Es ist immer noch eines der grössten Verbrechen der Schweizer Geschichte. 47 Tote fordert der Flugzeugabsturz, der das Dorf Würenlingen vor bald 50 Jahren aufschreckte. An einem Samstag, dem 21. Februar 1970, kurz nach Mittag, stürzte eine Swissair-Coronado in den Wald zwischen dem Dorf und der Forschungsanstalt PSI. Das Atomkraftwerk Beznau ist nur knapp einen Kilometer entfernt.
Die Maschine war in Zürich gestartet und auf dem Weg nach Tel Aviv. Würenlingen liegt nicht auf der Normalroute. Nach dem Steigflug ereignete sich über Sattel (Schwyz) eine Explosion im Frachtraum. Die Crew beschloss, umzukehren und nach Zürich zurückzufliegen. Aber im Flugzeug war Feuer ausgebrochen, die Systeme fielen aus und der Rauch im Cockpit wurde immer dichter.
sagte der Co-Pilot. «SR 330 is crashing.» Und dann zweimal:
Die 47 Insassen der Maschine sind sofort tot. Die fast vollbetankte Maschine zerbirst in einem Feuerball. Trümmer, Gepäckstücke und Leichenteile liegen weit verstreut im Wald. Man hat zwar 47 Särge aufgestellt, aber die meisten mit Erde auffüllen müssen. Die Leichen zu identifizieren war damals nicht möglich.
Noch am Tag des Absturzes gibt ein Sprecher des PFLP-GC (Popular Front for the Liberation of Palestine – General Command; Volksfront zur Befreiung Palästinas – General Kommando) bekannt, die Gruppe übernehme die Verantwortung. Später wird das Haupt der PFLP-GC das dementieren. Und schliesslich wird die PLO-/Fatah-Führung behaupten: «Eine eingehende Untersuchung» habe ergeben, dass keine ihrer Gruppen etwas mit dem Absturz zu tun habe.
Wer auch immer es war, die Bombe im Frachtraum sagt eindeutig: Es war Mord. Von den 47 Opfern stammen 15 aus Israel, 9 aus Deutschland, 7 aus den USA, 2 aus Kanada und je eines aus England, Belgien, Senegal, Thailand und der Schweiz, ein Pilot der Swissair auf dem Weg zu einer Uno-Mission. Die neun Besatzungsmitglieder waren Schweizer.
Am gleichen Tag gab es in einer Caravelle der Austrian Airlines, die auf dem Weg von Frankfurt nach Wien war, eine Explosion. Die Bombe riss ein Loch in den Rumpf, die Maschine konnte aber umkehren und sicher in Frankfurt notlanden. Die 38 Insassen (33 Passagiere und 5 Besatzungsmitglieder) hatten Glück.
Die Polizei macht die Schuldigen ziemlich schnell ausfindig. Sufian Radi Kaddoumi und Musa Badawi Jawher, zwei Jordanier, sollen die beiden Bombenpakete aufgegeben haben. Ihre Whereabouts im Februar 1970 sind gut belegt, sie haben in Frankfurt ihre Spuren hinterlassen. Zum Beispiel vier Höhenmesser gekauft, die danach bei der Zündung der Bombe eine Rolle spielen sollten, und sie auch getestet. Kaddoumi hat in München ein Auto gekauft, mit dem er nach dem Attentat über Jugoslawien und Bulgarien zurück nach Jordanien fuhr.
In den 1960er-Jahren begann es, im Nahen Osten zu rumoren. In Syrien und Ägypten versuchten neue Machthaber, den Nahost-Konflikt in eine neue Richtung zu steuern. Ihr Ziel war – neben Israel – das Königreich Jordanien. Dabei spielten die Fedayin, arabische Guerillakämpfer gegen Israel, eine Rolle. Die in Syrien regierende Ba’ath-Partei und Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser versuchten, sie für sich – und insgeheim gegen den jordanischen König – zu instrumentalisieren. Das Hochschaukeln des Konflikts führte zum Präventionsangriff Israels im Juni 1967. Nach dem sogenannten Sechs-Tage-Krieg hatte Israel die Golan-Höhen, das Transjordanland, den Negev und den Gaza-Streifen militärisch besetzt.
Die Palästinenser mussten einsehen, dass in absehbarer Zeit eine Friedenslösung (welche die arabischen Staaten ablehnten) mit einem palästinensischen Staat nicht realistisch war. Sie organisierten sich neu. Als Vorbild diente der Vietnam-Krieg. Dort hatte eine Volksbewegung einem militärisch hochüberlegenen Gegner erfolgreich die Stirn geboten. Neben der bereits 1964 gegründeten PLO, die bald von Arafats Fatah übernommen werden sollte, gab es weitere Gruppen.
Unter ihnen auch die von den beiden christlichen Kinderärzten Georges Habash und Wadi Haddad und Nayaf Hawatmeh gegründete PFLP. Sie propagierte ausdrücklich Gewaltaktionen auch ausserhalb Palästinas. Verletzliche Ziele bot die zivile Luftfahrt. Es begann 1968 mit einer Entführung einer El-Al-Maschine in Rom. Israel musste einlenken und mit den Entführern verhandeln.
Flugzeugentführungen boten eine spektakuläre Bühne, um «imperialistische» Regierungen vorzuführen. Bomben an Bord von Flugzeugen zu schmuggeln und kaltblütig zum Teil unschuldige Menschen zu ermorden, war eine andere Sache. Der syrische Ex-Offizier Ahmad Jibril hatte da eine etwas andere Auffassung. Seine PFLP-GC war eine quasi-private Terrororganisation. Man vermutet, dass er die Bombenattentäter ausbildete und losschickte.
Am 18. Februar 1969 hatten vier Palästinenser auf dem Flughafen Kloten auf eine Boeing 720 der israelischen El Al geschossen und den Piloten tödlich verletzt. Ein israelischer Geheimpolizist sprang aus dem Flugzeug und erschoss einen Attentäter.
Die drei anderen Attentäter (unter ihnen eine Frau) kamen ins Gefängnis. In der Schweiz rechnete man mit einer Aktion zu ihrer Befreiung.
Die kam auch, allerdings erst im September 1970. Palästinenser entführten je eine Maschine der Swissair, der britischen BOAC und der amerikanischen TWA und zwangen sie zur Landung in der jordanischen Wüste. Nach langen nervenzehrenden Verhandlungen kamen die Passagiere wieder frei. Die Flugzeuge wurden gesprengt.
Die Schweiz liess die drei Kloten-Attentäter frei. Auf die juristische Verfolgung der Attentäter von Würenlingen wurde praktisch verzichtet, obwohl der Abschlussbericht klar festhielt, wer verantwortlich für den Absturz sei. Der «Mord von Würenlingen» ist deshalb offiziell immer noch ungesühnt. Das führte zu Mutmassungen über ein mögliches «Stillhalteabkommen» zwischen der Schweiz und den Palästinensern. Davon handelt das Buch «Schweizer Terrorjahre» (NZZ 2016) des NZZ-Journalisten Marcel Gyr. Die Schweiz blieb tatsächlich in der Folge vom Terror verschont, der andernorts immer grässlicher wütete. (aargauerzeitung.ch)