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SRF-Arena zum Filmgesetz: Streit über Lex Netflix

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«Gleich lange Spiesse» wird zur Dauerfloskel in der «Arena»

Mitte Mai stimmt die Schweiz über das Filmgesetz ab. Die SRF-«Arena» veranstaltete dazu am Freitag eine Abstimmungssendung.
09.04.2022, 04:4010.04.2022, 07:23
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Über was diskutiert man eigentlich? Politische Siege können häufig errungen werden, wenn man diese Frage für sich entscheiden kann. Das zeigte einmal mehr die Debatte zur Abstimmung über das sogenannte Bundesgesetz über Filmproduktion und Filmkultur: Die eine Seite spricht häufiger vom Filmgesetz, die andere von der «Lex Netflix».

Die Absichten dahinter sind klar: Man will Pflöcke in der Meinungsbildung einschlagen. Den Befürworterinnen und Gegnern der Abstimmungsvorlage kam es deshalb wohl recht, dass die SRF-«Arena» dazu bereits relativ früh die Abstimmungssendung ausstrahlte. Der Urnengang ist zwar erst am 15. Mai – abgestimmt wird aber über fünf Vorlagen. Wird bereits früh über das Filmgesetz diskutiert, so können beide Seiten bereits früh diktieren, worüber eigentlich debattiert werden soll.

Die Sendungsredaktion konnte dafür hochkarätige Gäste finden. Getreu dem Ausgewogenheitsgebot wurden je vier Befürworter und Gegnerinnen eingeladen. Ihre Voten wurden sekundengenau gemessen, damit alle gleich viel Redezeit bekommen. Zudem mussten sich beide Seiten je einmal den kritischen Fragen von Moderator Mario Grossniklaus im Prüfstand stellen.

So weit die Grundlagen, an denen niemand etwas auszusetzen hatte (mit Ausnahme der SVP, die nach wie vor die Sendung boykottiert). Die Sache mit «Pflöcke einschlagen» wurde aber schon zu Beginn der Debatte exzessiv betrieben. Den ersten Punkt dabei konnte Bundesrat und Kulturminister Alain Berset (SP) erzielen: Er lieferte schon in seinem ersten Statement die Floskel «gleich lange Spiesse». Diese war im Verlauf der Sendung mehrmals zu hören. Bersets Position dazu zusammengefasst: Es brauche Fairness und ein Mithalten mit der digitalen Entwicklung des Filmkonsums. Da sei es «nur logisch, dass ein Teil der Gelder in der Schweiz investiert wird».

Video: watson/srf

Grossniklaus präsentierte sich schon in diesem «Eins-zu-eins» als guter, kritischer Nachfrager. Er brachte das Beispiel des gefloppten Schweizer Filmdramas Nachtlärm und wollte wissen, wieso sowas durch enorme Summen an Bundesgeldern gefördert werden solle. Berset erwiderte kurz: Es gehe um Vielfalt und Risiko … und ja, es könne mal passieren, dass ein Film floppt. Unter dem Strich sehe er aber viele Erfolge bei Schweizer Filmen. Dies müsse man auch als «Chance für das Land» sehen, so der Kulturminister.

Auch der Jungfreisinnigen-Chef Matthias Müller war voller Pathos, als er über die Schweizer Filmkultur sprach – dieses nutzte er aber für Nein-Argumente: «Ausländische und Schweizer Streamingdienste werden gezwungen, jährlich eine Zwangsinvestition zu leisten – sie werden diese logischerweise auf uns Konsumenten abwälzen, was höhere Abo-Preise bedeutet.» Die Formulierung «Zwangsinvestition» (und später «Filmsteuer») waren der Pflock der Gegnerseite.

Video: srf/arena

Mit dieser Ausgangslage war die Debatte eigentlich schon bestimmt: Andrea Gmür, Mitte-Ständerätin aus dem Kanton Luzern, widersprach dem Filmsteuer-Argument: «Das ist falsch! Es ist eine Investition in den Schweizer Film.» Das Gesetz sei sogar eine KMU-Vorlage, weil Schweizer Filme und Serien beim lokalen Gewerbe konsumieren und einkaufen würden. Dies werde durch die «gleich langen Spiesse» für Netflix und Co. gefördert.

