Bürger*innen, Ständerät:innen oder Nationalrät_innen? Die Diskussion um eine gendergerechte Sprache hat in der Vergangenheit schon oft die Gemüter im Schweizer Parlament erhitzt. Im Juni 2021 schob die Bundeskanzlei der Debatte einen Riegel vor: Sie publizierte einen Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren von Texten des Bundes.
Darin hielt sie fest, dass man sich künftig auf die Doppelnennung, also «Politikerinnen und Politiker», oder wo möglich auf eine neutrale Formulierung beschränken soll. Das generische Maskulinum – die männliche grammatikalische Form, unabhängig vom Geschlecht – ist nicht zulässig. Ebenso wenig der Genderstern und ähnliche Schreibweisen.
Nun möchte die SP-Nationalrätin Céline Widmer die Diskussion erneut anstossen. In einem Postulat fordert sie den Bundesrat auf, zu prüfen, wie eine trans-inklusive Sprache in der Bundesverwaltung umgesetzt werden kann. Eine Sprache also, die nicht nur weibliche und männliche Formen nennt, sondern alle Personen sämtlicher Geschlechter anspricht. Also beispielsweise auch trans oder non-binäre Personen.
Dass die Bundeskanzlei den Genderstern in Texten verboten hat, sei «weder zeitgemäss noch entspricht es dem Anspruch der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter», schreibt Widmer.
Die Bundeskanzlei hielt vor einem Jahr in ihrem Leitfaden zum gendergerechten Formulieren fest, sie anerkenne das Anliegen, das hinter dem Genderstern und ähnlichen neueren Schreibweisen stehe: «Eine Sprache zu verwenden, die möglichst alle Menschen einbezieht und niemanden ausschliesst.»
Doch aus Sicht der Bundeskanzlei seien typografische Mittel wie der Genderstern, Genderdoppelpunkt oder der Gender-Gap nicht geeignet, diesem Anliegen gerecht zu werden. Die deutsche Sprache habe bislang keine Mittel herausgebildet, um Menschen, die weder weiblichen noch männlichen Geschlechts sind, spezifisch zu benennen.
SP-Nationalrätin Widmer findet das widersprüchlich: «Einerseits anerkennen sie das Bedürfnis, sprechen aber ein Verbot aus, den Genderstern zu benutzen.» Universitäten oder die Stadt Bern würden den Genderstern längst verwenden. Auch Medienunternehmen setzten auf Sonderzeichen für genderneutrale Sprache. «Es ist an der Zeit, dass auch in den Texten des Bundes eine Sprache verwendet wird, die Menschen aller Geschlechter einbezieht – also auch trans und non-binäre Menschen – und niemanden ausschliesst», so Widmer.
Ihr Anliegen wird wohl auf wenig Gegenliebe stossen. Die gendergerechte Schreibweise ist insbesondere in bürgerlichen Kreisen vielen ein Dorn im Auge. Befürchtet wird, mit Sternchen, Doppelpunkt und Co. würde ein Text unleserlich und die deutsche Sprache verhunzt. Andere finden solche Lösungen schlicht grammatikalisch nicht korrekt.
Zusätzlich schwer dürfte es der Vorstoss haben, weil selbst innerhalb der feministischen Bewegung Uneinigkeit darüber herrscht, welche Zeichensetzung denn nun die richtige ist.
Am bekanntesten ist der Genderstern. Wird beispielsweise «Politiker*innen» geschrieben, fungiert das Sternchen als Platzhalter, um neben männliche und weibliche auch trans und non-binäre Personen miteinzubeziehen. Manche fühlen sich dadurch aber im Lese- und Sprachfluss behindert. Einige Feministinnen betrachten das Sternchen für die Sache der Frau als sprachlichen Rückschritt.
Die bekannte deutsche feministische Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch schrieb: «Es zerreisst die Wörter in drei Teile: Maskulinum – Genderstern – weibliche Endung. Männer bekommen den Wortstamm und somit den ersten Platz, Transgender-Personen bekommen den zweiten Platz, Frauen wird mit der Wortendung der letzte Platz zugewiesen. Das ist für Frauen nicht akzeptabel.»
