Der Zufall will es, dass in derselben Strasse, in der mir kürzlich zahlreiche Zugerinnen und Zuger bei der Besichtigung einer günstigen Wohnung von ihrer Verzweiflung ob des ausgetrockneten Wohnungsmarktes berichteten, eine weitere 3,5-Zimmerwohnung ausgeschrieben ist. Nur für fast den vierfachen Mietpreis.
Ich bewerbe mich so, wie ich es auch bei der günstigen Wohnung machte: via Kontaktformular auf der Immobilienplattform. Und erhalte kurz darauf einen Anruf. Vom Maklerbüro höchstpersönlich. Dessen erste Frage:
Ich stricke eine plausible Geschichte zusammen und erhalte dann einen Besichtigungstermin für mich ganz allein, ohne weitere Interessenten. Ohne Stress, in 15 Minuten alles abfotografiert, alle Fragen geklärt haben zu müssen. Und inklusive direkte Handynummer zur Maklerin. Für allfällige Fragen.
An einem Mittwochabend ist es dann so weit. Vom Bahnhof Zug bin ich zu Fuss in zehn Minuten vor der Wohnung. Fünf Minuten zu früh. Die Maklerin steht hinter der Eingangstür schon bereit. Sie möchte mich automatisch auf Englisch begrüssen und stoppt dann mitten im Satz, als sie mein «Grüezi» hört.
«Oh, Sie sprechen Deutsch?», sagt sie sichtlich überrascht. Bisher hätten sich nur Expats für die Wohnung interessiert. Auch die jetzigen beiden Bewohnenden sprächen nur Englisch. Ein Jahr hätten sie hier gewohnt. Nun würden sie wegen ihrer Jobs weiterziehen. Nach Dubai.
Dass die Wohnung bisher einzig gutverdienende Arbeitnehmende aus dem Ausland anzieht, die nur vorübergehend in der Stadt Zug arbeiten und leben, ist nicht überraschend. Im Inserat zur Wohnung steht:
Die 3,5 Zimmer erstrecken sich auf drei Stockwerke und 140 Quadratmeter. Es ist ein Neubau. Seit 2008 steht die Wohnung hier, an einer «autofreien Strasse», wie die Maklerin gleich zu Beginn betont.
Eigentlich handelt es sich dabei eher um ein typisches Gässli zwischen zwei modernen Häuserblocks, das man bei jedem Mehrfamilienhaus findet. Rechts und links Briefkästen, keine Wiese, keine Pflanzen. Nur Beton.
Am Ende des Gässlis befindet sich ein kleiner Kinderspielplatz ebenfalls ohne Wiese und ohne Bänkli. Kinder sind nirgends in Sicht. Auch sonst keine Menschen. Leer, totbetoniert wirkt die «autofreie Strasse».
Der Vermieter der Wohnung: ein Mann mit Schweizer Nachnamen, der seine Pension in Thailand verbringt. Sein Leben im Süden finanziert er mit Mieterträgen. Es muss ganz schön viel Geld sein, das er jeden Monat auf seinem Bankkonto vorfindet.
Allein die 3,5-Zimmerwohnung, die heute zur Besichtigung bereitsteht, kostet 7700 Franken im Monat. Im ganzen Block gibt es vier solche Wohnungen. Gemäss der Maklerin besitzt der Pensionär aber noch einige weitere Mietobjekte im Kanton Zug.
Was bekommt man alles für diese 7700 Franken? Ganz schön viel. Und dann doch wieder recht wenig.
Die Wohnung ist gross, hell, modern. Zwei der vier Wände bestehen nur aus Fensterfronten mit automatischen Rollläden. Der Boden über alle drei Stockwerke hinweg: edles Eichenholz mit Bodenheizung.
Im Eingangsbereich im ersten Stock sind grosse, weisse Schränke eingebaut für Schuhe, Mäntel, Vorräte. So, dass die Wohnung jederzeit aufgeräumt aussieht. Dazwischen befindet sich ein kleines Gästebad, auf der Rückseite der Schrankwand sind das Wohnzimmer und eine offene Küche. Letztere ist auf dem neusten Stand: Induktionskochherd, eingebaute Kaffeemaschine, Backofen, Steamer, Geschirrspülmaschine – alles bekannte, teure Marken.
Möbliert ist die Wohnung praktisch und doch auch ein wenig exzentrisch: ein überdimensionales, beiges Sofa, ein oranger, fluffiger Teppich, ein grosser Flachbildfernseher, ein edler Holzesstisch, riesige Bilder an den Wänden – all das ist «inklusive». Ob man will oder nicht.
Die aktuelle Mieterin und ihr Partner wollten nicht. Deshalb sei es ein wenig kompliziert geworden, wie sie erzählen. Während der Besichtigung sitzen die beiden am Esstisch und tippen geschäftig auf ihren Laptops.
«Der Vermieter ist … man muss ihn kennengelernt haben», sagt die Mieterin. Zum Glück sei er nicht oft da. In Thailand eben. Man komme aber gut mit ihm zurecht, wenn man alles, was man an der Wohnungseinrichtung anpassen wolle, früh genug mit ihm abspreche.
Wie ist die Nachbarschaft? Die beiden machen grosse Augen. «Wir haben ehrlich gesagt keine Ahnung. Wir haben vielleicht einen Nachbarn ein, zwei Mal gesehen», sagt er. Beide zucken mit den Schultern. Finden das nicht schlimm. Niemanden zu sehen heisst wohl auch, dass niemand stört.