Gewerbeverband-Chef Hans-Ulrich Bigler wollte das nicht unkommentiert lassen: Er glaube nicht, dass die paar «Tatorte» aus Luzern die Innerschweizer KMUs retten würden (womit er recht hat: Seit 2019 gibt’s keine Luzerner «Tatorte» mehr). Biglers wichtigeres Argument drehte sich aber um den «Investitionszwang», mit dem er ans wirtschaftsliberale Gewissen von Ständerätin Gmür appellieren wollte: Diese erschaffe einen Beamtenapparat und bedrohe Arbeitsplätze bei Privatfernsehsendern.

Flankiert wurde er dabei vom Privatfernsehen-Verbandspräsidenten Roger Elsener: Das Argument der «gleich langen Spiesse» sei absurd, weil Ressourcen verschoben werden würden und dies einen Stellenabbau zur Folge hätte. Besonders gravierend sei das fürs Regional-TV. Diese Darstellung der «gleich langen Spiesse» passte wiederum der GLP-Nationalrätin Melanie Mettler nicht: Es seien in erster Linie ausländische TV-Sender wie RTL und Co. gemeint. Sie müssten mit dem Filmgesetz einen Teil ihrer Werbeeinnahmen künftig in der Schweiz investieren.

Video: srf/arena

Berset wünschte sich dazu einen Faktencheck (der in kommenden Tagen auch bei watson kommen wird) und kritisierte die Behauptung, das Filmgesetz treibe die Abo-Preise von Netflix und Co. in die Höhe. Die Tatsache, dass in anderen Ländern trotz Investitionspflichten tiefere Abo-Preise verlangt werden, zeige das: «Wieso ist das so? Wegen des Wettbewerbs. Und für diesen Wettbewerb brauchen wir gleich lange Spiesse.»

Mit solchen Statements wurde den Zuschauenden klar, dass das Ja-Lager mit vorgewählten Politfloskeln den Diskurs bestimmen will. Die Befürworter landeten damit aber einen Sieg: Sie brachten die Gegnerinnen dazu, sich mit ihrer Metapher der «gleich langen Spiesse» zu befassen, was aus Sicht der Politkommunikation eine gewinnbringende Strategie ist.

Das Nein-Lager schaffte das mit dem Bild der «Zwangsinvestition». Hans-Ulrich Bigler erwähnte dafür wieder den gescheiterten Film Nachtlärm: «Sagen Sie mir, Herr Bundesrat, wieso soll der Staat für einen unbeliebten Film eine finanzielle Risikogarantie abgeben?» Er kitzelte damit von Berset das erneute Geständnis heraus, dass sowas ja mal passieren könne.

«Sie können das Investitionsverpflichtung nennen, wir dürfen es Filmsteuer nennen. Am Ende bleibt es aber eine Zwangsinvestition.»
Matthias Müller, Präsident Jungfreisinnige

Jungfreisinnigen-Chef Matthias Müller gelang dies ebenfalls mit der Aussage: «Wir müssen die ganz einfachen Dinge sehen: Wir haben hier einen ‹System Change›. Sie können das schönfärberisch Investitionsverpflichtung nennen, wir dürfen es Filmsteuer nennen. Am Ende bleibt es aber eine Zwangsinvestition.» Es sei deshalb unfair, wenn Streamingdienste oder Konsumenten für Filme zur Kasse gebeten werden, die niemand schauen wolle.

Video: srf/arena

Ständerätin Gmür musste sich nach dieser Aussage zur Qualität der einheimischen Filmindustrie äussern. Sie tat das widerwillig, aber inhaltlich gelungen: «Ich finde diesen Vorwurf hanebüchen! Wir haben eine tolle Filmbranche: Sie brachte uns Kassenschlager wie ‹Göttliche Ordnung›. Ich will, dass unsere Swissness auch im Ausland gesehen wird.»

