Das Stadtzürcher Parlament will ein sogenanntes «Genderwatch-Protokoll» einführen: Der Gemeinderat nahm dazu gestern einen Antrag der SP und der Grünen Partei mit 61 zu 50 an. Die bürgerliche Presse deutete den Vorschlag als mögliches Reizthema und titelte gar, dass das Genderwatch-Protokoll nun zum «Entsetzen der Bürgerlichen» komme.
Doch was will dieser Vorstoss genau und was ist unter einem solchen Protokoll zu verstehen? Diese Frage lässt sich nicht klar beantworten, weil SP und Grüne die Form offen liessen. Das Genderwatch-Protokoll soll «das Verhältnis der Geschlechter bei den Wortmeldungen und der Redezeit der Ratsmitglieder» erfassen. Die ausgewerteten Daten sollen zudem öffentlich einsehbar sein.
Werfen wir einen Blick in den Vorstoss. Dort heisst es:
Konkret heisst das: Irgendwer oder irgendwas muss protokollieren, wer und wessen Geschlechts, wann, wie lange sprach.
Die SP und Grünen begründen ihren Antrag damit, dass solche Auswertungen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie Geschlechter in einem Parlament vertreten sind und inwiefern eine Volksvertretung seine Repräsentationsaufgabe wahrnehmen kann.
Die beiden links-grünen Parteien sind sich bewusst, dass in Bezug der Umsetzung «verschiedene Formen denkbar» sind. Sie erwähnen aber auch ein mögliches Worst-Case-Szenario: Wenn es zu aufwändig sei, könne es als Kompromissvorschlag auch zuerst während einer Pilotphase manuell geführt werden. Sollte es aber automatisiert umgesetzt werden können, könnten auch Auswertungen nach anderen Kriterien möglich sein. Die links-grünen Parteien erwähnen da die «Parteizugehörigkeit» oder das «Alter» als mögliche Statistik.
Die SVP-Gemeinderätin Susanne Brunner war die vehementeste Gegnerin des Vorstosses. «Nur auf die Redezeit zu schauen, ist nicht sinnvoll. Wer die Arbeit im Parlament kennt, weiss: Die Redezeit hängt von verschiedenen Faktoren ab», sagte Brunner und nannte als Beispiel etwa die Funktion, in der ein Parlamentsmitglied spricht. Wer eine Kommission vertrete, könne und müsse länger reden.
Zudem hänge die Redezeit auch vom «Rede-Interesse» und dem rhetorischen Talent ab. Ihr Fazit deshalb: Im Parlament sollten jene reden, die etwas zu sagen haben – und nicht, damit eine Statistik besser oder schlechter aussieht. Sie appellierte auch daran, an die Umsetzung zu denken: Das Ratsbüro werde «gezwungen», mit einer «Stoppuhr» jede Redezeit zu messen und «beispielsweise in Excel» zu notieren.
Die FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher teilte diese Kritik und schimpfte den Antrag als «gleichstellungsfeindlichen Bürokratievorstoss». Ihr Appell: «Anerkennen Sie, dass lange Voten häufig schlechter sind als kurze Voten.» Ihr eigenes Votum dauerte 59 Sekunden.
Eine solche Protokollierung ist heute bereits möglich: So zeichnet das Audioprotokoll-System des Gemeinderates jede Wortmeldung auf. Im Internet sind deshalb alle Wortmeldungen der letzten zwölf Jahre als Audiodatei verfügbar: Diese wären maschinell einfach auswertbar.
Anhand dieser Daten lässt sich deshalb heute schon sagen: Die gestrige Debatte rund ums Genderwatch-Protokoll dauerte – wenn man die Wortmeldungen des Ratspräsidenten weglässt – insgesamt 27 Minuten und 27 Sekunden. Davon kamen ziemlich genau 75 Prozent von Gemeinderätinnen. Einfache Programme könnten diese Auswertungen in Sekundenschnelle produzieren und diese mit weiteren Angaben wie Alter, Partei, Stadtkreis und Amtsdauer verknüpfen.
Journalistinnen und Journalisten haben in der Vergangenheit mehrere solche Parlamentsdaten-Auswertungen veröffentlicht. Möglich gemacht werden sie durch eine bürgernahe OpenData-Strategie, wie es diese etwa beim Bundesparlament gibt: Dort könnte dank Datenschnittstellen sogar ausgewertet werden, welcher Nationalrat oder welche Ständerätin am schnellsten spricht und entsprechend wenig Redezeit benötigt.
Diese OpenData-Strategie wird bislang vom Zürcher Gemeinderat nicht verfolgt. Sein Internet-Auftritt wurde seit über acht Jahren nicht modernisiert, das Audioarchiv sieht zudem genau so aus wie vor über elf Jahren. Datenschnittstellen existieren genau so wenig wie sauber dokumentierte Datensätze, weshalb es bislang für Medienschaffende und Aktivistinnen ausserhalb des Gemeinderates wenig attraktiv war, selbst solche Auswertungen zu machen.
maylander
Anstelle das Problem anzugehen verzettelt man sich lieber.
Atavar
Warum um alles in der Welt muss sowas diskutiert werden?
Können wir uns um bestehende Probleme wie z.B. Mobilität, Kitas, Abfallwirtschaft, usw. kümmern?
Mein Vorschlag: erfasst das 1 Jahr von Hand. Wenn ein Missmatch dokumentiert wird, ist DANN die Zeit sich maximal während EINER Sitzung darüber auszutauschen und zügig abzustimmen.
Meine Güte, Politiker: MACHT EUREN JOB FÜR DIE BEVÖLKERUNG und nicht für Kleinthemen. Unverständlich.
Pontifax