«Es wäre wirklich scheisse, wenn wir nächstes Jahr schon wieder ausziehen müssten», sagt Julia*. Im Januar ist sie mit ihrem Partner in eine 3-Zimmer-Wohnung in der Zürcher Agglomeration gezogen. Erbaut in den 1960ern. Fläche: 75 Quadratmeter, wie die Verwaltung im Mietvertrag angibt. Ausgemessen hat Julia später: 69 Quadratmeter. Ausbaustandard: alt. Kosten: 1960 Franken im Monat, plus 220 Franken Nebenkosten.
Julia hat sofort bemerkt, dass mit ihrem Mietvertrag etwas nicht stimmt. Unterschrieben hat sie trotzdem. Eingezogen ist sie trotzdem. Aus Not. Seither kämpft sie gegen ihre Verwaltung an. watson hat sie auf diesem Weg begleitet.
Mitte Januar 2025 freuen sich Julia und ihr Partner noch. Sie haben die Zusage für eine Wohnung erhalten, die sie sich gerade noch knapp leisten können. Kurz bevor sie ihre aktuelle Wohnung verlassen müssen. Die neue Wohnung ist perfekt gelegen. Nahe an der Stadt Zürich, aber doch im Grünen. Nahe an ihren Arbeitsplätzen in der Pflege und der Landwirtschaft.
Die Freude der beiden erlischt jedoch jäh, als sie den Mietvertrag zugestellt bekommen. «Dieser Mietvertrag ist befristet und endet ohne gegenseitige Kündigung per 31.01.2026», steht da. Julia stutzt. Sie sagt:
Also ruft Julia bei der Verwaltung an. Will wissen, was das bedeuten soll. Diese erklärt, sie stelle immer zuerst befristete Mietverträge aus, weil sie bereits schlechte Erfahrungen mit Mieterinnen und Mietern gemacht habe, die man nicht mehr loswerde. Die Verwaltung verspricht jedoch: Wenn «alles gut läuft» werde das Mietverhältnis selbstverständlich in ein unbefristetes umgewandelt.
Julia lässt sich davon beschwichtigen. Besteht aber darauf, dass die Verwaltung die Aussicht auf ein unbefristetes Mietverhältnis vertraglich festhält. Diese willigt ein und stellt einen neuen Vertrag aus. Mit dem Zusatz: «Falls der vertraglich vereinbarte Mietzins pünktlich bezahlt wird, wie auch keine negativen Beanstandungen vorliegen, werden Mietverhältnisse verlängert.»
Mit dieser Klausel wähnt sich Julia in Sicherheit. Einer falschen Sicherheit, wie sich herausstellen wird.
Julia liest im Vertrag weiter und stutzt abermals. Da eine Verwaltung im Kanton Zürich verpflichtet ist, den Vormietzins anzugeben, kann sie schwarz auf weiss lesen: Ihr Vormieter hat 905 Franken weniger Nettomietzins bezahlt als sie. Für exakt dieselbe Wohnung.
Wieder ruft Julia bei der Verwaltung an. Diese erklärt, dass sie die Berechnung des Mietzinses anhand der aktuellen Marktlage vorgenommen habe. Das, was sie verlange, sei der Marktwert der Wohnung.
Jetzt ist sich Julia sicher: Das ist ein missbräuchlicher Anfangsmietzins. Doch was kann sie dagegen tun? Der Januar neigt sich seinem Ende zu. In wenigen Tagen müssen sie und ihr Partner ausziehen.
Also unterschreibt das Paar. Und zieht am 1. Februar 2024 ein. Trotz schlechtem Bauchgefühl.
Fortan schwebt der befristete Mietvertrag wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen. Dass die Wohnung bei der Übergabe schlecht geputzt ist, sich im Bad Schimmel findet, eine Zimmertür sich nicht gut schliessen lässt, zwei Heizungen sich nicht regulieren lassen, beanstanden die beiden zwar. Als die Verwaltung nichts dagegen unternimmt, beharren sie jedoch nicht darauf. Sie wollen die Verlängerung ihres Vertrags nicht gefährden.
Diese Ansicht ändert sich jedoch, als sich Julia an den Mieterverband wendet. Dieser macht ihr klar: Die Zusatzklausel im Mietvertrag schützt sie nicht davor, in einem Jahr ausziehen zu müssen. Befristet ist befristet. Die Verwaltung kann sich nach Lust und Laune dazu entscheiden, das Mietverhältnis zu verlängern. Oder eben nicht.
Der Co-Geschäftsleiter des Mieterverbands Zürich, Walter Angst, bestätigt auf Anfrage von watson: «In der Schweiz herrscht Vertragsfreiheit. Die Verwaltung darf befristete Verträge ausstellen, wenn sie das möchte, und kann auch nicht vertraglich zu einem weiteren Vertrag verpflichtet werden.»
Dass Vermieter die Notlage von Mieterinnen und Mietern derart ausnutzen wie im Fall von Julia, ist gemäss Angst allerdings nicht die Regel. Schon gar nicht mit einjährig befristeten Mietverträgen mit Aussicht auf Verlängerung. Angsts Urteil:
Dass sie sich nicht vor der dreisten Praxis hat schützen können, weckt in Julia den Kampfgeist. Noch im Februar ist für sie klar: Sie muss gegen die Verwaltung vorgehen. Koste es, was es wolle. Jetzt geht es ihr ums Prinzip:
Aus ihrer Sicht nutzt die Verwaltung die Notlage der Wohnungssuchenden aus. Mit den befristeten Verträgen würde die Verwaltung dafür sorgen wollen, dass Mieterinnen und Mieter ihren überhöhten Mietzins nicht anfechten. Julias Versuch, Beweise für diese Vermutung für die Schlichtungsbehörde zu finden, verläuft allerdings ins Leere. Das ursprüngliche Inserat ihrer Wohnung, bei dem nichts von einem unbefristeten Verhältnis gestanden haben soll, ist längst gelöscht.
