Mit dem Frühling erwacht die Kauflust nach neuen, grünen Pflanzen, die unsere Wohnung schmücken sollen. Zimmerpflanzen haben und pflegen ist das Vorzeigehobby der Stunde. Besonders in den sozialen Medien präsentieren die Leute stolz ihre grünen, exotischen Lieblinge.
Das ruft auch Start-up-Unternehmen auf den Plan. Auf Instagram werben sie mit hippen Zimmerpflanzen in noch hipperer Aufmachung.
Eine davon ist Marie Henze, Gründerin von «Mary and Plants». Seit letztem Oktober verkauft sie über ihren Online-Shop Pflanzen. Und hat dabei eine nachhaltige Philosophie: «Bevor man eine Pflanze kauft sollte man sich fragen, ob man überhaupt Zeit dafür hat. Man kauft sich auch kein Hundebaby, wenn man nie zuhause ist», sagt Henze.
Die Preise für Henzes eingetopfte Grünlinge sind zum Teil um das Dreifache höher als bei Detailhändlern wie Coop, Migros oder Jumbo. Auch der Möbelverkäufer IKEA bietet seine Pflanzen weitaus günstiger an als Henze.
Wieso man die Pflanzen bei ihr und nicht viel günstiger anderswo kaufen sollte, begründet Henze damit: «Wenn du Billigpflanzen aus nicht nachhaltiger Zucht kaufst, zerstörst du damit den Teil Natur, den du dir ins Wohnzimmer holst.» Bei ihren Pflanzen sei die Herkunft rückverfolgbar und die Produzenten zertifiziert. Ausserdem verlange sie einen höheren Preis, weil sie jede Pflanze mit torffreier Erde und Topf nach Hause liefere und Dienstleistungen rund um die Pflege anbiete.
Der Markt für Pflanzen ist lukrativ. Alleine in der Schweiz lag der Umsatz für Zierpflanzen im Jahr 2019 bei rund 396 Millionen Franken. Das zeigt der Geschäftsbericht des Unternehmerverbandes Jardin Suisse. Die Zahlen umfassen dabei sämtliche Kulturpflanzen, auch jene, die draussen gedeihen. Und: «Das ist nur der Produktionswert, die Verkaufspreise liegen nochmals höher», sagt Josef Poffet von Jardin Suisse.
Was der Schweizer Haushalt ausgibt, hält das Bundesamt für Statistik fest: Die Ausgaben für Pflanzen liegen bei monatlich 30 Franken.
Aktuell im Trend liegt bei den Zimmerpflanzen die Monstera mit ihren löchrigen Blättern, sagt die Start-up-Gründerin Marie Henze. Dem Geschäftsbericht des niederländischen Pflanzengrosshändlers Royal Lemkes zufolge gehört sie allerdings noch nicht zu den Top-Sellern: Nummer eins in Europa ist die Phalaenopsis, besser bekannt als Orchidee.
Bei all diesen Zimmerpflanzen steht fest: In der freien Wildbahn würden sie hierzulande nicht wachsen. Die meisten haben ihren Ursprung in warmen und tropischen Gebieten. So kommt etwa die Monstera aus den Wäldern Mittel- und Südamerikas, wo sie gigantischen Bäumen emporrangt. Die Areca-Palmen wachsen auf den sandigen Flussbänken Madagaskars.
Dass die Nachfrage nach exotischen Zimmerpflanzen in Europa so gross ist, bringt einige Schwierigkeiten mit sich.
Hiesige Produzenten von Zimmerpflanzen gibt es sehr wenige. Deshalb holen die Händler ihre Ware im Ausland: «Über 80 Prozent der Zimmerpflanzen ist Importware», sagt Josef Poffet von Jardin Suisse.
Von wo die Pflanzen genau kommen, ist im Laden allerdings häufig nicht deklariert. Das zeigt ein Gang durch diverse Migros- und Coop-Filialen in Zürich. Wenn etwas auf dem Topf steht, dann meistens «NL» für Niederlanden oder «DE» für Deutschland. «Das Problem dabei ist, dass da nur der letzte Produzent ausgewiesen ist», sagt Poffet.
