Zusammenfassung: In den 70er- bis 90er-Jahren töteten meist europäische Terrorzellen jährlich 100 bis 400 Menschen in Europa. Seit der Jahrtausendwende nehmen die Attentate in Westeuropa und in der Schweiz stark ab. Von 2001 bis 2015 entfielen nur 0,3 Prozent der Terroropfer auf Westeuropa. Hauptsächlich aufgrund der Attentate in Paris und Nizza stieg die Opferzahl zuletzt wieder auf rund 150 Menschen pro Jahr, sprich auf das Niveau der 80er-Jahre. Weltweit nimmt der Terrorismus seit 2005 zu – rund 80 Prozent aller Opfer sind Muslime.
Dem subjektiven Gefühl, dass sich Terroranschläge in Westeuropa häufen, stehen die nackten Zahlen gegenüber, die das Gegenteil beweisen. 199 Menschen starben in der EU laut Europol bei Terrorattacken von 2006 bis 2015. Was oft vergessen geht: Bereits in den 80er-Jahren forderte der Terror in Europa jährlich über 150 Opfer. In den 70er-Jahren starben in Westeuropa teils über 400 Menschen pro Jahr bei unzähligen Attentaten.
An das letzte Attentat in der Schweiz mag sich vermutlich kaum mehr jemand erinnern. 1995 erschossen Unbekannte in Genf einen ägyptischen Diplomaten. Es ist bis heute der letzte tödliche Terroranschlag (Amoktaten ausgenommen) auf Schweizer Boden.
Seit 1970 kommen in Westeuropa immer weniger Menschen durch Terroranschläge ums Leben. Seit rund 20 Jahren sind tödliche Terrorattacken in Westeuropa die traurige Ausnahme.
Bei den Anschlägen in Paris und Nizza wurden 223 Menschen getötet, Hunderte weitere teils lebensgefährlich verletzt. Allerdings gab es in der EU seit elf Jahren kein Attentat, das eine vergleichbare Opferzahl forderte. 2004 liessen bei mehreren Bombenexplosionen in einem Vorortszug in Madrid 191 Menschen ihr Leben (siehe folgende Grafik).
In jüngerer Zeit, sprich von 2001 bis 2015, beklagte Westeuropa insgesamt 584 Terroropfer, wenn auch Amokläufe einbezogen werden. Zählt man die Anschläge in diesem Jahr dazu, kommt man auf 726 Tote. In den 70er- und 80er-Jahren starben teils in einem einzigen Jahr über 400 Menschen durch Terror.
Die jährlichen Europol-Berichte zeigen das gleiche Bild: Vor zehn Jahren gab es fast 500 terroristische Vorfälle pro Jahr in Europa, also mehr als ein Vorfall pro Tag und mehr als 700 Verhaftungen. Die überwiegende Mehrheit davon betraf Vorfälle mit Sachbeschädigungen, die nicht auf Menschenleben abzielten. Der Europol-Bericht 2014 listet noch 152 Anschläge mit sieben Toten auf. Die allermeisten als Terrorattacken registrierten Vorfälle richten sich also nicht gegen Menschen. Der neuste Europol-Bericht 2015 verzeichnet 211 Vorfälle mit 151 Toten, davon 148 bei den Paris-Attentaten.
In der Schweiz forderte der Terrorismus seit 1898 60 Tote, was statistisch gesehen 0,5 Opfern pro Jahr entspricht. Eine Übersicht über den Terror in der Schweiz hat die Berner Zeitung publiziert.
Es ist noch nicht allzu lange her, da gehörten Terroranschläge in Teilen Europas zum Alltag: Terroristische oder separatistische Organisationen wie die katholische IRA in Nordirland, die baskische ETA in Spanien, die linksextreme RAF in Deutschland, die kommunistischen Roten Brigaden und die neofaschistische Ordine Nuovo in Italien sowie weitere nichteuropäische Terrorzellen brachten in den 70er- und 80er-Jahren teils mehrere Hundert Europäer um – pro Jahr.
Während des Nordirlandkonflikts der Jahre 1969 bis 1998 starben primär in Grossbritannien und Nordirland rund 3500 Menschen – viele davon nach Terroranschlägen durch die katholische Irisch-republikanische Armee (IRA), die protestantische Ulster Defence Association (UDA) und anderer krimineller Untergrundorganisationen. Insgesamt gab es in den knapp 30 Jahren des Terrors über 10'000 Bombenattentate.
