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«Too Good To Go» schrumpft Schweiz-Büro – und erhält lokale Konkurrenz

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Per App Essen retten: Das ist das Konzept der dänischen Firma Too Good To Go.Bild: www.imago-images.de

«Too Good To Go» schrumpft sein Schweiz-Büro – und erhält einheimische Konkurrenz

Die dänische Anti-Foodwaste-App hat still und leise zahlreiche Stellen am Sitz in Zürich abgebaut und ausgelagert. Nun schickt sich eine Schweizer Firma an, dem Marktleader Kunden abzujagen.
16.09.2024, 06:46
Benjamin Weinmann / ch media
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Es sind Zahlen, die einem den Appetit verderben: Hierzulande landet rund ein Drittel aller essbaren Lebensmittel zwischen Acker und Teller im Abfall – von der Verarbeitung über den Detailhandel bis hin zum privaten Kühlschrank zu Hause. Pro Jahr sind das 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel, oder rund 330 Kilo vermeidbare Lebensmittelverluste pro Person und Jahr.

Aus dieser Menge – und aus dem schlechten Gewissen der Konsumenten – macht die dänische Firma «Too Good To Go» (auf Deutsch: zu gut, um zu gehen) ein Geschäft. Das 2018 gegründete Start-up ist inzwischen in 17 Ländern präsent, zählt über 100 Millionen registrierte Mitglieder und 170'000 teilnehmende Partnerfirmen.

Das Konzept: Auf einer App sehen Konsumentinnen, welche Geschäfte in ihrer Nähe Reste mit hohen Rabatten verkaufen. Diese können sie zu einer bestimmten Uhrzeit – meistens kurz vor Ladenschluss – abholen, sofern sie die Ware vorher auf der App bezahlt haben. Allerdings bleibt der Inhalt der Tasche eine Überraschung.

Was Zahlen anbelangt, gibt sich das Start-up zurückhaltend. Im Juni sagte Geschäftsführerin Mette Lykke im Interview mit CH Media bloss:

«Unser Umsatz ist im vergangenen Jahr um 42 Prozent gewachsen. Und bald wird das Geschäft keine Verluste mehr schreiben.»

Zudem wurde zuletzt eine Expansion in Australien angekündigt.

Mette Lykke ist Geschäftsführerin von «Too Good To Go».
Mette Lykke ist Chefin der dänischen Firma Too Good To Go.Bild: zvg

«Die Firma profitierte vom Idealismus»

Doch wie Recherchen zeigen, hat Too Good To Go hierzulande in den vergangenen zwei Jahren beim eigenen Personal stark abgebaut. Demnach waren zu Spitzenzeiten knapp 40 Leute in Zürich angestellt, heute ist es noch ein gutes Dutzend. «Zu Beginn war alles toll, es herrschte eine familiäre Start-up-Stimmung», sagt ein Insider.

«Es gab einen Pingpong-Tisch im Büro und viele Partys und Events für die Angestellten, um die Motivation hochzuhalten. Die Firma profitierte vom Idealismus im Team, das einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit liefern wollte.»

Obwohl der Schweizer Markt für das dänische Jungunternehmen die Cashcow darstelle, sei die Zentrale nie zufrieden gewesen: «Wir mussten immer noch mehr liefern», so der Insider. Viele Angestellte hätten von frühmorgens bis spätabends gearbeitet – ohne berauschende Entlöhnung.

Im Herbst 2022 beschloss die Firma jedoch eine internationale Reorganisation, bei der auch Aufgaben in der Schweiz ausgelagert wurden. «Plötzlich mussten Leute gehen», so der Insider.

«Wohl auch, weil die teure Expansion in die USA finanziert werden musste.»

Die Stimmung wurde schlechter, der Frust grösser, was sich an der anschliessenden Weihnachtsparty der Firma entlud, wie zu vernehmen ist. In den darauffolgenden Wochen und Monaten wurde die Position des sogenannten Country Managers, also des Länderchefs, nach Wien verlegt. Das Team schrumpfte weiter.

Diesen Sommer erfolgte der vorerst letzte Abbau: Die Leitung des sogenannten Key-Account-Managements, das sich um die grossen Partnerfirmen kümmert, wurde ebenfalls nach Wien ausgelagert.

Firma nennt keine Zahlen

Wie viele Angestellte die Firma in der Schweiz genau zählt, und wie viele Stellen gestrichen wurden, dazu schweigt «Too Good To Go». Eine Sprecherin – aus Wien – schreibt, dass Österreich und die Schweiz 2023 zum «Team Alps» unter einem Management zusammengelegt wurden. Der Sitz davon sei in Wien. Dabei seien die Strukturen effizienter aufgestellt worden. «Viele Synergien aus länderübergreifenden Rollen wurden geschaffen, die Vertriebsteams wurden nicht verändert.»

Mit dem Geschäft in der Schweiz sei man «sehr zufrieden». Die Schweiz verzeichne mitunter das steilste Wachstum. Innerhalb von sechs Jahren seien hierzulande über zwölf Millionen Überraschungspakete mit Lebensmitteln gerettet worden. Mit Denner habe man eine neue Kooperation gestartet und die bestehende mit Coop zuletzt ausgebaut.

