Um diese seltsame, heute beinahe vergessene Geschichte zu verstehen, müssen wir am Rad der Zeit drehen. Zehn Jahre sind seit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 vergangen. Um die Mitte der 1950er Jahre ist die atomare Aufrüstung nicht nur in den USA in vollem Gange. 1949 zünden die Sowjets und 1952 auch die Briten die ersten Atombomben.
Der Bundesrat und der Generalstab unserer Armee denken ernsthaft über eine schweizerische Atombewaffnung nach. Das Stimmvolk wird nacheinander 1962 und 1963 zwei Volksinitiativen deutlich ablehnen, die ein Verbot von Atomwaffen verlangen.
Als Atomwaffenträger ist der französische Kampfjet «Mirage» vorgesehen – mit ein Grund, warum die Beschaffung der Mirage viel zu teuer wird und in der «Mirage-Affäre» endet. Sie kostet Bundesrat Paul Chaudet das Amt. Die Schweiz wird alle Pläne für und Gedanken an eine atomare Bewaffnung erst 1988 definitiv und für alle Zeiten beenden.
Für eine Atombewaffnung braucht es eigene Uranvorkommen. Eifrig wird in der Schweiz gesucht. Es kommt zur Gründung einer Uran AG. Nachdem der Bundesrat bereits früher den Posten eines Delegierten für Atomenergie geschaffen hatte, beschliesst er 1958 die Gründung einer Sektion für Strahlenschutz beim eidgenössischen Gesundheitsamt (dem heutigen Bundesamt für Gesundheit BAG).
Das ist also die Zeit, in der auch im bernischen Oberaargau an einer Atombombe gearbeitet bzw. gebastelt wird. Der Biologie-Lehrer Gerhart Wagner am Gymnasium Bern-Kirchenfeld beschäftigt sich intensiv mit den biologischen Problemen des Atomzeitalters. Er hatte Zoologie, Botanik, Physik und Geologie studiert und bei Professor Fritz Baltzer in Zoologie doktoriert.
Auf den 1. Oktober 1958 wird er zum ersten Chef der aufzubauenden Sektion für Strahlenschutz beim Bund ernannt. Er erzählt die erstaunliche Geschichte der Oberaargauer Atombombe in seinen Aufzeichnungen für das «Jahrbuch des Oberaargaus», die hier leicht gekürzt wiedergegeben werden.
«Ich war erst wenige Wochen in meinem neuen Amt, als ich eines Tages Besuch von einem mir unbekannten Mann erhielt: Ernst Glanzmann von Oschwand. Er möchte mich fragen, sagte er mit hintergründiger Miene, ob er auf einem eigenen Grundstück eine Atombomben-Versuchsexplosion durchführen dürfe.
Höchst erstaunt fragte ich ihn nach den näheren Umständen dieses Unterfangens. Da erzählte er mir, dass er mittels eines Geigerzählers in seinem Grund und Boden Radioaktivität entdeckt hätte, es müsse Uran sein. Er sei daran, das Uran anzureichern und hätte bald genug, um eine Versuchsexplosion zu starten. Als Testplatz sehe er sein eigenes Land im Mutzgraben vor, dem einsamen Tälchen südlich von Riedtwil. Ob er das dürfe?
Er wollte von mir wissen, wie es rechtlich mit seinem Plan der Zündung einer Versuchs-Atomexplosion stehe. Einen Konflikt mit den Behörden möchte er nicht heraufbeschwören, darum komme er rechtzeitig fragen.
Ich setzte nun auch eine ernste Miene auf und legte ihm dar, dass ich zwar nicht recht an das Gelingen seines Vorhabens glaube, dass es aber bisher kein Gesetz gebe, das ihm dies grundsätzlich verbiete. Das Atomgesetz war damals erst im Entwurf vorhanden. Er könne also durchaus eine Atomexplosion im Mutzgraben ins Auge fassen – er solle mich dann immerhin vorher informieren.
