Sie wissen: Hier sind wir unter uns. Hier, im teuren Restaurant Terrasse am Zürcher Bellevue, wo die lokale Schickeria normalerweise edel speist und trinkt, um zu sehen und gesehen zu werden. An diesem Anlass soll die Öffentlichkeit jedoch aussen vor bleiben. Nur Zünfter, ihre Frauen und geladene Gäste sind am «Ball beim Böögg» zugelassen. Dieser wird jeweils von Vertretern verschiedener Zünfter organisiert. Dresscode: Zunftkleidung.
Am vergangenen Wochenende, vor dem traditionellen Sechseläuten am Montag, fand der Anlass erneut statt. Wieder war es eine geschlossene Runde mit rund 140 Teilnehmenden. Laut «Tages-Anzeiger» auf der Gästeliste: Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident des Versicherungsriesen Swiss Life. Ein geleaktes Video, das die Zeitung veröffentlicht hat, zeigt nun ein äusserst fragwürdiges Sittenbild der anwesenden Gesellschaft. Denn die elitären Böögg-Buddies lachen am Event schamlos über Rassismus, Sexismus und Homophobie.
Am späteren Abend – laut «Tages-Anzeiger» nach der zweiten Vorspeise und vor dem Hauptgang – stand eine «Produktion» des Show-Komitees auf dem Programm. Teil der Belustigung: Ein Mann mit schwarz bemaltem Gesicht, also ein klarer Fall von Blackfacing. Dazu trägt er Bastrock, Kraushaarperücke und hält einen grossen Knochen in der Hand, der zwischendurch – zum Amüsement der Gäste – zwischen die Beine geklemmt wird.
Neben dem Geschminkten stehen im Video gut sichtbar ein als Frau verkleideter Mann mit blonder Perücke sowie eine Frau in einem Kleid mit Federschmuck. Die Botschaft der «Show» ist klar: Wir lassen uns von niemandem zensieren.
Um diese Haltung unter Beweis zu stellen, wird ein aufgenommener «Sketch» von 2018 auf der Leinwand gezeigt. «Die Zensurbehörde der Stadt Zürich hat die Episode damals verboten, weil sie fand, sie sei in höchstem Mass unkorrekt», sagt der Präsentator, um das Publikum anzuheizen. Und: «Weil wir hier aber in einer geschlossenen Gesellschaft sind, sollten Sie sich besser selber ein Bild machen.»
Im Film von damals hat der schwarz bemalte Herr erneut einen Auftritt im gleichen Kostüm. Dazu stösst ein Man mit einem Shirt mit Regenbogenfarben, um einen Homosexuellen darzustellen. Und zu ihnen gesellt sich eine als Sexarbeiterin verkleidete Frau, die mit einem aufgesetzten, südländischem Dialekt spricht. Die Lacher sind gut zu hören – sowohl im Clip von 2018, als auch im Saal von 2023.
Und wie sieht Rolf Dörig das Ganze? Nahm er die Einladung an? Hat er herzhaft mitgelacht? Oder sich an der Darbietung gestört? Der 65-Jährige, der kürzlich von der FDP zur SVP wechselte, sagt nichts. Eine Sprecherin der Swiss Life meint auf Anfrage von CH Media, Rolf Dörig verzichte auf eine Stellungnahme, da es sich um eine private Veranstaltung handle.
Und was ist mit seinem international tätigen Konzern? Schliesslich bekennt sich Swiss Life auf der eigenen Website zu Themen wie Diversität, Inklusion und Toleranz: «Je diverser unsere Belegschaft ist, desto vielfältiger ist unsere Unternehmenskultur», heisst es auf der Website. Man wolle das Bewusstsein für Diversität und Inklusion fördern. Deshalb biete man den Mitarbeitenden eine Reihe von Schulungen und Veranstaltungen zu diesen Themen an, welche unter anderem «in Zusammenarbeit mit dem Top-Management» entwickelt worden seien.
Wie passen diese Grundsätze mit der Böögg-Veranstaltung zusammen, bei der ihr oberster Lenker auf der Gästeliste fungierte? Doch auch hier die gleiche Antwort: Man äussere sich nicht zu einer privaten Veranstaltung.
Laut «Tages-Anzeiger» stand auch der Name Naville auf der Gästeliste, bei dem es sich um Martin Naville handeln könnte, den Verwaltungsratspräsidenten des Zürcher Zoos und seit 2004 Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer. Naville streitet auf Nachfrage eine Teilnahme weder ab, noch bestätigt er sie. «Zu wirtschaftspolitischen Themen können wir jederzeit reden», schreibt er als Antwort. Aber: «Mein Privatleben habe ich immer privat gehalten.»
Fragt sich, was die Mitglieder der Handelskammer davon halten, dass deren Chef an einer solchen Veranstaltung teilnimmt und sich vom rassistischen und sexistischen Inhalt nicht distanziert. Schliesslich gehören zahlreiche Grosskonzerne der Organisation an, die sich wie Swiss Life zu den Themen Diversität und Inklusion bekennen, so wie Nestlé, Logitech, Zurich, Coca-Cola, PWC, Firmenich, Schindler, Novartis, ABB oder Swiss.
Tatsächlich ist es nicht der erste Rassismus-Fall in jüngerer Vergangenheit, der aus dem Zürcher Wirtschaftselitenzirkel in die Öffentlichkeit gedrungen ist. So berichtete die «New York Times» 2020 über ein privates Geburtstagsfest von Ex-Credit-Suisse-Präsident und Zunftmitglied Urs Rohner. Dabei habe ein schwarzer Schauspieler einen Hausmeister gespielt und von Musik begleitet tanzend mit seinem Besen gewischt. Zudem sollen Rohners Freunde mit Afro-Perücken aufgetreten sein. Und die Mitglieder der Zunft zum Kämbel treten traditionell in Beduinenkostümen auf, während ihre Gesichter hellbraun geschminkt sind.
Die Veranstalter des «Balls beim Böögg» äusserten sich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» auch nach mehrfachem Nachfragen nicht zu ihrer Showeinlage.