Julias nächste Taktik: Die Nachbarinnen und Nachbarn im Haus befragen. Diese sollen gemäss Julia dasselbe erlebt haben: sich auf ein unbefristetes Wohnungsinserat bewerben, um anschliessend einen befristeten Einjahresvertrag zu erhalten. Sie würden sich allerdings weigern, jegliche schriftlichen Beweise dafür zu liefern. Julia sagt:
Weder eine Schlichtungsbehörde noch watson können so überprüfen, ob die Verwaltung diese Strategie seit Jahren fährt, um sich gegen unliebsame Anfechtungen des Anfangsmietzinses abzusichern. Das ist auch Julia bewusst. Also konzentriert sie sich darauf, den Anfangsmietzins anzufechten.
Für die Anfechtung des Anfangsmietzinses stellt der Mieterverband Julia eine Anwältin zur Seite. Diese setzt einen Termin bei der Schlichtungsbehörde auf und sucht parallel dazu das Gespräch mit der Verwaltung.
Die Verwaltung will wissen, was Julia konkret von ihr fordert. Mittels Mietzinsrechner des Kantons berechnet die Anwältin eine zulässige Bestandsmiete. Also einer Miete, die aufgrund der Orts- und Quartierüblichkeit für diese Wohnung maximal zulässig wäre. Dann formuliert die Anwältin eine Maximalforderung an die Verwaltung: 1600 Franken Nettomiete rückwirkend auf Mietbeginn und ein unbefristetes Mietverhältnis.
Auf den neuen Anfangsmietzins geht die Verwaltung ohne Diskussion ein. Noch bevor der Termin bei der Schlichtungsbehörde zu Stande kommt. Gegen einen unbefristeten Mietvertrag wehrt sie sich allerdings. «Sie sagt, ein Umbauprojekt sei in Planung, weshalb sie meinen Vertrag nicht ändern könne», sagt Julia. Deshalb könne sie den Vertrag nur bis Baubeginn im Oktober 2026 verlängern.
Auf diesen Deal geht Julia Ende April ein. Auch wenn sie einen verzweifelten Versuch der Verwaltung wittert, sie und ihren Partner so schnell wie möglich loszuwerden. «Von einem geplanten Projekt war bei der Vertragsunterzeichnung noch nicht die Rede.» Beweisen kann sie ihre Vermutung jedoch nicht. Und auch die Verwaltung ist nicht verpflichtet, Beweise für ein Bauprojekt zu liefern.
Trotz des reduzierten Mietzinses: Julias grösstes Problem – der befristete Mietvertrag – bleibt ungelöst. Und das belastet. Julia sagt:
Bei jedem Möbelstück, das das Paar bräuchte, überlege es zweimal, ob sich die Anschaffung lohne. Bilder hängen die beiden nicht auf. Den Balkon bepflanzen sie kaum.
«Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten», sagt Julia. Abzuwarten, bis es Oktober 2025 wird. Dann nämlich müsste die Verwaltung Leerkündigungen kommunizieren, wenn sie ein Jahr später ein Bauprojekt plant. Falls Julia keine fristgerechte Leerkündigung erhält, muss sie abermals warten. Darauf, dass ihre Verwaltung den unbefristeten Mietvertrag schickt. Tut sie das nicht, obwohl sich Julia und ihr Partner an die Abmachung im Vertrag gehalten haben, will Julia die Befristung als missbräuchlich anfechten.
Der Streit mit der Verwaltung ist womöglich also noch lange nicht an einem Ende angelangt. Julias Energie hingegen schon:
Sie hat nicht nur seit Februar wöchentlich bis zu zwei Stunden Freizeit in die Verhandlungen investiert. Sie hat auch zahlreiche gehässige Telefonate von der Verwaltung über sich ergehen lassen müssen:
Und er habe ihr gesagt, sie solle froh sein, habe sie überhaupt eine Wohnung gefunden.
Solche Erlebnisse schildern Mieterinnen und Mieter Walter Angst vom Mieterverband immer wieder. Angst stellt klar: «Wenn man den Vormietzins wissen oder den Mietzins anfechten will, nimmt man als Mieter seine Rechte wahr. Das hat nichts mit Undankbarkeit zu tun.»
Julia weiss das in der Theorie. In der Praxis stellt sie hingegen fest:
Dass Mieterinnen und Mieter selbst verantwortlich dafür seien, sich gegen missbräuchliche Mietzinse zu wehren, lasse völlig ausser Acht, dass ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe.
Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Julia eine bessere Ausgangslage hatte als die meisten Schweizer Mieterinnen und Mieter. Weil in ihrem Kanton die Pflicht besteht, neue Mieterinnen und Mieter über den Vormietzins zu informieren. Ohne diese hätte Julia in einem Jahr über 4000 Franken mehr ausgegeben, als erlaubt gewesen wäre. Ohne es je zu erfahren.
*Name zum Schutz der Betroffenen geändert
Haben die vorher beim alten Mietzins etwa draufgelegt?
Das sind 6540.- im Jahr.