Das Gefühl erhärtet sich, in einem Quartier gelandet zu sein, in dem Menschen leben, die keinerlei Bezug zu Zug, zu den Menschen hier haben oder nur schon suchen. Dafür aber einen entsprechenden Geldbeutel mitbringen.
So sieht Gentrifizierung aus.
Die Mieterin überlegt, was man sonst noch so über die Wohnung wissen müsse. Es ist sehr warm im Raum. Stickig. Wohl darum fallen ihr die beiden Klimaanlagen ein, die sie letzten Sommer kaufen musste. Diese könne sie ihren Nachmietern überlassen, sagt sie. «Im Sommer wird es mit den Fensterfronten unerträglich heiss.»
Dann überlegt sie nochmals und fügt schliesslich an: «Kochen Sie gerne? Dann muss Ihnen einfach bewusst sein, dass die gesamte Wohnung immer nach Essen riecht.» Türen gibt es in der Wohnung keine, ausser zu den beiden Badezimmern. Alles ist offen. «Luftig», steht im Inserat.
Die aktuellen Mietenden haben selten selbst gekocht, wie sie sagen. Heute allerdings schon. Das Essen – es sieht nach Siedfleisch aus und verströmt einen intensiven Geruch – steht noch auf dem Herd.
Steigt man die Treppe hinauf in den zweiten Stock, verfolgt einem der «Fleischduft» bis in die beiden Schlafzimmer. Eines davon ist eigentlich als Büro gedacht. Eine Tür zum Korridor gibt es darum nicht. Dafür eine Schiebetür zum zweiten Schlafzimmer, das man wiederum nur über das erste Schlafzimmer erreichen kann. Direkt gegenüber des Bettes hängt ein Flachbildfernseher an der Wand.
Ebenfalls auf diesem Stockwerk befindet sich das Badezimmer. Oder wie es im Inserat heisst, die «Wellnessoase mit Badewanne und Wellnessdusche». Die Badewanne ist grösser als eine herkömmliche. Über ihr hängt (natürlich!) noch ein Fernseher. «Geniessen Sie ein Bad und schauen Sie dabei den letzten Blockbuster», steht im Wohnungsinserat.
Eine zweite Treppe führt schliesslich auf eine beeindruckende Dachterrasse. Von hier aus hört man zwar noch immer den Verkehr von der Hauptstrasse – dagegen hilft auch das «autofreie» Gässli auf der einen Seite des Gebäudes nicht – dafür hat man eine wunderbare Sicht auf die schneebedeckte Rigi.
Die Hälfte der Fläche besteht aus einem Wintergarten. «Die Glastüren lassen sich im Sommer ganz einfach abmontieren. So verdoppelt sich die Dachterrasse», sagt die Maklerin mit einem gewinnenden Lächeln. Grill, Pflanzen, Kühlschrank, Wlan, Gartenmöbel und -geräte: Alles ist bereit für die nächsten Mietenden.
Im Wintergarten hängt sogar ein noch grösserer Flachbildfernseher als in den restlichen Räumen. Oder wie es das Wohnungsinserat verkauft:
Möglichkeiten, Wellness, autofrei – es sind viele schöne Wörter, die man in Bezug auf diese teure Wohnung hören und lesen kann. Und wie gesagt, die Wohnung ist auch wirklich sehr schön. Aber für 7700 Franken keine abschliessbaren Türen zu den Schlafzimmern zu haben? Keine Gestaltungsmöglichkeiten bei der Einrichtung, ohne gleich mit dem Vermieter Puff zu haben? Siedfleischgeruch in allen Zimmern?
Die jetzigen beiden Mietenden wirken aus nachvollziehbaren Gründen nicht sonderlich begeistert von der Wohnung. Aber sie mussten auch nur ein Jahr lang hier wohnen. Und taten dies wohl nicht wegen der Dachterrasse, nicht wegen der Wellnessoase, nicht wegen der eingebauten Kaffeemaschine, nicht wegen den vier Flachbildfernsehern.
Die Lage, sie ist das Verkaufsargument.
Zu gewissen grossen Firmen hat man zu Fuss nicht einmal fünf Minuten. Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Bars, Fitnesszentren, ÖV, alles ist rund um das Gebäude in maximal zehn Gehminuten erreichbar. Und dann wären da ja noch die Steuerersparnisse.
Es wirkt so, als ob der Vermieter sich bewusst ist, dass er seinen Mieterinnen und Mietern in einem Wohnungsmarkt wie dem des Kantons Zug, eigentlich alles abverlangen kann. Selbst für 7700 Franken Miete im Monat wird er immer Leute finden, die bereit sind, so viel Geld hinzublättern. Für diese Lage. Und die tiefen Steuern.
Die Nachfrage bestimmt den Markt, heisst es schliesslich immer. Der Immobilienbesitzer in Thailand bietet nur an, was der Markt anscheinend will. Oder zumindest das, was genügend Leute bereit sind, zu akzeptieren.
Aber:
Es gäbe doch ein Gesetz, welches die maximale Rendite festlegt? 3.5% oder?
Was soll denn der Wert dieser Wohnung genau sein?
Ernstgemeinte Frage