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Bundesrat will eine neue Taktik gegen den Wolf prüfen

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Ein Wolf, der im Wald steht.Bild: imgur

Bundesrat will eine neue Taktik gegen den Wolf prüfen – sie ist umstritten

Vor 30 Jahren ist der Wolf in die Schweiz zurückgekehrt. Das Leben mit dem Grossraubtier sei schlicht eine neue Realität, sagen Umweltverbände. Doch das Parlament hat eine andere Idee.
07.04.2025, 08:0107.04.2025, 11:23
Benjamin Rosch / ch media
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Als der Wolf in die Schweiz zurückkehrt, herrscht zunächst blankes Entsetzen. «Die ‹Bestie› aus dem Val Ferret im Wallis hat im benachbarten Val d'Entremont erneut zugeschlagen: Nach Angaben der Zeitung ‹Nouvelliste› riss der blutrünstige Vierbeiner zwei Mutterschafe, drei weitere Tiere wurden verletzt», schreibt nicht etwa der Boulevard, sondern die sonst so nüchterne Schweizerische Depeschenagentur.

Die Sensationslust erfasst 1995 die halbe Schweiz. Selbst ernannte Zoologen geben ihre Urteile ab, andere spekulieren, hinter der Story steckten bauernschlaue Schafhirten: «Was für ein glücklicher Zufall jedoch, dass das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft vierzehn Tage vor der ersten Attacke eine Zusatzverordnung über die Entschädigung künftiger Wolfs- und Bärenrisse bei Behörden und Verbänden in die Vernehmlassung schickte», unkte die Zeitschrift «Facts».

Erst im darauffolgenden Frühling halten Fotofallen fest: Der Wolf ist nach mehr als einem Jahrhundert zurück in der Schweiz. Dreissig Jahre sind seither vergangen, und der Bestand wächst rasant. Jeden Frühling kommen neue Welpen zur Welt; 300 Wölfe sollen bereits durch die Schweiz streifen. Auch in städtischem Gebiet kam es zuletzt zu Sichtungen.

Gabriele Cozzi, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Amtes fuer Jagd und Fischerei und ein auf grosse Raubtiere spezialisierter Biologe, beim Aufstellen einer Fotofalle, die zur Ueberwachung der Woelfe  ...
Eine Fotofalle, die gerade im Tessin aufgebaut wird.Bild: keystone

«Als Wildtier, das zwischen Kultur- und Naturlandschaften wandert, fordert der Wolf in der reichen, durchorganisierten und sicheren Schweiz das menschliche Kontrollbedürfnis heraus», schreibt die Umweltorganisation Pro Natura anlässlich des Jubiläums.

Knapp 100 Wolfsabschüsse seit September

Tatsächlich findet die Debatte um das prominenteste Schweizer Raubtier oft entlang der Stadt-Land-Achse statt. Ein Jagdgesetz, das Abschüsse vorgesehen hatte, scheiterte im Herbst 2020 noch knapp an der Urne – und nicht zuletzt dank Stimmen aus den Städten. In den darauffolgenden Sommern jagten sich aber immer schockierendere Nachrichten von Rissen und Wolfssichtungen.

Schliesslich griff Umweltminister Albert Rösti (SVP) durch: Per vorgezogener Verordnung blies er zur proaktiven Wolfsjagd, nachdem das Parlament ein neues Jagdgesetz verabschiedet und die Umweltverbände ihren Widerstand dagegen aufgesteckt hatten.

Seither sind präventive Abschüsse den Winter hindurch möglich. Knapp 100 waren es in der vergangenen Jagdperiode. Darunter ist wohl auch das Rudel Fuorn, das teilweise im Schweizer Nationalpark zu Hause war. Die Institution wehrte sich so vehement wie vergeblich gegen die Abschüsse. Das zuständige Bundesamt will Ende Monat eine inhaltliche Bilanz ziehen.

Schon vorher begann die Zahl der Nutztierrisse zu stagnieren: Rund 1000 waren es in den Jahren 2024 und 2023. In der Statistik markiert vor allem das Jahr 2022 einen Ausreisser mit fast 1800 Rissen. Insgesamt machen Wolfrisse einen tiefen einstelligen Prozentsatz aller jährlich verendenden Schafe aus. Viele sterben an Krankheiten, Steinschlägen oder Unwettern.