Das kann die Schweizer Konkurrenz

Derweil schickt sich ein Schweizer Start-up an, «Too Good To Go» Konkurrenz zu machen. Der Zürcher Matthieu Ochsner gründete im Sommer 2023 mit einem Geschäftspartner die App «GoNiña» mit dem Ziel, eine effektivere Lösung als «Too Good To Go» zu kreieren. Seit Februar ist sie online. «Ich fand das Modell von ‹Too Good To Go› super, aber in Gesprächen mit Gastrobetrieben und Konsumentinnen wurde mir immer klarer, dass der erhoffte Effekt auf die Lebensmittelverschwendung noch ausbleibt», sagt Ochsner, der zuvor in der Beratungsbranche und bei einem Start-up gearbeitet hat.

Matthieu Ochsner
Schweizer Konkurrenz: GoNiña-Mitgründer Matthieu Ochsner will Too Good To Go Kundschaft abjagen.Bild: zvg/AZ

«Die Motivation der Kundschaft, etwas gegen Foodwaste zu tun, ist zwar gross, aber gemäss unseren Umfragen nutzen nur wenige ‹Too Good To Go› häufig und regelmässig», sagt Ochsner. «Man muss viel Zeit investieren, um etwas Passendes zu finden, und fehlende Filter, wie halal oder koscher, machen die App für einen Teil der Bevölkerung nicht nutzbar.» Bei «GoNiña» würden die Nutzer zudem Benachrichtigungen erhalten, wenn ihre Lieblingsbetriebe neue Angebote haben.

Ein weiterer Unterschied: «GoNiña» verlangt von den Partnerfirmen keine fixe Kommission – laut Brancheninsidern sind es bei «Too Good To Go» knapp 3 Franken pro Bestellung und eine Jahresgebühr von rund 60 Franken pro Standort. Im Gegensatz dazu möchte «GoNiña» entweder einen prozentualen Beitrag von 25 Prozent vom bezahlten Kundenpreis oder maximal 2.50 Franken, und eine Jahresgebühr gibt es nicht. Die Partner können zudem die Höhe des Rabattes für ihre Wundertüten festlegen: 33, 50 oder 66 Prozent. «Mit dieser Flexibilität möchten wir insbesondere auch kleinere Betriebe ermutigen, sich am Kampf gegen Foodwaste zu beteiligen», sagt Ochsner.

Aktuell bringt es das Zürcher Start-up auf mehr als dreissig Partnerfirmen und 5000 Nutzerinnen und Nutzer, darunter die von der Firma ZFV betriebene UBS-Kantine an der Europaallee in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs und in Lausanne, die Basler Pizzakette Vito, die Bäckerei-Kette Jung und Maier sowie der Sushi-Anbieter Tiny Fish.

Künstliche Intelligenz für Essensplanung

«Bisher haben wir alles selbst finanziert, und wir als Gründer-Duo beziehen kein Gehalt», sagt Ochsner. «Unsere Angestellten, die Anteilsscheine beziehen, erhalten einen symbolischen Lohn, bis wir in der Lage sind, reguläre Gehälter zu zahlen.» Derzeit mache man sich Gedanken über Finanzierungsmöglichkeiten für das künftige Wachstum.

Der nächste Schritt ist bereits geplant: So will «GoNiña» noch dieses Jahr eine Software lancieren, die mittels künstlicher Intelligenz den Partnern helfen soll, die richtige Menge an Essen zu kalkulieren, damit möglichst wenig Foodwaste entsteht. Dabei greift die Software auch auf die Wetterprognosen zurück. Denn bei hohen Temperaturen sind beispielsweise Suppen weniger gefragt. Aber auch grössere Events in der Umgebung und Feriendaten werden berücksichtigt.

Und was ist mit dem Branchenprimus? Zuletzt startete «Too Good To Go» einen Lieferservice in Österreich und Deutschland. Weitere Länder würden folgen, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Ob auch die Schweiz dazu gehört, verrät sie nicht. (aargauerzeitung.ch)

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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
16.09.2024 07:09registriert August 2018
Mit dem Geschäft in der Schweiz sei man «sehr zufrieden». Die Schweiz verzeichne mitunter das steilste Wachstum. Innerhalb von sechs Jahren seien hierzulande über zwölf Millionen Überraschungspakete mit Lebensmitteln gerettet worden.

Ja, genau. Deshalb hat man ja alle Managerjobs aus der Schweiz nach Österreich ausgelagert.

Die Leute, die von Anfang an dabei waren, mit vieI Idealismus, wurden nach Strich und Faden verarscht.

Klar entlud sich das Gewitter an der Weihnachtsfeier. Was es braucht, sind Wertschätzung und einen fairen Lohn. Partys etc. sind, im Kontext Firma, überbewertet.
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Katerchen
16.09.2024 07:48registriert März 2023
Eigentlich machen die Apps nichts anderes als mein Urgrossvater.
Als sparsamer Mann ist er jeweils am Samstag kurz vor Ladenschluss damals 16:00 in den Migros in seinem Dorf gegangen und hat dort insbesondere Milchprodukte, Gemüse, und Fleisch sehr günstig gekauft.
Zu Hause hat er dann die Waren fachgerecht zubereitet und portionsweise eingefroren.
Als Bauernsohn und einfacher Fabrikarbeiter hat er gelernt aus wenig viel zu machen.
Lebensmittel sollten nicht verschwendet werden und wenn jemand zu einem guten Preis noch gute Lebens mittel bekommen kann ist es eine Win-Win Situation.
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Peter90
16.09.2024 08:48registriert Januar 2023
3 fr Kommission pro bestellung ist sehr hoch. Ist ja alles automatisiert von da her nicht aufwändig. Zudem sind bei den sonst schon sehr günstig abgegebenen speisen die gebühren in einem schlechten Verhältnis.
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