Als der Wolf in die Schweiz zurückkehrt, herrscht zunächst blankes Entsetzen. «Die ‹Bestie› aus dem Val Ferret im Wallis hat im benachbarten Val d'Entremont erneut zugeschlagen: Nach Angaben der Zeitung ‹Nouvelliste› riss der blutrünstige Vierbeiner zwei Mutterschafe, drei weitere Tiere wurden verletzt», schreibt nicht etwa der Boulevard, sondern die sonst so nüchterne Schweizerische Depeschenagentur.
Die Sensationslust erfasst 1995 die halbe Schweiz. Selbst ernannte Zoologen geben ihre Urteile ab, andere spekulieren, hinter der Story steckten bauernschlaue Schafhirten: «Was für ein glücklicher Zufall jedoch, dass das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft vierzehn Tage vor der ersten Attacke eine Zusatzverordnung über die Entschädigung künftiger Wolfs- und Bärenrisse bei Behörden und Verbänden in die Vernehmlassung schickte», unkte die Zeitschrift «Facts».
Erst im darauffolgenden Frühling halten Fotofallen fest: Der Wolf ist nach mehr als einem Jahrhundert zurück in der Schweiz. Dreissig Jahre sind seither vergangen, und der Bestand wächst rasant. Jeden Frühling kommen neue Welpen zur Welt; 300 Wölfe sollen bereits durch die Schweiz streifen. Auch in städtischem Gebiet kam es zuletzt zu Sichtungen.
«Als Wildtier, das zwischen Kultur- und Naturlandschaften wandert, fordert der Wolf in der reichen, durchorganisierten und sicheren Schweiz das menschliche Kontrollbedürfnis heraus», schreibt die Umweltorganisation Pro Natura anlässlich des Jubiläums.
Tatsächlich findet die Debatte um das prominenteste Schweizer Raubtier oft entlang der Stadt-Land-Achse statt. Ein Jagdgesetz, das Abschüsse vorgesehen hatte, scheiterte im Herbst 2020 noch knapp an der Urne – und nicht zuletzt dank Stimmen aus den Städten. In den darauffolgenden Sommern jagten sich aber immer schockierendere Nachrichten von Rissen und Wolfssichtungen.
Schliesslich griff Umweltminister Albert Rösti (SVP) durch: Per vorgezogener Verordnung blies er zur proaktiven Wolfsjagd, nachdem das Parlament ein neues Jagdgesetz verabschiedet und die Umweltverbände ihren Widerstand dagegen aufgesteckt hatten.
Seither sind präventive Abschüsse den Winter hindurch möglich. Knapp 100 waren es in der vergangenen Jagdperiode. Darunter ist wohl auch das Rudel Fuorn, das teilweise im Schweizer Nationalpark zu Hause war. Die Institution wehrte sich so vehement wie vergeblich gegen die Abschüsse. Das zuständige Bundesamt will Ende Monat eine inhaltliche Bilanz ziehen.
Schon vorher begann die Zahl der Nutztierrisse zu stagnieren: Rund 1000 waren es in den Jahren 2024 und 2023. In der Statistik markiert vor allem das Jahr 2022 einen Ausreisser mit fast 1800 Rissen. Insgesamt machen Wolfrisse einen tiefen einstelligen Prozentsatz aller jährlich verendenden Schafe aus. Viele sterben an Krankheiten, Steinschlägen oder Unwettern.
Der Wolf sei eine Schweizer Normalität geworden, findet Pro Natura. Die notwendigen Massnahmen für ein konfliktarmes Nebeneinander seien hinlänglich bekannt, ebenso die Tatsache, dass es kein einfaches Patentrezept gibt. «Auf dass der Wolf weniger als Projektionsfläche und mehr als selbstverständlicher Teil unserer Natur gesehen werde», schreibt die Naturschutzorganisation zu 30 Jahren Wolf-Rückkehr. Es klingt wie ein frommer Wunsch, der im Bundeshaus allerdings rasch verhallt.
Vergangenen Sommer überwies die Umweltkommission des Nationalrats ein Postulat, das die Prüfung von Verteidigungsabschüssen verlangt. Vorbild ist Frankreich, wo nicht nur Jäger, sondern auch Hirten sich bewaffnen. Wie diese «tirs de défense» in der Schweiz aussehen sollen, ist noch völlig unklar. Geht es nach Antragsteller Michael Graber (SVP/VS), sollen Hirten aber nicht bloss in die Luft zielen, sondern einen sich nähernden Wolf ins Visier nehmen.
Dagegen wehrt sich David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz. Gegenüber dieser Zeitung verwies er auf Erfahrungen aus dem Ausland: Frankreich sei dasjenige Land Europas mit den grössten Schäden durch Wölfe, sowohl in absoluten Zahlen als auch in Rissen pro Wolf – obwohl der Verteidigungsabschuss, der «tir de défense», dort schon lange möglich sei.
Gerke: «Die wissenschaftlichen Untersuchungen in Frankreich zeigen, dass auch der ‹tir de défense› nicht zu einem Rückgang der Risse führt.» Dem schloss sich auch Pro Natura an: «Dass Tierhalter oder Hirtinnen ohne Jagdbefähigung oder Jäger im Auftrag eines Tierhalters – und nicht des Kantons – Wölfe erlegten, ginge zu weit», sagt Fachexpertin Sara Werli. Aktuell dürfen nur geschulte Wildhüterinnen und Jäger mit einer Spezialbewilligung dem Wolf nachstellen.
Seit vergangener Woche ist jedoch klar, wie die Haltung des Bundesrats in dieser Sache aussieht: Er hält die Idee für prüfenswert und beantragt die Annahme des Postulats, was zukünftig bewaffnete Schafhirten deutlich wahrscheinlicher macht. (aargauerzeitung.ch)
Es kann nicht sein dass sich Hirten und Bauern bewaffnen und dies nicht nur wegen einer fehlenden Jagdpraxsis sondern wegen eines Sicherheitsrisikos für die Allgemeinheit.
Das ist wohl die hirnrissigste Idee die ich jemals gehört habe.