Minus 200 Stellen bei Schindler, minus 400 bei SR Technics, minus 350 bei Gategourmet. Die Hiobsbotschaften aus der Schweizer Wirtschaft haben sich in den letzten Tagen summiert. Begründet wird der Abbau in allen Fällen mit der Coronakrise. Und das dürfte nur der Anfang sein. Weitere Firmen streichen ebenfalls Jobs oder müssen dicht machen.
Solche Meldungen beunruhigen die Gegner der Begrenzungs- oder Kündigungsinitiative. Eigentlich läuft alles in ihrem Sinne. Die Umfragewerte der Initiative sind schlecht, die SVP ist wie von der Rolle. Dennoch fürchten sie, dass eine Entlassungswelle im Vorfeld der Abstimmung vom 27. September dem Ja-Lager Zulauf verschaffen wird.
Unberechtigt sind solche Ängste nicht. Obwohl die Initiative den bilateralen Weg mit der EU gefährdet, trifft sie bei manchen Menschen einen Nerv. Dennoch wäre ein trotziges Ja aufgrund der Corona-bedingten Jobverluste extrem kurzsichtig. Denn der Trend auf dem Schweizer Arbeitsmarkt geht in die Gegenrichtung: Es droht ein akuter Arbeitskräftemangel.
«Job-Alarm auf dem Bau!», titelte der «Blick» am Montag auf seiner Frontseite. Bald würden Zehntausende Arbeiter fehlen, hiess es. Tatsächlich existiert das Problem nicht in einer fernen Zukunft, sondern in manchen Branchen schon heute. Der viel zitierte Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren massiv verstärken.
Die Direktion für Arbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) sprach dieses Problem in ihrer Jahresmedienkonferenz im Januar an. Die Grossbank Credit Suisse richtete im letzten Herbst den Fokus darauf und nannte die Ursache: «Die Generation der Babyboomer geht in Rente.» Das geschieht seit einigen Jahren, doch nun erfolgt der grosse Schub.
«In den nächsten zehn Jahren werden insgesamt rund 1,1 Millionen Personen ins Rentenalter kommen», heisst es in der CS-Studie. Und der Nachwuchs fehle, um die geburtenstarken Nachkriegs-Jahrgänge zu ersetzen: «Schon 2021 werden etwas mehr Erwerbspersonen in den Ruhestand gehen, als junge Erwachsene auf den Arbeitsmarkt stossen, und diese Diskrepanz wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen.»
Den Höhepunkt erwartet die CS 2029 mit einem «Defizit» von 18’500 Erwerbstätigen. Die Gegner der Kündigungsinitiative nehmen den Steilpass auf. Die Bewegung Courage Civil und die Operation Libero wollen diesen Aspekt in ihren Kampagnen thematisieren. Zusätzliches Zahlenmaterial liefert die Neue Europäische Bewegung Schweiz (Nebs).
In einem «Whitepaper», das watson vorliegt, zeigt die Nebs anhand verschiedener Sektoren und Branchen, wie stark die Schweizer Wirtschaft schon heute von Arbeitskräften aus der EU und damit von der Personenfreizügigkeit abhängig ist. Bis zu ein Drittel der Beschäftigten bestehe aus EU-Bürgerinnen und -Bürgern. Zwei Branchen stechen besonders ins Auge:
Die Coronakrise hat es mit aller Deutlichkeit gezeigt: Das Schweizer Gesundheitswesen würde ohne Ärzte und Pflegekräfte aus den Nachbarländern zusammenbrechen. «Mit den Grenzschliessungen wurde vielen Menschen bewusst, dass ein Teil der Arbeit in Spitälern von GrenzgängerInnen erledigt wird», schreibt die proeuropäische Organisation.
Ein gutes Beispiel ist das Tessin, das 2014 die Masseneinwanderungs-Initiative so deutlich angenommen hatte wie kein anderer Kanton und besonders heftig von Corona betroffen war. Mehr als 40 Prozent des Tessiner Pflegepersonals stammt laut Nebs aus Italien, 56 Prozent der Ärztinnen und Ärzte haben einen italienischen oder sonstigen EU-Pass.
