Ihr Lächeln ist breit, aber nicht aufdringlich. Die Augen lächeln mit. Eine Mischung aus herzlich und höflich distanziert. Katharina Baumann hat dieses Lächeln für ihren Job perfektioniert. Genauso wie alles andere an sich. Ihr Rücken ist gerade, ihr Schritt schnell, aber nicht gehetzt, ihr Blick aufmerksam, aber nicht neugierig, ihre Stimme nur so laut, wie es die Situation verlangt. Und ihre Ohren sind überall, ohne dass es ihrem Umfeld unangenehm sein könnte.
Baumann ist Chef-Concierge im Widder Hotel. Das Fünf-Sterne-Hotel befindet sich mitten im Herzen von Zürich, am Rennweg. Nur fünf Gehminuten von der Bahnhofsstrasse mit ihren teuren Designerläden entfernt und unterhalb des Lindenhofs, der täglich Touristen anzieht.
Baumann ist nicht nur die einzige weibliche Chef-Concierge im ganzen Kanton Zürich, sondern auch eine von nur acht Frauen, die diesem Beruf in der Schweiz nachgehen. Insgesamt gibt es etwa 110 Concierges im Land und 4000 weltweit.
Concierge dürfen sie sich alle offiziell erst dann nennen, wenn sie von der internationalen Concierge-Vereinigung «Clef d'Or» das Gütesiegel erhalten haben: Zwei Broschen in Form von je zwei goldenen Schlüsseln, die sich kreuzen. Seit einem Monat trägt auch Baumann die goldenen Schlüssel stolz am Revers.
Die Vorstellung, was eine Concierge tut, basiert wohl bei vielen auf dem weltbekannten Wes-Anderson-Film «Grand Budapest Hotel». In diesem beschreibt Chef-Concierge Gustave den perfekten «Lobbyboy» wie folgt:
«Ein Lobbyboy ist komplett unsichtbar, und trotzdem immer in Sichtweite. Ein Lobbyboy erinnert sich daran, was die Leute hassen. Ein Lobbyboy antizipiert die Bedürfnisse des Gastes, bevor diese Bedürfnisse überhaupt aufkommen. Ein Lobbyboy ist vor allem diskret. Unsere Gäste wissen, dass wir ihre tiefsten Geheimnisse – von denen einige, offen gestanden, eher unschicklich sind – mit ins Grab nehmen werden. Also halt den Mund!»
Vieles an diesem Concierge-Bild stimmt tatsächlich, gibt Katharina Baumann mit einem Schmunzeln zu. «Wir sind die ersten und letzten, mit denen die Gäste zu tun haben. Und ja, wir versuchen ihnen wirklich jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.»
Diese Wünsche sind vielfältig: Beim einen Gast, der gerne lange Velotouren unternimmt, steht Baumann bei seiner Rückkehr in der Lobby mit Handtuch, Wasser und Lieblingssnack bereit. Bei einem anderen Gast musste sie ohne Vorwarnung einen Privatjet sowie Hotel und Transfer für denselben Tag organisieren. Und:
Es gibt kaum einen Wunsch, den sie nicht erfüllen würde. «Ausser es handelt sich um etwas Illegales oder Unmoralisches.» Eine Prostituierte würde sie etwa nicht für einen Gast organisieren. Und auch keinen Drogenkurier.
Mit solchen Wünschen wird Baumann aber ohnehin nie konfrontiert. «Zum Glück», wie sie sagt. Die Zeiten hätten sich geändert. Heute, mit dem Internet, würden sich die Gäste solche Bedürfnisse selbst erfüllen. Sie ist viel mehr für andere Wünsche zuständig: Für die kleinen Aufmerksamkeiten oder grossen Gefallen.
Eines wird klar: Baumann, wie sie hinter dem Tresen in der Hotellobby steht und ihr perfektes Lächeln lächelt, sehen nur ganz bestimmte Menschen. Und zwar keine «Normalverdiener». Im Hotel Widder kostet eine Übernachtung für zwei Personen zwischen und 620 und 3910 Franken – je nach Zimmerausstattung.
Zimmer, Lobby, Hinterhof, Küche, Bar, Restaurant und Lounge verteilen sich über neun Häuser aus dem 12. Jahrhundert, die im Inneren über Gänge und Treppen miteinander verbunden sind. Jedes Detail im Hotel ist aufeinander abgestimmt: Der glänzende Marmorboden, die steinernen Widder-Skulpturen, die Designerstühle, die Originalbilder von Künstlerinnen und Künstlern.
Doch die Gäste kommen nicht in erster Linie wegen dieser luxuriösen Ausstattung ins Widder Hotel. Auch nicht wegen seiner zentralen Lage. Nein, viele schätzen vor allem den Service, den Baumann und ihr Team bieten können. Und natürlich die Verschwiegenheit.
