Lange gab es bei den Studierendenzahlen nur einen Trend: nach oben. Erstmals seit 1995 verzeichnen die Hochschulen in der Schweiz nun aber einen leichten Rückgang – und zwar nicht nur an universitären, sondern auch an Fach- und pädagogischen Hochschulen. Im Wintersemester 2022/23 waren 274'916 Studentinnen und Studenten an den hiesigen Hochschulen eingeschrieben, ein Jahr zuvor waren es noch 276'607. Das entspricht einem Rückgang von 0,6 Prozent.
Viel deutlicher ist die Abnahme allerdings bei den Neuimmatrikulierten: Im Herbst 2020/21 meldeten sich noch 47'339 Personen für ein Studium an, zwei Jahre später waren es nur noch 42'865. 9,5 Prozent beträgt hier der Rückgang.
Zum einen ist die sinkende Geburtenrate dafür verantwortlich: Zu Beginn des neuen Jahrtausends sank die Geburtenzahl in der Schweiz auf ein Zwischentief. Genau diese Jahrgänge befinden sich nun ungefähr im Alter des durchschnittlichen Studieneintritts. 2019/20 betrug dies an universitären Hochschulen 20,6 Jahre, an Fachhochschulen 23,0 Jahre.
Zum anderen wirkt auch die Corona-Pandemie noch nach. Viele junge Menschen seien wegen der unklaren wirtschaftlichen Entwicklung verunsichert, glauben Experten. Das halte derzeit einige vom Studieren ab.
Nicht alle Studiengänge sind vom leichten Studierenden-Rückgang gleich betroffen. Technische Fachrichtungen wie beispielsweise Informatik, Medizin, Pharmazie und Maschineningenieurwesen boomen nach wie vor und verzeichnen teils eine deutliche Zunahme der Studierendenzahl. Informatik studieren an universitären Hochschulen schweizweit beispielsweise 673 Personen mehr als noch im Vorjahr.
Weniger Anklang finden bei hohen Studierendenzahlen dagegen klassische Studiengänge wie Betriebswirtschaft und Recht. Der prozentuale Rückgang beträgt in beiden Fachrichtungen allerdings nur knapp über ein Prozent. Anders sieht es bei den Sozial- und Geisteswissenschaften aus: Dort beträgt der Studierendenschwund innert eines Jahres teils bis zu 10 Prozent.
Im langjährigen Studierenden-Vergleich zeigt sich der Niedergang der Geistes- und Sozialwissenschaften noch deutlicher. Die Fachrichtung «Allgemeine Geschichte» beispielsweise verlor in den letzten 20 Jahren 1577 oder fast 40 Prozent ihrer Studentinnen und Studenten. Daneben sind vor allem die Sprachstudiengänge und die Lehrkräfteausbildung deutlich weniger beliebt als noch vor 20 Jahren.
Grund dafür ist ein gesellschaftlicher Wandel, wie Linguistin Angelika Linke, die vor drei Jahren als Professorin in Zürich emeritiert wurde, der NZZ im Dezember erzählte: «Die Selbstausbildung zu einem intellektuellen Mitmenschen ist nicht mehr so attraktiv – wohl aber Studiengänge, die ökonomisch direkt verwertbares Wissen versprechen.»
Thomas Grob, Vizerektor der Universität Basel, stimmte zu: «Es lässt sich eine gesamtgesellschaftliche Abwertung der Geisteswissenschaften und eine Aufwertung von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anm. d. Red.), feststellen», sagte er gegenüber der NZZ.
So verwundert es nicht, dass an den Schweizer Hochschulen derzeit vor allem diejenigen Fachrichtungen hoch im Kurs stehen, die gute und gut bezahlte Berufsaussichten garantieren: Recht, Humanmedizin, Betriebswirtschaftslehre oder Informatik.