Weitere Beispiele sind Physiotherapie oder private Care-Arbeit. In der Rundumbetreuung von alten oder behinderten Menschen in ihrem eigenen Zuhause sind laut Nebs fast nur ausländische Arbeitskräfte tätig. Ein Wegfall der Personenfreizügigkeit und der damit verbundenen Meldepflicht würde diesen Markt in die Illegalität drängen, fürchtet die Nebs.
Die Allianz gegen die Kündigungsinitiative ist breit, sie reicht von rechtsbürgerlichen Wirtschaftsvertretern bis zu Grünen und Gewerkschaftern. Eine einflussreiche Organisation aber glänzt durch Abwesenheit: der Bauernverband. Er befindet sich im Dilemma: Viele Bauern sind mit der SVP verbandelt, aber auch von ausländischen Arbeitskräften abhängig.
Als die Grenzen wegen der Coronakrise geschlossen wurden, ertönten sofort Alarmrufe wegen fehlender Arbeitskräfte für die Spargelernte. «Geht auf die Felder den Bauern helfen!», forderte Wirtschaftsminister und Ex-Winzer Guy Parmelin (SVP) die auf Kurzarbeit gesetzten Leute auf. Damit konnte das Problem tatsächlich entschärft werden.
Allerdings war dies nur eine Notlösung. «Im Jahr 2017 zählte das Bundesamt für Statistik rund 17‘000 AusländerInnen auf Schweizer Bauernhöfen», schreibt die Nebs. Genaue Zahlen seien schwer erhältlich, denn in der Landwirtschaftsstatistik würden zwar jede Kuh und jedes Huhn einzeln registriert, nicht jedoch die ausländischen Arbeitskräfte.
Dabei ist keine Branche vom demografischen Wandel so stark betroffen wie die Land- und Forstwirtschaft, in der sich laut der CS-Studie mehr als 61 Prozent der Belegschaft aus den geburtenstarken Jahrgängen rekrutiert. Die Schweizer Landwirtschaft überaltert, dennoch wird man auch in diesem Spätsommer viele Ja-Plakate auf Bauernland sehen.
Das Nebs-Whitepaper beschreibt auch die Situation im Detailhandel sowie in Oper, Theater und Musik. In diesen Branchen ist der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften ebenfalls gross. Noch haben nicht alle Firmen das Problem erkannt. Sie stellen nach wie vor ältere Menschen auf die Strasse. Ihnen soll die vom Parlament verabschiedete Überbrückungsrente helfen.
Mit der «Babyboomer-Lücke» aber wird klar: Selbst wenn die Schweiz das bestehende Potenzial – vor allem bei den Frauen – besser ausschöpft und die Arbeitnehmenden über das Pensionsalter hinaus beschäftigt, bleibt die Abhängigkeit vom Ausland bestehen, auch wenn viele europäische Länder ebenfalls eine alternde Bevölkerung aufweisen.
Die Initianten räumen selber ein, die Schweizer Wirtschaft brauche «hochqualifizierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt». Umso seltsamer wirkt ihr Angriff auf ein einfaches und bewährtes Rekrutierungsinstrument. «Die Schweiz des 21. Jahrhunderts ist ohne Europa und ohne Personenfreizügigkeit undenkbar», schreibt die Nebs in ihrem Papier.
Töfflifahrer
Zudem, hört endlich auf jeden auf die Uni schicken zu wollen, unser System erlaubt es auch über eine Lehre zu gehen und dann, wenn sinnvoll, ein Studium anzugehen.
Nubia
Oberon
Die Begrenzungsinitiative ist auch völlig das falsche Instrument und die negativen folgen wären um einiges höher als der nutzen.
Dazu kommt, dass so nicht ein Problem auf dem Arbeitsmarkt gelöst wird.
Zusätzlich brechen uns die Fachleute in den relevanten Berufsgruppen weg. Da gibt es bis heute keine Vorstösse diese aufzufangen.
Wir puschen in der Schweiz teilweise auch völlig die falschen Jobs. Uns fehlen z.B. Handwerker, Pflegeleute und Landwirte, da keine Anreize gemacht werden.