Ob eine Pflanze in europäischen Gewächshäuser vermehrt oder aus Übersee importiert und hier aufgezüchtet wurde bleibt für Kundinnen und Kunden unbekannt. «Die Spuren der ursprünglichen Herkunft verschwinden jeweils bei den niederländischen Verteilkreuzen, über welche wir die Zimmerpflanzen beziehen», sagt Erwin Meier-Honegger von der Gärtnerei Ernst Meier AG.
Unternehmen wie die niederländische Royal Lemkes organisieren diese Verteilkreuze. Auf ihrer Website weisen sie etwa IKEA, OBI, Jumbo und Aldi als Retailpartner aus. «Firmen wie Royal Lemkes sind keine Gewächshäuser sondern Zwischenhändler, über die wir Gärtner und Detailhändler Pflanzen kaufen. Es sind Vermittler, die für uns wie Broker an der Börse unterwegs sind», sagt Meier-Honegger.
Neben IKEA sagen auch Coop, der Gärtner Meier-Honegger und die Start-up-Gründerin Marie Henze, dass sie ihre Zimmerpflanzen aus Holland einkaufen.
Warum Deutschland trotzdem so oft in der Statistik auftaucht, erklärt Meier damit: Zum Teil würden Pflanzen an verschiedenen Orten kultiviert, bevor sie schlussendlich im Laden verkauft werden. Die angebliche Herkunft ist bloss die letzte Station vor der Schweiz. «Es ist ein riesiges Netzwerk», sagt Meier. Und das grösste Problem daran: «Die Lieferketten sind undurchsichtig».
Wie gross das globale Netzwerk sein dürfte, lässt ein Aufruf von der Handelsorganisation Union Fleurs erahnen. Sie schreiben von der «Lebensgrundlage Tausender Menschen in Afrika (Kenia und Äthiopien) und Südamerika (Kolumbien und Ecuador)» sowie von einem «Geflecht von Unternehmen, das Züchter, Jungpflanzen- und Produktionsbetriebe, Exporteure, Transportunternehmen, Importeure und Logistikplattformen» umfasse.
Die exotischen Pflanzen brauchen ähnliche Bedingungen wie in ihrer Heimat, damit sie hier gedeihen. Zur Aufzucht benötigen sie neben Erde, Wasser und Licht auch die richtige Luftfeuchtigkeit und Temperatur.
So braucht es einiges an Energie für die beheizten Gewächshäuser und Pestizide kommen zum Einsatz, damit die Pflanzen möglichst schnell verkaufsbereit sind. Die Auswirkung auf die Umwelt ist dabei nicht zu unterschätzen: «Der ökologische Fussabdruck der Herstellung von Zimmerpflanzen fällt stärker ins Gewicht als der Transport aus Holland und Deutschland in die Schweiz», sagt Laura Tschümperlin vom Bundesamt für Umwelt (BAFU).
Was ausserdem einen grossen Einfluss auf die Klimaerwärmung habe, sei der Abbau von Torf. Das Naturprodukt ist trockengelegte Moorerde, die häufig als Blumenerde eingesetzt wird. Problematisch dabei ist, dass für den Abbau Moore entwässert und dadurch wertvolle Lebensräume für Pflanzen- und Tierarten zerstört werden. Ausserdem wird klimaschädliches Kohlendioxid und Lachgas freigesetzt, wenn Torf mit Sauerstoff in Kontakt kommt.
In der Schweiz sind Moore seit 1987 geschützt und der Abbau von Torf verboten. Ausserdem haben sich Vertreter der hiesigen Gartenbranche verpflichtet, den Torfanteil in Sackerden zu reduzieren. Allerdings werden nach wie vor Pflanzen in torfhaltiger Erde kultiviert und verkauft.
Ob die Pflanze in torfhaltiger Erde steht, wissen die Käuferinnen und Käufer meistens nicht. «Eine Angabe zum Torfanteil in Topfpflanzen an die Endkonsumenten fehlt bislang mehrheitlich», sagt Tschümperlin vom BAFU.
Bei Bananen oder Kaffee besänftigen «Fairtrade»-Aufkleber das Gewissen von Konsumentinnen und Konsumenten. Sie markieren, dass für dieses Produkt die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plantagen keine Hungerlöhne erhalten oder giftige Pestizide einatmen müssen. «Bei Zimmerpflanzen gibt es jedoch kaum Bio-Produzenten», sagt Laura Tschümperlin vom BAFU.