Auch Filmgesetz-Gegner und Publizist Alex Bänninger durfte sich dazu äussern: «Es gibt eine einzige Garantie und sonst gar keine: Es wird mehr Filme geben. Ich habe aber meine Zweifel, ob es bessere werden.» Er stützte sein Argument darauf, dass Schweizer Filme heute nur sehr wenig geschaut werden.

Filmproduzent und Befürworter Michael Steiger widersprach dem und sagte: «Ja, es gibt zurzeit noch keinen Schweizer Film, der von/mit/für Netflix produziert wurde.» Mit dem Filmgesetz würde sich das ändern: Die Kulturbranche könne mit den Streaminganbietern an den Verhandlungstisch treten und neue Produktionen entwickeln. Energisch betonte er an die Adresse von Jung-FDP-Chef Müller: «Ich sage Ihnen, ich kenne die Leute von Netflix! Wenn wir die vier Prozent Förderquote nicht reinbringen, verpasst die Schweiz den Zug nach Europa.»

«Das müssen wir unbedingt noch anschauen.»
Bundesrat Alain Berset zum Abstimmungsbüechli-Fehler

Damit meinte er die Regelungen in den anderen Ländern: Vielerorts gibt es bereits Abgabe- und Investitionspflichten für Streamingdienste. Bundesrat Berset appellierte dazu an die Bevölkerung, das Filmgesetz anzunehmen, damit die Schweiz nicht als letztes Land nachzieht. Die «Arena»-Redaktion überraschte bei diesem Punkt aber mit einem Faktencheck: Sie zeigte eine Karte aus dem Abstimmungsbüechli, welches genau dieses Argument unterstreichen soll. Während der Sendung konnte sie aber Fehler und Ungenauigkeiten in den Erläuterungen des Bundesrates nachweisen.

Video: srf/arena

Als Quelle gibt der Bundesrat die «Europäische Audiovisuelle Informationsstelle» an, ihre Daten wurden aber nicht korrekt ins Abstimmungsbüchlein übernommen. Konkret für Schweden oder die Niederlande. Kulturminister Alain Berset musste schmunzeln, versuchte sich zu erklären und versprach dann nach Grossniklaus' Nachhaken: «Das müssen wir unbedingt noch anschauen.»

Bonus: Alle «gleich lange Spiesse»

Video: watson/srf
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84 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Butternut
09.04.2022 07:38registriert Februar 2014
Gute Ideen werden auch ohne das Netflix Gesetz von den Streamingdienste umgesetzt.
Sah man bei der Serie Tschugger , hier hatte dass SRF kein Interesse . Erst als Sky dabei war , gab das SRF auch Geld . Also gute Schweizer Ideen haben eine Chance auch ohne Lex Netflix.
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M.Ensch
09.04.2022 07:56registriert März 2020
Abgaben dieser Art sind Zwängerei. Die Schweiz wird deshalb nicht bessere Filme abliefern als bisher. Es gibt genug Möglichkeiten , sich Schweizer Produktionen anzuschauen für alle, die das wollen. Den Konsumenten zusätzlich über Abopreise zur Kasse zu bitten, für etwas, das er nicht unbedingt häufiger schaut, ist unfair.
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Lowend
09.04.2022 10:45registriert Februar 2014
Warum wollen eigentlich Bürgerliche immer, dass möglichst viel Geld von uns Schweizer:innen auf Konten ausländischer Firmen landen? Egal ob Mediengesetz, Filmgesetz, bei erneuerbaren Energien, oder wo auch immer ein Gesetz den heiligen Markt regeln soll, kommt sofort Fundamentalopposition von denen.

Interessanterweise sind es dann auch die gleiche, die nach staatlichen Hilfen rufen, wenn der Markt mal zu ihren Ungunsten spielt, weil Preise wegen Krisen steigen und ihre Profite gefährden. Ich finde das ziemlich unredlich!
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