Weniger häufig zur Anwendung kommt der Gender-Gap, also beispielsweise Politiker_innen. Anders als das Gendersternchen, dessen Ursprung unklar ist, hat der Gender-Gap eine dokumentierte Herkunft. In seinem Artikel «Performing the Gap» kritisierte der deutsche Philosoph Steffen Kitty Hermann die bisherige Gender-Schreibweise: «Der Unterstrich schiebt grafisch die männliche und die weibliche Form auseinander, um dazwischen Platz für etwas Neues zu machen. Nämlich für jene, die sich nicht mit der zweigeschlechtlichen Ordnung identifizieren können oder wollen. Der Unterstrich dient also in erster Linie der Sichtbarmachung.»
Der Gender-Gap schaffte es bis heute allerdings nicht, sich in der breiten Öffentlichkeit durchzusetzen. Einige trans und non-binäre Personen kritisieren ausserdem, dass die Geschlechtsidentitäten jenseits des binären Modells ausgerechnet als Leerstelle dargestellt werden.
Als Alternative für das Gendersternchen oder der Gendergap wird seit einigen Jahren der Doppelpunkt immer beliebter, also zum Beispiel Politiker:innen. Die Lücke zwischen der männlichen und weiblichen Form wird damit wieder geschlossen, wobei der Doppelpunkt dieselbe diverse Geschlechtervielfalt symbolisieren soll, wie das Sternchen oder der Unterstrich.
Viele finden den Doppelpunkt ansehnlicher und weniger störend im Lesefluss. Ausserdem machen Vorleseprogramme für sehbehinderte Personen bei einem Doppelpunkt automatisch eine Pause. Inwiefern der Doppelpunkt aber tatsächlich Barrierefreiheit für Menschen mit Sehbehinderungen schafft, ist umstritten.
Das Zeichen hat sich in kurzer Zeit in vielen Behörden und Institutionen durchgesetzt. Gerade das macht einige Feministinnen aber misstrauisch. Jovin Joëlle Barrer, Geschäftsleiterin des Vereins feministische Wissenschaft Schweiz sagt: «Ich habe gewisse Fragezeichen bezüglich dieser raschen Institutionalisierung.» Der Doppelpunkt könne einfacher überlesen werden. Der Genderstern erzeuge jedoch eine Störung des Leseflusses, in der Barrer ein gewisses politisches Potenzial erkennt, mit gewohnten Sprachmustern aktiv zu brechen.
Die Diskussionen um eine gendergerechte Schreibweise sind kompliziert. Nicht nur wegen der Gegnerschaft, die sich über kaum ein anderes Thema heftiger ereifern kann. Auch innerhalb progressiver Bewegungen werden hitzige Diskussionen über Geschlechteridentität und Inklusion geführt. Dort zeigt sich: Es gibt keine klaren Antworten. Kein richtig und falsch. Jede Methode hat ihre Vor- und ihre Nachteile.
Das ist auch SP-Nationalrätin Céline Widmer bewusst. Sie sagt denn auch, es sei letztlich egal, welches typografische Zeichen man am Schluss benütze, Hauptsache sei, man prüfe, mit welchen Massnahmen eine trans-inklusive Sprache umgesetzt werden kann. «Es nicht einmal zu versuchen, finde ich mutlos und ein Kniefall vor genau jenen, die sich grundsätzlich gegen eine gendergerechte Sprache aussprechen.»
blablahochzwei
felixJongleur
Helvetiavia Philipp
Nehmen mich zwei Polizisten fest, ist es ziemlich egal, welches Geschlecht der Polizist hat, der mir den Knüppel überzieht. Gibt der Hauseigentümerverband eine Stellungnahme zur Zweitwohnungsinitiative ab, ist es ziemlich egal, wessen Geschlechts seine Mitglieder zugehörig sind.
Mit willkürlichem Gendern, macht man die Sprache diskriminierend, unverständlich und unschön.