Der Grund dafür: Der Biomarkt für Zierpflanzen ist sehr klein in der Schweiz. Das bestätigt neben der Start-up-Gründerin Marie Henze auch Angela Deppeler von «Bio Suisse». «Das Bewusstsein ist noch gering und die Konsumentinnen und Konsumenten sind weniger sensibel als etwa bei Lebensmitteln», sagt Deppeler.
Bei Pflanzen verhalte es sich ähnlich wie bei Gemüse oder Früchten: Ausserhalb der Saison ist das Angebot klein und saisonal. «Besonders im Winter können keine Bio-Pflanzen verkauft werden, weil die Biorichtlinien verlangen, dass man die Gewächshäuser nur bei starken Frost heizt», so Deppeler.
Marie Henze setzt bei ihren Pflanzen auf die Zertifizierung Global G.A.P. Die Handelsmarke aus Deutschland steht für nachhaltige Agrarwirtschaft. «Ich kaufe bei Börsen ein, die den nachhaltigen Handel für ihre ganze Handelskette garantieren können. Ich will sehen können, woher das Produkt kommt und ob die Nachhaltigkeits-Aspekte erfüllt sind.» Dabei vertraue sie auf ihren Händler, mit dem sie seit fünf Jahren zusammenarbeite.
Neben Global G.A.P. gibt es auch FSI oder MPS mit denen manche Händler werben. Die Qualitätsmanagement-Systeme sind für Laien allerdings schwer zu durchschauen. Der Gärtner Erwin Meier-Honegger äussert sich skeptisch dazu: «Im Moment gibt es kein wirklich nachhaltiges Label. Dann kaufen sie lieber keine Zimmerpflanzen.»
Es gibt Bestrebungen, bei Zierpflanzen für Transparenz zu sorgen. In der Schweiz sind seit dem 1. Januar 2020 alle Pflanzen passpflichtig. Das gleiche Gesetz gilt im ganzen EU-Raum.
Die Pflanzenpassnummer erhält eine Pflanze, um deren Handelsweg nach der Verzollung respektive der Einfuhr innerhalb von Europa nachvollziehen zu können. Auf diesem Pass ist ausserdem das Ursprungsland der Pflanze ersichtlich.
Allerdings ist diese Information für den Endkonsumenten meist nicht ersichtlich. «Der Pflanzenpass mit der Information zum Ursprungsland wird entfernt, wenn die Pflanze einmal an ihrem Bestimmungsort oder am Ende der gewerblichen Handelskette angekommen ist», sagt Laura Tschümperlin vom BAFU.
Grundsätzlich könnte man also den Ursprung sowie die Herkunft für die Kundschaft ausweisen. Eine einheitliche, gesetzliche Regelung fehlt allerdings noch.
Wer es mit der Nachhaltigkeit beim Pflanzeneinkauf gleich ernst nehmen will wie bei den Nahrungsmitteln, hat es schwer. Hier drei Möglichkeiten, was man tun kann:
«Wenn du nachhaltig leben willst, solltest du dir keine Zimmerpflanzen kaufen», sagt der Gärtner Erwin Meier-Honegger. Für die Dekoration des Heimes könnte man sich demnach einfach einheimischen und saisonalen Pflanzen wie etwa dem Efeu bedienen. Die Auswahl der Zimmerpflanzen schrumpft so natürlich enorm.
Es gibt Zertifikate und es gibt Pflanzen mit torffreier Erde und aus nachhaltigem Anbau. Um diese zu finden, muss man sich allerdings informieren. Wer sich nicht mit Internet-Recherchen abschlagen will, fragt am besten direkt beim Händler nach.
Bei vielen Pflanzen lässt sich Nachwuchs durch Ableger oder Steckling heranziehen. Dazu braucht man auch kein Gewächshaus. Wer im Freundes- oder Familienkreis auch Pflanzenliebhaber hat, kann sich informieren, wie man deren Grünlinge vermehren kann. Bei der Monstera, beim Zypressengras, Bogenhanf und der Efeutute geht das kinderleicht.
Gautschi Kakteen in Schafisheim bei Aarau züchtet übrigens selber alles mögliche an Sukkulenten und achtet sehr auf Umweltverträglichkeit. Das Gewächshaus dort ist wirklich ein Highlight!