«Vertrauensperson» nennt sich Baumann auch. Dieser Bezeichnung macht sie im Gespräch alle Ehre: Wer alles schon bei ihr ein und aus gegangen ist, kann man ihr nicht entlocken. Nur so viel: Auch die einen oder anderen Hollywoodstars und Profisportler waren darunter.
Vor allem aber übernachten «Geschäftsleute» im Widder Hotel – was auch immer das heissen mag. Viele sind Stammgäste, die Baumann bereits gut kennen. Wenn sie einchecken, umarmen sie die 58-Jährige herzlich, erzählen von ihrer Reise, duzen sie dabei.
Baumann hingegen verfällt nie in das Du. Zu ihren Gästen will sie höflichen Abstand halten. Auch erzählt sie niemals von sich selbst, macht stattdessen Smalltalk, in dem sich alles um den Gast dreht.
«Ich kann nicht einfach anfangen, von meinen letzten Ferien in New York zu erzählen, nur weil mir ein Gast sagt, dass er in New York aufgewachsen ist. Das interessiert doch niemanden.» Selbst, wenn ein Gast nachhaken würde: «Und du? Warst du schon mal in New York?», würde die Concierge nur generisch und vor allem kurz antworten: «Ja, es ist eine wundervolle Stadt.»
Taktgefühl, Manieren, Selbstbewusstsein, Herzlichkeit, ein gutes Gedächtnis und eine dicke Haut. Das braucht es ihrer Meinung nach als Concierge. Sie hat in den zehn Jahren als Concierge schon viel erlebt. Gäste, die ihre Wut an ihr auslassen. Betrunkene, die sich bei ihr lauthals beschweren.
Was die zierliche Frau in solchen Situationen macht? Ein Notizbuch hervorholen. Und fragen: «Darf ich mir aufschreiben, was Sie mir gerade sagen? Dann kann ich mich anschliessend um jeden Punkt, den Sie nennen, kümmern.» Das wirke wahre Wunder. Einerseits beruhigten sich die Gäste ein wenig. Ihnen wird bewusst, was sie gerade von sich geben. Andererseits fühlten sie sich und ihre Bedürfnisse ernst genommen. Nicht selten kämen die Gäste am nächsten Tag auf sie zu und entschuldigten sich bei ihr.
«Ich bin aber kein Duckmäuschen», sagt Baumann. Wenn etwas schiefläuft, entschuldigt sie sich und sucht nach einer Möglichkeit, den Fehler angemessen zu kompensieren. Manchmal reicht ein Freigetränk, manchmal braucht es eine Gratis-Übernachtung. Zu Kreuze kriecht Baumann vor ihren Gästen aber nicht. «Fehler sind menschlich.»
Es kommt immer wieder vor, dass sich Gäste wünschen, nur von Baumann betreut zu werden. Sie fasst das als Kompliment auf. Auch wenn es gleichzeitig bedeutet, dass sie nie genau weiss, wann sie Feierabend machen kann. Ihr Arbeitstag dauert theoretisch von 7 bis 16 Uhr. Praktisch hört er aber erst dann auf, wenn sie ihre Gäste nicht mehr brauchen.
Und selbst in ihrer Freizeit fährt sie mit dem Velo durch die Stadt Zürich, besucht Events, Ausstellungen, Neuheiten – alles, um «up to date» zu bleiben. Um ihren Gästen die passendsten Empfehlungen in Zürich abgeben zu können.
Ist das wirklich Freizeit? Baumann findet: ja. Selbst wenn für Freundschaften nur Randzeiten und für Hobbys gar keine Zeit bleibt. Auch Teilzeitarbeit ist für Concierges keine Option. Baumann findet das völlig verständlich: «Wie sollte man auch sonst wirklich für die Gäste da sein können?» Es sei nun mal ein «zeitintensiver, aber leidenschaftlicher» Beruf. Und für sie eine Berufung.
Denn trotz aller Strapazen könnte sich Baumann keinen anderen Beruf mehr für sich vorstellen. Sie liebt alles daran: «Die besondere Atmosphäre in einem Fünf-Sterne-Hotel, die anspruchsvolle und spannende Klientel, meine Liebe zum Detail, die ich hier ausleben kann, und die Abwechslung.»
Warum sollte man jemandem, der sich alles leisten kann, die Wünsche von den Augen ablesen?
Nein, es ist kein Neid, ich finds einfach unnötig.
Hingegen würde ich dies mal gerne für diejenigen machen die unseren Müll abholen, das Bahnhofsklo reinigen und unsere verstopften Abwasserrohre entstopfen.
Sehr spannend, aber auch etwas traurig zu lesen. Allerdings kann ich ihr nachfühlen wie es ist, so im Job aufzugehen. Sicherlich ein abwechslungsreicher Alltag, mit Wünschen kreuz und quer.
Ich könnte es aber nicht, zu sehr würde mich wohl die Dekadenz einiger Gäste innerlich ärgern.