Bei Bombenanschlägen der IRA gegen die britische Armee sowie Geschäfte und Firmen kamen auch immer wieder Zivilisten zu Schaden.
Nach dem fast drei Jahrzehnte dauernden Machtkampf zwischen den zwei Bevölkerungsgruppen haben sich die Protestanten und Katholiken Nordirlands am 10. April 1998 auf ein Friedensabkommen geeinigt. Die radikale Splittergruppe Real Irish Republican Army führt den Kampf mit Bombenanschlägen bis heute weiter.
Die Euskadi Ta Askatasuna, kurz ETA, kämpft in Spanien seit 1959 als separatistische Untergrundorganisation mit Terroranschlägen für ein unabhängiges Baskenland. Bis 2009 wurden von der ETA 823 Menschen getötet.
270 Menschenleben forderte 1988 der Sprengstoffanschlag auf ein Flugzeug der US-Fluglinie Pan Am über dem schottischen Lockerbie. Der frühere libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi soll das Attentat persönlich angeordnet haben.
Bei dem Attentat kamen alle 259 Passagiere sowie elf Bewohner Lockerbies ums Leben. Mit 189 toten US-Amerikanern galt er bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als verlustreichster Anschlag gegen US-Bürger.
1980, bei einem nicht restlos geklärten Anschlag auf den Hauptbahnhof in Bologna, starben 85 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Es war bis heute einer der folgenschwersten Terroranschläge im Nachkriegseuropa. Zunächst wurden die linksextremen Roten Brigaden beschuldigt. Nach jahrelangen Ermittlung zeigte sich jedoch, dass die Tat von Neofaschisten ausgeführt wurde, die Verbindungen zum italienischen Militärgeheimdienst und der paramilitärischen Einheit Gladio pflegten. Wie eng die Kontakte zur CIA und NATO waren, ist bis heute umstritten. Italien machte stattdessen die neofaschistische Terrororganisation Ordine Nuovo, beziehungsweise deren Splittergruppe NAR verantwortlich.
Am 21. Februar 1970 explodierte – kurz nach dem Start in Zürich – im Frachtraum einer Swissair-Maschine ein Bombe, die von palästinensischen Terroristen gelegt wurde. Der Captain versuchte nach der Detonation nach Zürich zurückzufliegen, das Flugzeug stürzte jedoch bei Würenlingen in einem Wald ab. Die 38 Passagiere und die neun Besatzungsmitglieder kamen beim Absturz ums Leben.
Die Ursache des Absturzes war ein Anschlag, der eigentlich gegen die israelische Fluggesellschaft El Al gerichtet war. Da ein Flug von München nach Tel Aviv in Israel Verspätung hatte, wurde die für diesen El-Al-Flug bestimmte Postsendung auf den Swissair-Flug umgeleitet. In diesem Paket befand sich die Bombe.
Lesetipp: Die NZZ beleuchtet in der vierteiligen Serie «Arabischer Terror in der Schweiz» drei Anschläge, die unser Land in den Jahren 1969 und 1970 erschütterten.
Die Rote Armee Fraktion (RAF) war eine linksextreme terroristische Vereinigung in Deutschland, die in den 70er- und 80er-Jahren 34 Menschen ermordete. Bei Sprengstoffattentaten wurden zudem über 200 Menschen verletzt, viele der Opfer waren Polizisten und Soldaten sowie Führungskräfte in Politik und Wirtschaft.
Die palästinensische Terrorgruppe Schwarzer September begann als kleine Zelle von Fatah-Anhängern. Anfang der 1970er-Jahre verübte sie mehre Anschläge in Europa, etwa an den Olympischen Sommerspielen in München oder am Flughafen von Athen.
Beim Olympia-Attentat in München von 1972 stürmten acht bewaffnete Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September das Wohnquartier der israelischen Mannschaft und nahmen elf Sportler als Geiseln.
Zwei Geiseln wurden bereits im Olympischen Dorf ermordet. Bei einem schlecht geplanten Befreiungsversuch auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck starben am selben Abend alle verbliebenen neun Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf der Terroristen. Unterstützt wurden die palästinensischen Terroristen laut deutschen Behörden von Helfern aus der Neonazi-Szene.
Zusammengefasst in einer Grafik sieht die Terror-Statistik für Westeuropa für die letzten 46 Jahre wie folgt aus:
Bei allen Terrorakten seit 2001 sind rund 155'000 Menschen getötet worden. Nur 0,3 Prozent der Anschläge fanden in Europa statt. Die folgende Grafik zeigt, wie sich die Anzahl terroristischer Vorfälle weltweit (rote Kurve) und in Europa (blaue Kurve) seit etwa 2005 auseinander bewegt.