Mit anderen Worten: Ich erteilte ihm, wenn auch nur mündlich und ohne jede gesetzliche Befugnis, in eigener Kompetenz und in eigener Verantwortung die Erlaubnis, seine Atombombe zu zünden. In der Sache war ich sicher genug, um mir als frisch gebackener Bundesbeamter diesen Scherz leisten zu können.
Zu gut wusste ich, welchen ungeheuerlichen Aufwand es braucht, um aus noch so viel Uran eine Atombombe zu bauen – es war vollständig ausgeschlossen, dass Glanzmanns Vorhaben auch nur im Entferntesten realistisch war.
Was es aber mit diesem Sonderling auf sich hatte, davon wollte ich doch gerne mehr wissen. Ich besuchte ihn auf seinem Hof in Oschwand, nicht als Beamter, sondern als Privatmann ausserhalb meiner Arbeitszeit. Ich sah den selbst hergestellten Geigerzähler, der auf die natürliche Umweltradioaktivität reagierte, und der in einem nahen Stollen im Sandsteinfels auch wirklich eine etwas erhöhte Strahlung anzeigte.
Das war leicht verständlich, weil der Sandstein, in dem sich natürlicherweise Spuren von Uran und Thorium befinden, im Stolleninnern von allen Seiten auf das Messinstrument einwirkte. Ich vernahm jetzt auch, wie er das vermeintliche Uran anreichern wollte: nicht direkt aus dem Sandstein, sondern durch Verbrennung von Tannennadeln.
Die Tannen, dachte er, seien ja auf dem uranhaltigen Grund gewachsen und in der Asche ihrer Nadeln, so hatte er festgestellt, war die Radioaktivität erhöht. Das stimmt zwar, hat aber mit Uran nichts zu tun, sondern mit dem radioaktiven Isotop Kalium 40, das beim Verbrennen von Holz oder von Nadeln mit dem Gesamtkalium in der Asche bleibt. Das Thema war damit für mich abgehakt.»
Uran ist übrigens in der Schweiz noch nie abgebaut worden. Die stärksten Urankonzentrationen hat man im Unterwallis nachgewiesen. Doch das Uran ist bis heute im Boden geblieben. Weil der Bodenschatz nicht für abbauwürdig befunden worden ist.
Uran ist im Zuge von einer durch den Bund finanzierten Studie unter anderem auch in Graubünden und im Tessin entdeckt worden, allerdings in noch schwächerer Konzentration als im Unterwallis.
Es hat im Mutzgraben also nie echte Uranvorkommen und – Gott sei’s gedankt – auch keine Atomexplosion gegeben. Aber wer war der Mann, der eine Atombombe bauen wollte? Ernst Glanzmann (1901–1975) war in jeder Hinsicht ein Original. Er wohnte im Weiler Loch bei Oschwand, war Bauer und Naturforscher, Mechaniker und Konstrukteur. Landwirt von Haus aus, Naturforscher aus Leidenschaft.
Er hatte kluge Einfälle, erstaunliches handwerkliches Geschick, und in stilleren Stunden betätigte er sich noch als Kunstmaler. In seinem Wesen war er verschlossen und offen, bedächtig und leutselig zugleich. Er war wagemutig und unbekümmert und zu aller Zeit von erstaunlicher Unternehmungslust.
Seine Neigung zu wissenschaftlichem Forschen war auffallend. Im hintersten der drei Höfe des Weilers Loch, im Haus mit der schönen Südfassade, welche die Jahrzahl 1834 trägt, wo eine breite Laube zum Verweilen einlädt und ein breitausladendes Dach dem Hof Schutz und Hablichkeit verleiht, da ist Ernst Glanzmann mit acht Geschwistern aufgewachsen. Ihm wurde später das Gut zugesprochen.
