Als Illustration für die schlechten Nachrichten haben die Verantwortlichen des weltweit agierenden und börsenkotierten Schweizer Industriekonzerns SFS ein Foto gewählt, das Zuversicht verströmen soll. Eines, das die Aussage des Schreibens, «Zurück auf Kurs», optisch unterstützen soll: ein Foto von gehissten Segeln vor blauem Himmel.
Das Schreiben, das der «Schweiz am Wochenende» vorliegt, ist eigentlich ein News-Post vom 27. Oktober in der Personal-App. Adressaten sind die rund 950 hierzulande beschäftigten Mitarbeitenden der SFS-Division Automotive. Das entspricht knapp 40 Prozent der 2500-köpfigen SFS-Belegschaft in der Schweiz. Die «Massnahmen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit» der Autozulieferer-Sparte trifft sie hart: Es gibt einen Einstellungsstopp, divisionsinterne Verlagerungen von Mitarbeitenden, einen Stellenabbau sowie deutliche Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen.
Konkret müssen die 950 hiesigen Automotive-Mitarbeitenden an den St.Galler Standorten Heerbrugg und Flawil seit dem 1. November pro Woche 2 Stunden länger arbeiten. Zudem werden ihnen 2024 die Ferien um 5 Tage reduziert.
Der Post schliesst mit etwas Empathie, «wir sind uns bewusst, dass diese Massnahmen einen grossen persönlichen Beitrag bedeuten», vielen aufmunternden Worten zu Wachstum und Wandel und ist gezeichnet von «Jens, Fredi», also von Konzernchef Jens Breu und dem Automotive-Divisionsleiter Alfred Schneider. Grusslos zwar, aber im Stil der betriebsintern gepflegten Duzkultur.
Der Unmut ist gross, die Angst auch, wie Anke Gähme von der Gewerkschaft Unia betont, die mit einzelnen Mitarbeitenden in Kontakt stand. Viele hätten den neuen Konditionen zugestimmt, andere wollten die Firma verlassen. Wehren mag sich bis anhin niemand. «Und wo kein Kläger ist, da ist leider auch kein Richter», sagt Gähme.
Das ist nicht ganz falsch, wie Roger Rudolph, Professor und Arbeitsrechtsspezialist an der Universität Zürich, ausführt. Wer den neuen Vertrag mit den Verschlechterungen unterschreibe, stimme zu. «Das ist dann eine einvernehmliche Vertragsänderung.» Die sei verbindlich. Sollten jedoch Mitarbeitende, welche ihre Zustimmung verweigern, eine Kündigung erhalten, dann könnten sie klagen. «Und die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass eine solche Kündigung als missbräuchlich beurteilt würde», betont Rudolph. So könnten sich einzelne Mitarbeitende mit Klagen bis zu sechs Monatslöhne erstreiten.
Im Arbeitsrecht müsse aber jeder für sich schauen, jeder müsse für sich klagen. «Es ist ein Einzelkämpfertum», die zustimmenden Arbeitnehmenden würden nicht vom Erfolg einiger Mutiger profitieren. «Hier versagt unser Recht ein Stück weit», räumt Rudolph ein, der das SFS-Beispiel angesichts der kurzen Zeitspanne von gerade mal fünf Tagen zwischen dem Bekanntgeben der Massnahmen und deren Umsetzung als «krassen Fall» bezeichnet.
SFS-Konzernchef Breu begründet den Fahrplan in einem schriftlich geführten Interview mit dem «Rheintaler» wie folgt: «Rasches Handeln ist Teil unserer DNA und unseres Erfolgs.» Letzteres scheint aber in der Automotive-Sparte zu fehlen, sonst wären ja die Massnahmen nicht nötig.
Für SFS scheint die Rechnung aufzugehen, wie das Unternehmen auf Anfrage festhält: «Die bisherigen Rückmeldungen stimmen uns positiv, dass die allermeisten Mitarbeitenden die temporären Massnahmen mittragen.» Sie hätten für ihre Rückmeldung einen Monat Zeit.
Die Massnahme an sich ist nicht ungewöhnlich: Temporäre Arbeitszeiterhöhungen zur Krisenbewältigung und Jobsicherung hat es in der hiesigen Industrie immer wieder gegeben. Gehäuft traten sie zuletzt auf, nachdem die Nationalbank im Januar 2015 die Franken-Anbindung an den Euro gekappt hatte. Auf einen Schlag wurden die Industriegüter aus der Schweiz massiv verteuert, mehrere Firmen erhöhten deshalb für einen begrenzten Zeitraum die Wochenarbeitszeit - in der Regel in Absprache mit den Sozialpartnern.
Denn der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Industrie sieht in Artikel 57 «Abweichungen von arbeitsvertraglichen Bestimmungen des GAV in Ausnahmefällen» explizit vor. Die Branchenvereinigung legt auch fest, wie in einem solchen Fall vorgegangen werden muss, wie die Sozialpartner eingebunden werden müssen. In einer gemeinsamen «Abweichungsvereinbarung» werden dann schriftlich «Art, Dauer, Ausmass und Modalität sowie allfällige Kompensationen» der Massnahmen festgehalten.
SFS ist zwar Mitglied beim Industrieverband Swissmem, aber nicht bei dessen Arbeitnehmer-Organisation und folglich nicht dem GAV unterstellt. Und fühlt sich auch nicht an die branchenüblichen Gepflogenheit gebunden.
Wie im GAV vorgesehen, sollen auch bei SFS die Erhöhung der Wochenarbeitszeit und die Kürzung der Ferien von 30 auf 25 Tage nur temporär gelten. «Sie sind für die nächsten zwölf Monate gültig und werden nach sechs Monaten nochmals überprüft», heisst es beim Unternehmen. Die Aufhebung der Massnahmen könne unter Umständen kurzfristig erfolgen. «Ob die Massnahmen verlängert werden müssen, hängt von der Entwicklung der Ertragskraft der Division Automotive in der Schweiz ab.»
Verschlechterungen hinnehmen musste auch das Management der Automotive-Division - und zwar beim Lohn. Der Lohn der Chefs wird um 10 Prozent, jener der Souschefs um 7 Prozent gekürzt. Diese Massnahme trifft etwa zehn Personen, wie es beim Unternehmen heisst. «Lohnkürzungen der Führungscrew sind ein wichtiges Zeichen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen», hält Konzernchef Breu im «Rheintaler» fest. Auch er werde seinen Lohn um 10 Prozent kürzen.
Gemäss Vergütungsbericht erhielt er im vergangenen Jahr insgesamt 1'467'073 Franken, wobei vom Lohnverzicht «nur» das Basissalär von knapp 650'000 Franken betroffen ist. Künftig dürften es also 65'000 Franken weniger sein.
Die Credit Suisse ist mit ihrem Segel-Logo ins Verderben gefahren, die Kapitäne von SFS geben sich zuversichtlich. (aargauerzeitung.ch)