Seit 2011 steigt die Zahl der Attentate sprunghaft an. Das liegt einerseits an schlagkräftigen Organisationen wie Boko Haram und dem sogenannten «Islamischen Staat» («IS»). Andererseits werden Terroranschläge seit 2012 mittels Computerprogrammen automatisch erfasst – und so bleiben immer weniger Attentate unbemerkt.
Die Datenbank «Global Terrorism» der Universität Maryland verzeichnet für das Jahr 2001 weltweit 1908 Anschläge (davon 771 mit Toten). Im gleichen Jahr gab es in Westeuropa 19 tödliche Anschläge. 2014 stieg die Zahl weltweit auf 16'840 Anschläge, davon 6334 mit Toten. Westeuropa verzeichnete 3 tödliche Anschläge. Die folgende Tabelle zeigt die konkreten Zahlen für die Jahre 2001 bis 2015.
Wer glaubt, dass wir in der oben stehenden Grafik die Balken für Westeuropa vergessen haben, ist schief gewickelt. In der EU gibt es seit 2001 so wenig Anschläge mit Toten pro Jahr, dass das Statistik-Programm schlicht keine Balken zeichnen kann.
Mehr Terroranschläge ausserhalb Westeuropas fordern auch mehr Terroropfer. Die Zahl nimmt seit 2011 global betrachtet rasant zu. Wie erwähnt liegt dies auch daran, dass die tödlichen Anschläge seit 2012 automatisiert und somit genauer registriert werden.
In Westeuropa forderte der Terror in den letzten 15 Jahren oft weniger als zehn Menschenleben pro Jahr. Allerdings gibt es auch immer wieder blutige Jahre: 2004 liessen bei mehreren Bombenexplosionen in Madrid 191 Menschen ihr Leben. 2005 starben beim Anschlag auf die Metro in London 52 Menschen. 2011 tötete der Norweger Anders Behring Breivik 77 Menschen in Norwegen. 2015 und 2016 töteten Terroristen in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin fast 300 Menschen. Diese und kleinere Anschläge zeigen, dass Terroristen in den letzten Jahren immer wieder tödlich zuschlagen konnten.
2015 und 2016 forderte der Terror auch in Westeuropa einen höheren Blutzoll als in den Jahren zuvor, verglichen mit früheren Jahrzehnten und anderen Weltregionen sind die Opferzahlen aber gering. Da das Risiko bei uns durch die Hand von Terroristen zu sterben insgesamt äusserst gering ist – vermutlich auch weil geplante Anschläge teils vereitelt werden – erscheinen einzelne Attentate als Ausreisser in der folgenden Grafik.
2016 (Nizza, Brüssel, Berlin) und 2015 (Paris) werden nach 2011 (Oslo), 2005 (London) sowie 2004 (Madrid) als schwarze Jahre in Europas jüngste Terror-Geschichte eingehen. An der langjährigen Tendenz, dass Westeuropa nach den Terrorwellen in den 70er- bis 90er-Jahren heute deutlich weniger Opfer zu beklagen hat, ändert dies zurzeit wenig. Dieser Fakt soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Terrorgefahr in Europa wieder erhöht ist. Es gibt in Westeuropa nicht mehr Anschläge als früher, im Gegenteil. Aber die wenigen Anschläge fordern pro Attentat mehr Opfer als früher. Europol warnt denn auch vor jihadistischem Terror durch zurückgekehrte «IS»-Kämpfer. Zudem würden nationalistische, rassistische und antisemitische Gefühle in Europa rasant zunehmen und damit zu rechtsextremen Terrorakten führen.
Die folgende Grafik zeigt im Detail, wie viele Menschen seit 2001 jährlich bei Terroranschlägen starben.
Der Vergleich mag hinken, ist aber trotzdem interessant: Allein in der Schweiz starben zuletzt rund 300 Menschen jährlich im Strassenverkehr. Dem Terror zum Opfer fielen bei uns seit 1898 insgesamt 60 Menschen, seit 1995 niemand mehr – sofern Amokläufe nicht mitgezählt werden. Am 27. September 2001 erschoss Friedrich Leibacher während einer Sitzung des Zuger Kantonsrates drei Regierungsräte und elf Kantonsräte. Diese Amoktat wird in der Global Terrorism Database als letztes Terrorereignis in der Schweiz geführt. Ob eine Tat ein politisch-ideologisch motivierter Terroranschlag oder ein wahnhafter Amoklauf ist, lässt sich manchmal nur schwer sagen.
