Seit Montag ist die Schweizer Börse um einen Titel reicher. Der Baustoffkonzern Holcim hat den Spin-off seines Nordamerikageschäfts namens Amrize an die Börse gebracht. Bei dem Referenzpreis von 46 Franken pro Aktie beträgt die Marktkapitalisierung von Amrize rund 26 Milliarden Franken. Zu Handelsbeginn verlor die Aktie allerdings gleich mehrere Prozentpunkte, wodurch gleich einige virtuelle Milliarden verbrannt wurden. Mittelfristig sehen Analysten ein Kursziel von 50 Franken.
Amrize landet direkt im Swiss Market Index (SMI). Der Zuwachs von 20 auf 21 Titel im wichtigsten Schweizer Aktienindex ist allerdings nur temporär: Bei der jährlichen Indexüberprüfung im Frühherbst wird der SMI bereinigt, sodass er ab Montag, 22. September, wieder 20 Titel enthalten wird. Eine solch lange Periode mit 21 Titeln im SMI ist eine Premiere; das war bislang höchstens einen Tag lang der Fall.
Dass Amrize gleich in den SMI integriert wurde, hat damit zu tun, dass Holcim auch schon im Index vertreten ist, also im Club der 20 wertvollsten in der Schweiz börsenkotierten Unternehmen. Amrize wird unter dem Tickersymbol «AMRZ» in sämtliche Indizes aufgenommen werden, in denen auch Holcim bereits drin ist. Alle Aktionäre, die zum Handelsschluss am letzten Freitag eine Holcim-Aktie besassen, erhalten pro Aktie eine weitere von Amrize. Die Abspaltung wird dazu führen, dass sich der Wert von Holcim um den von Amrize reduziert.
Die Entwicklung in den nächsten Wochen wird zeigen, ob Amrize oder eine andere Aktie aus dem SMI rausfällt. Darüber entscheidet die Börsenbetreiberin SIX. Kriterien dafür sind zum Beispiel das Handelsvolumen, aber auch die Durchmischung. Dass langfristig drei Baustoffkonzerne – Holcim, Sika und Amrize – im SMI bleiben, ist eher unwahrscheinlich. Amrize ging am Montag gleichzeitig auch in New York an die Börse; der Titel richtet sich vor allem an US-Investoren.
Die Idee hinter der Abspaltung ist, dass sich Holcim auf das nachhaltige Bauen europäischen Einschlags konzentriert, mit weiteren Standbeinen in Australien, Nordafrika sowie Lateinamerika. Auf der anderen Seite bieten sich für Amrize als eigenständiges Unternehmen in Nordamerika dank weniger strengen Umweltauflagen grosse Wachstumschancen durch langfristige Megatrends. So sind zum Beispiel für die US-Infrastruktur bis 2030 erhebliche Ausgaben vonseiten der US-Regierung anberaumt. Konkret will Amrize in den nächsten Jahren im Schnitt um 5 bis 8 Prozent wachsen und damit 2028 einen Umsatz von 14,2 bis 15,9 Milliarden Dollar erreichen.
Amrize wird von Jan Jenisch als CEO und Verwaltungsratspräsident geführt. Solche Doppelmandate sind in den USA, dem Hauptmarkt von Amrize, üblich. In der Schweiz sind sie aber verpönt. Jenisch kennt das Geschäft gut, war er doch bis vor kurzem Holcim-Verwaltungsratspräsident und davor sieben Jahre lang CEO von Holcim. Davor hat er sich in der Industrie einen Namen gemacht als CEO des Baustoffkonzerns Sika mit Sitz in Baar ZG. Unter seiner Führung hat Sika nicht nur Wachstum und Gewinn massiv gesteigert, sondern auch eine feindliche Übernahme durch den französischen Mitbewerber Saint-Gobain abgewehrt.
Zuletzt musste Jenisch aber viel Kritik einstecken, etwa für seinen rekordverdächtig hohen Vergütungssprung. An der Generalversammlung etwa monierte der einflussreiche Stimmrechtsberater Ethos, dass Jenisch Optionen erhalten hat, die mittlerweile 35,8 Millionen Franken wert seien. «Wir alle haben von einer Verdoppelung des Aktienkurses profitiert», sagte Ethos-Chef Vincent Kaufmann. Aber bei keinem anderen Aktionär hätte sich der Wert der Anteile um den Faktor 39 erhöht. Der Vergütungsbericht wurde trotzdem klar angenommen.
Holcim gilt als eine der Schweizer Industrie-Ikonen. 1912 von Adolf Gygi als Aargauische Portlandcementfabrik Holderbank-Wildegg gegründet, fusionierte die damalige Zementfabrik Holderbank zwei Jahre später mit der Rheintalischen Cementfabrik Rüti des Industriellen Ernst Schmidheiny. Im Verlauf der Jahrzehnte wurde aus dem lokalen Zementwerk ein global tätiger Baustoffkonzern.
Vor einem Jahr wurde bekannt, dass Holcim per Anfang 2026 rund 200 Arbeitsplätze von Holderbank nach Zug verlagert. Die Schliessung des Standorts in Holderbank ist zumindest wirtschaftshistorisch ein einschneidender Schritt. Bis 2001 hiess der Zementriese noch Holderbank und damit so wie die Gemeinde. Der fortan verwendete Name Holcim ist eine Mischung aus Holderbank und dem französischen Wort für Zement, «ciment».
Am Zuger Sitz in der Grafenau vis-à-vis dem Bahnhof ist der Konzern in den letzten Jahren stark gewachsen. 2018 hat Holcim zunächst den Hauptsitz und drei Jahre später auch das Steuerdomizil hierhin verlegt. Zuvor hatte Holcim den Steuersitz in Glarus und Jona. Heute sind in Zug ungefähr 200 Personen beschäftigt. Mit der Verlagerung aus Holderbank per Anfang 2026 wird sich die Zuger Belegschaft verdoppeln. Die neue Firma Amrize hat zwar den operativen Hauptsitz in Chicago, doch der eingetragene Firmensitz mit aktuell einigen Dutzend Mitarbeitenden befindet sich ebenfalls in Zug. In unmittelbaren Nachbarschaft zu Holcim.