker am Markt ausrichten. Ob das wiederum auch Folgen für die Infrastruktur-Division hat, wagen selbst Gewerkschafter kaum abzuschätzen.
(aargauerzeitung.ch)