Mit Abstand am gefährlichsten lebte es sich über die letzten 15 Jahre gesehen im Irak, gefolgt von Afghanistan, Pakistan, Nigeria, Indien und Syrien. Der Irak litt mit 8797 Attacken und 42'760 Toten am meisten unter dem Terror – fast jedes dritte Opfer stammt aus dem Irak. Zum Vergleich: Europa beklagte im selben Zeitraum 420 Terroropfer (0,3 Prozent). In der oben stehenden Grafik fehlen die USA mit 3047 Opfern.
In den vergangenen 45 Jahren gab es mehr als 2700 aktive Terrorgruppen. Am meisten Anschläge verübt hat die Gruppe Leuchtender Pfad aus Peru, gefolgt von den Taliban in Afghanistan und der FARC in Kolumbien. In Europa haben ETA und IRA je knapp 2000 Mal zugeschlagen.
Seit 2001 haben die Taliban mit über 12'000 Ermordeten am meisten Menschen auf dem Gewissen, vor den Islamisten von Boko Haram in Nigeria, dem «IS» im Irak und Syrien sowie al-Kaida. Die einzige nicht islamistische Terrororganisation in den Top Fünf seit 2001 ist eine kommunistische Terrorgruppe in Indien.
Was im Westen oft vergessen geht: Die übergrosse Mehrheit der Menschen, die von radikalen Muslimen getötet werden, sind selbst Muslime – etwa 80 Prozent.
In Westeuropa wurden von 2001 bis 2015 insgesamt 95 Anschläge verübt, bei denen jeweils mindestens eine Person starb. Mit den Attacken in Brüssel, Nizza und Berlin von 2016 kommt man auf 726 Opfer.
Zwar gab es in Europa seit 2001 überwiegend Terrorattacken ohne islamistischen Hintergrund, islamistisch motivierte Attentate forderten aber weit mehr Tote. Dieser Trend hat sich 2016 mit den Attentaten in Brüssel, Nizza und Berlin fortgesetzt.
Der politisch motivierte Terror von Separatisten, etwa im Baskenland, auf Korsika oder in Nordirland, bleibt zwar virulent, forderte aber in den letzten Jahren vergleichsweise wenig Opfer. In der EU und in Frankreich werden seit 2007 immer weniger Menschen wegen politisch motiviertem Terror verhaftet.
Umgekehrt werden insbesondere in Frankreich seit 2012 mehr Menschen wegen religiös motivierten Terrorplänen verhaftet. Einige Terrorexperten machen in diesem Kontext auf die überproportional grosse Zahl an Dschihadreisenden aus Frankreich aufmerksam – geschätzt 1500 – die für den «IS» kämpfen sollen.
Terror-Warnkarten, wie diese einer britischen Boulevardzeitung, lassen vermuten, dass in Frankreich und Spanien hinter jeder Ecke ein Terrorist lauert und Deutschland oder Italien gefährliche Reisedestinationen sind.
Die Wahrscheinlichkeit in Europa Opfer eines Terroranschlags zu werden, liegt bei 0,002 Prozent. In der Schweiz ist das Risiko noch geringer.
Befragungen zeigen immer wieder, dass die statistisch gesehen minimale Terrorgefahr massiv überschätzt wird, wofür es eine plausible Theorie gibt: Da Terroranschläge – sofern sie wie in Paris oder Berlin in unserer Nähe stattfinden – die Menschen massiv mehr interessieren als «gewöhnliche» Unfälle oder Naturkatastrophen, informieren Medien ausgiebig über Attentate. Spektakuläre Ereignisse wie 9/11 oder der Germanwings-Absturz bleiben zudem länger in Erinnerung, was uns das Risiko für Attentate oder einen Flugzeugabsturz überschätzen lässt. Umgekehrt unterschätzen wir die Gefahr, im Strassenverkehr, bei einem Berufsunfall oder durch einen Wespenstich zu sterben, da über unspektakuläre Ereignisse weniger informiert wird.
Hinweis: Dieser Artikel ist ursprünglich nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015 verfasst worden. Aus aktuellem Anlass haben wir ihn jetzt aktualisiert und nochmals publiziert.