«Eine Normalität geworden»

Der Wolf sei eine Schweizer Normalität geworden, findet Pro Natura. Die notwendigen Massnahmen für ein konfliktarmes Nebeneinander seien hinlänglich bekannt, ebenso die Tatsache, dass es kein einfaches Patentrezept gibt. «Auf dass der Wolf weniger als Projektionsfläche und mehr als selbstverständlicher Teil unserer Natur gesehen werde», schreibt die Naturschutzorganisation zu 30 Jahren Wolf-Rückkehr. Es klingt wie ein frommer Wunsch, der im Bundeshaus allerdings rasch verhallt.

Vergangenen Sommer überwies die Umweltkommission des Nationalrats ein Postulat, das die Prüfung von Verteidigungsabschüssen verlangt. Vorbild ist Frankreich, wo nicht nur Jäger, sondern auch Hirten sich bewaffnen. Wie diese «tirs de défense» in der Schweiz aussehen sollen, ist noch völlig unklar. Geht es nach Antragsteller Michael Graber (SVP/VS), sollen Hirten aber nicht bloss in die Luft zielen, sondern einen sich nähernden Wolf ins Visier nehmen.

David Gerke ist Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz.
David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz.Bild: HO/Aargauer Zeitung

Dagegen wehrt sich David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz. Gegenüber dieser Zeitung verwies er auf Erfahrungen aus dem Ausland: Frankreich sei dasjenige Land Europas mit den grössten Schäden durch Wölfe, sowohl in absoluten Zahlen als auch in Rissen pro Wolf – obwohl der Verteidigungsabschuss, der «tir de défense», dort schon lange möglich sei.

Gerke: «Die wissenschaftlichen Untersuchungen in Frankreich zeigen, dass auch der ‹tir de défense› nicht zu einem Rückgang der Risse führt.» Dem schloss sich auch Pro Natura an: «Dass Tierhalter oder Hirtinnen ohne Jagdbefähigung oder Jäger im Auftrag eines Tierhalters – und nicht des Kantons – Wölfe erlegten, ginge zu weit», sagt Fachexpertin Sara Werli. Aktuell dürfen nur geschulte Wildhüterinnen und Jäger mit einer Spezialbewilligung dem Wolf nachstellen.

Seit vergangener Woche ist jedoch klar, wie die Haltung des Bundesrats in dieser Sache aussieht: Er hält die Idee für prüfenswert und beantragt die Annahme des Postulats, was zukünftig bewaffnete Schafhirten deutlich wahrscheinlicher macht. (aargauerzeitung.ch)

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Auge in Auge mit einem Wolf
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Auge in Auge mit einem Wolf
Der «böse Blick»: Ein grosser männlicher Wolf merkt auf. Der Filmer ist unsichtbar versteckt und unter dem Wind, macht aber durch Imitation des Heulens auf sich aufmerksam. Die bersteinfarbene Iris der Wölfe war den Menschen so unheimlich, dass Hunde mit heller Iris getötet wurden.
quelle: videostill/stefano polliotto
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«Ich bin total gegen Wolfsabschüsse » – Jäger hat klare Meinung
Video: watson
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99 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gandalf-der-Blaue
07.04.2025 08:45registriert Januar 2014
Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben und ich fnde das gut. Und heute wissen wir, dass eine Koexistenz möglich ist, denn die letzten Jahre haben eines bestätigt: Je mehr sich die Wölfe in Rudeln organisieren, desto seltener werden Risse von Nutztieren. Denn obwohl die Population zugenommen hat, sind die Risse zurückgegangen. Freuen wir uns doch über die tollen Tiere!
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What’s Up, Doc?
07.04.2025 10:15registriert Dezember 2015
Gegen dieses Vorhaben muss sich die Bevölkerung ebenfalls wehren, nicht nur Organisationen wie die Gruppe Wolf Schweiz.
Es kann nicht sein dass sich Hirten und Bauern bewaffnen und dies nicht nur wegen einer fehlenden Jagdpraxsis sondern wegen eines Sicherheitsrisikos für die Allgemeinheit.
Das ist wohl die hirnrissigste Idee die ich jemals gehört habe.
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Kopold
07.04.2025 10:22registriert Juli 2014
Wenn sogar Wildhüter Luchse statt Wölfe erschiessen (siehe letzten Herbst), wie endet wohl das kopflose bewaffnen von Hirten und Tierhaltern? 💀🔫
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