Gerne wäre Ernst Glanzmann Mechaniker oder Techniker geworden. Doch sein Vater liess es nicht zu, dass der aufgeweckte Bub den Hof verliess und vom Bauernstand ausscherte. Nach Schulabschluss trat Ernst Glanzmann in die landwirtschaftliche Schule Waldhof in Langenthal über.
In den 20er-Jahren weilte er zu weiterer Ausbildung in Oberschlesien, war hier Gutsverwalter und hatte zudem Gelegenheit, in die Glas- und Grubenindustrie Einblick zu nehmen. Heimgekehrt besuchte er erdkundliche Vorlesungen an der Universität Bern.
Früh schon hat sich Ernst Glanzmann als Rutengänger versucht, anfänglich mit einer Haselrute und später mit einer Metallspirale, und brachte es zu grosser Meisterschaft. Er hat nicht nur den alten Brunnenschacht hangwärts seines Hofes gefunden, von dem seit Generationen niemand mehr Kenntnis hatte, sondern vielen Höfen der Region zu Wasser verholfen. Man rief ihn mit seiner Wünschelrute nun überall hin, ins Solothurnische hinab, hinauf ins Oberland und bis hinaus in den Thurgau, und immer hatte er Erfolg.
Doch diese Reisen und das Wegsein von daheim wurden ihm mit der Zeit zu beschwerlich. Sein Forschen galt deshalb von nun an engeren Bezirken. In den 30er-Jahren ging er an die Konstruktion einer Kartoffel-Sortiermaschine, um Speisekartoffeln von den «Säuern» (kleine, nur für Schweinefutter geeignete Kartoffeln) leichter und ohne grossen Zeitaufwand auszuscheiden. Er hat diese Apparatur oben auf der «Reiti» (im Scheunentrakt des Bauernhauses) installiert und sie mit Motorkraft angetrieben. Sie soll zur vollen Zufriedenheit funktioniert haben.
Bald kam ein neues Unterfangen. Er plante und pröbelte, machte Versuche und brachte mit sonderlichem Gestänge schliesslich eine Hühner-Rupfmaschine heraus. Ebenso geschickt als Mechaniker wie als Bauer ging Ernst Glanzmann an den Bau des ersten Motormähers. Dabei ist ihm vermutlich der tüchtige Velomechaniker Leuenberger eine willkommene Hilfe gewesen, der ein paar Jahre in seinem Stöckli Einsitz genommen hatte.
Der Motormäher funktionierte gut, und Glanzmann mähte damit, lange bevor die Industrie solche Mäher auf den Markt brachte. Damit war der erste Schritt getan zu einer weiteren bedeutenden Konstruktion. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges machte er sich an den Bau von Auto-Traktoren. Dafür änderte er ausgediente Autos ab. Diese Glanzmannschen Gefährte waren die ersten Traktoren der ganzen Gegend und taten guten Dienst.
Angespornt durch diese Konstruktionserfolge machte sich der Loch-Ingenieur an den Bau eines eigenen Automobils. Und auch diese Idee wurde in die Realität umgesetzt. Abermals aus alten Bestandteilen entstand das Automobil Glanzmann, Marke «Eglo». Es war ein kleines Wunderwerk, was da aus seinen Händen hervorging.
Ein Motor, luftgekühlt, der zuverlässig arbeitete, ein offener Wagen mit einer Karosserie aus Pavatexplatten (= Holzfaserplatten) mit jeepähnlichem Aussehen und versehen mit auffallend grossen Rädern. Der Wagen hatte 16 Gänge und zu deren Bedienung drei Schalthebel. Köstlich setzt sich der Name «Eglo» zusammen: Ernst Glanzmann Loch Oschwand.
Das Auto war hell olivgrün gestrichen und erregte allenthalben Aufsehen. Doch wie wunderlich es auch aussah, es tat seinen Dienst. Der Wagen wurde sogar vom Strassenverkehrsamt des Kantons Bern abgenommen und als verkehrstüchtig anerkannt. Glanzmann hat mit diesem Gefährt in der Stadt Bern seine Fahrprüfung abgelegt. Der «Eglo» erreichte immerhin an die 50 km als obere Grenze der Geschwindigkeit und legte seine 65'000 km zurück, bis er wegen ausgefahrenen Lagern aufgegeben werden musste.
In der Hofstatt hinter der Sägerei Egger in Lotzwil suchte Ernst Glanzmann auch nach Öl. Er richtete eine selbstentwickelte Bohrmaschine ein, stellte darüber eine primitive Bauhütte auf und gelangte innert Jahresfrist auf 60 m Tiefe. Mitunter wurden geringe Mengen von ölhaltigem Lehm, Schiefer und Sandstein festgestellt.
Aber es war ein mühsames Unternehmen. Nachtbuben, so wird erzählt, hätten einmal zum Jux Altöl in den Bohrschacht gegossen, worauf neue Hebungen natürlich Öl anzeigten. Aber bei der genauen Untersuchung stellte man doch fest, dass es raffiniertes Öl war. Später kam für dieses Ölunternehmen technisches Missgeschick hinzu. Der Bohrer brach, das Drahtseil riss, und so stellte man die Bohrungen ein.
Die Gesteins- und Mineralforschung hatte ihn schon immer fasziniert und so kam es schliesslich zum «Projekt Atombombe.» Mit seinem Schwiegersohn Erwin Plüss, Chefelektriker, konstruierte Ernst Glanzmann einen Geiger-Zähler. Er war überzeugt, dass im Napfgebiet spaltbare Mineralien zu finden seien.
Verschiedenenorts stellte er Ausschläge an seinem Instrument fest. Geradezu aufsehenerregende Impulszahlen von mehreren hundert Ausschlägen pro 5 Minuten brachten Uranuntersuchungen in der Höhle, die er hinter seinem Hause entdeckt hatte und die später der uns bereits bekannte Bundesbeamte Gerhart Wagner bei seinem Besuch besichtigte. Ein Gang, fast mannshoch und mehr als hüftbreit, der nahezu 70 m tief in den Sandstein hineinführt. Ein Vorfahre musste hier nach Wasser gesucht haben. Seit Generationen hatte niemand mehr etwas von dieser Grabung gewusst.
Hier also wies Ernst Glanzmann Uranvorkommen nach, die aufgrund von eingeschicktem Gestein durch Geologen der ETH bestätigt wurden. Und deshalb hielt er es für möglich, mit diesem Uran eine Atombombe zu bauen, und stellte ganz offiziell bei Gerhart Wagner das Gesuch in Bundesbern, eine Atombombe zünden zu dürfen.
Tja, wie wäre wohl die neuere Geschichte des Oberaargaus, des Kantons Bern, der Schweiz, ja Westeuropas verlaufen, wenn Ernst Glanzmann tatsächlich Uran gefunden hätte und dazu in der Lage gewesen wäre, es bis zum Bombenbau anzureichern?
Wir wollen nicht grübeln.
Literatur
Jahrbuch des Oberaargaus – verschiedene Ausgaben
Die Schweiz im Kalten Krieg 1945 bis 1990 von Thomas Buomberger
Die Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert von Jakob Tanner
"Grüessech kann ich eine Atombombe im Garten zünden"
"Ja"
"Merci, hiube"
Wenn wir eine Idee haben, probieren wir aus, ob sie funktioniert. Wenn uns Gstudierte sagen, so wird es nie klappen, denken wir bei *Euch* hat es so nie geklappt und probieren es trotzdem. Ob es bei uns funktioniert oder nicht sehen wir ja dann.
Und weil es ja klappen *könnte* holen wir natürlich vorher die Erlaubnis von den Behörden ein. Wenn man nämlich ohne Erlaubnis eine Atombombe zündet, wird man sicher beispielsweise für kaputte Dachziegel der Kapelle am Dorfrand haftbar gemacht!