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Sexual-Forscherin Emily Nagoski: «Es gibt nur einen Orgasmus»

Sexual-Forscherin Emily Nagoski: «Es gibt nur einen Orgasmus»

Sexualforscherin Emily Nagoski macht Frauen Mut, ihre Sexualität zu erforschen. Im Interview gibt sie Auskunft, weshalb sie rät, die eigene Klitoris genau zu untersuchen und was ihre Mutter zur Anleitung für den perfekten Blow-Job sagt.
07.07.2015, 08:3807.07.2015, 09:12
Alexandra Fitz / Aargauer Zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Sie weiss, wie Frauen zu einem erfüllten Sexleben kommen. Das behauptet sie zumindest. Die US-Uni-Dozentin – die auch mal in der Kantine mit dem Tablett in der Hand über Orgasmen spricht – rät Frauen in ihrem aktuellen Buch «Komm, wie du willst», ihre Klitoris genau zu inspizieren. 

Aargauer Zeitung: Frau Nagoski, Sie sind überzeugt zu wissen, wie jede Frau guten Sex haben kann. Und Ihr Buch würde den Frauen helfen. Ganz schön mutig.
Emily Nagoski: Ich bin überzeugt, dass dieses Buch jedermanns Sexleben verbessern kann. Ich kann keine Traumata oder soziale Ungerechtigkeiten heilen oder zerbrochene Beziehungen fixen, aber ich kann Frauen helfen, mehr Vergnügen zu haben.​

Sexualforscherin Emily Nagoski.
Sexualforscherin Emily Nagoski.bild: pr

Und warum wissen genau Sie, wie Frauen ein glückliches Sexleben haben können?
Nach 20 Jahren als Sexualpädagogin haben mir Erfahrung und Forschung gezeigt, dass es viele Dinge gibt, die Menschen tun können, um ihren Sex zu verbessern.

Zum Beispiel?
Sich vorurteilsfrei auf den eigenen Körper und den Partner einlassen. Und die Freude am Sex mehr gewichten als die Zielorientierung.

Ich nehme an, damit meinen Sie den Orgasmus. Man liest immer wieder, unsere Gesellschaft sei zu Orgasmus-fixiert. Ist das nicht normal? Das ist doch das Schöne an Sex.
Viele Frauen möchten und mögen Orgasmen. Orgasmen sind auch toll. Aber Vergnügen ist das Ziel – und ein Orgasmus ist nur eine Variante, um Lust zu erleben. Für manche Frauen ist es die schönste Lust, für andere nicht.

«When Harry Met Sally» - Meg Ryans gespielter Orgasmus.YouTube/ChaZacIsa

Man hört immer, es gebe verschiedene Orgasmen. Sie sagen, es gibt nur einen. Was stimmt?
Es gibt nur einen. Alle Orgasmen sind die plötzliche, unwillkürliche Lösung sexueller Spannung. Wir sollten generell weniger über die «Art» des Orgasmus und mehr über unterschiedliche Wege nachdenken, einen zu bekommen. Es gibt zahlreiche Wege, diese Spannung zu erzeugen – klitorale Stimulation, vaginale Stimulation, Stimulierung der Brüste, Atmung etc. Sie sind alle gleich gut, solange sie gewollt sind und Spass machen.

Sie schreiben, guter Sex hänge vom Kontext ab, in dem er stattfinde. Welche Kontexte helfen für guten Sex?
Kontextabhängig ist vor allem die Lust. Welchen Kontext es braucht, variiert von Frau zu Frau. Aber ganz allgemein: wenig Stress, viel Zuneigung und Vertrauen sowie explizite Erotik. Es braucht Zeit und Übung und vor allem gute Lösungen, um Spassbremsen auszumerzen.

Genau das Abschalten ist ja das Schwierige. Insbesondere für Frauen.
Ja, das stimmt. Frauen reagieren in ihrer sexuellen Reaktion sensibler auf äusserliche Faktoren. Die Sexualforschung weiss bis jetzt nicht, warum das so ist.

Eine Ihrer Hauptaussagen, «Sex ist nur erfüllend und gut, wenn man seinen eigenen Körper kennt und auch akzeptiert», ist nicht wirklich neu.
Das ist nicht neu, aber trotzdem kämpfen Frauen immer noch mit der Akzeptanz ihres Körpers. Frauen sind kritisch gegenüber ihrem Körper und glauben, wenn sie ihn ändern könnten, wäre ihr Sexleben besser. Doch ihr Sex wäre besser, wenn sie ihren Körper annehmen würden, wie er ist.

Das ist doch paradox. Wenn wir genau wissen, dass wir dann schlechteren Sex haben, warum ändern wir es dann nicht?
Wir sind kritisch mit uns, weil wir auf gewisse Weise glauben, dass wenn wir unsere Körper optimieren schliesslich gänzlich geliebt und begehrenswert sein werden. Würden wir aufhören, uns zu kritisieren, und aufhören, uns fertigzumachen, würde sich das so anfühlen, als ob wir die Hoffnung aufgeben, jemals die grenzenlose Liebe, Lust und Zuneigung zu verdienen, nach der wir uns sehnen.

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Sie fordern die Leserinnen auf, sich nackt vor einen Spiegel zu stellen und aufzuschreiben was ihnen gefällt. Ist das nicht albern? Glauben Sie dass das Frauen wirklich tun?
Ja, Frauen haben mir erzählt, dass sie es tun. Das ist ganz und gar nicht albern. Es ist ein grosses Risiko, sich selbst wahrzunehmen, wie man ist. Viele Frauen lebten lange Zeit mit kulturellen «Botschaften», die ihnen sagten, sie seien nicht gut genug. Mein Buch gibt ihnen die Berechtigung, diese Botschaften abzulehnen und ihre Körper mit Akzeptanz und Liebenswürdigkeit zu sehen.

Sie raten den Frauen auch, ihre Klitoris anzuschauen. Gibt es echt Frauen, die ihre Klitoris nicht kennen?
Ja. Viele Kulturen erlauben es ihnen nicht, ihre sexuellen Körperteile zu betrachten, anzufassen oder sie zu geniessen. Wenn man das tut, ist das toll, und so sollte es für jede Frau sein. Aber stattdessen ist es ein Privileg.

Warum ist es Ihnen so wichtig, zu erreichen, dass andere guten Sex haben?
Für mich ist das sexuelle Vergnügen von Frauen eine feministische Angelegenheit. Ich glaube, es gibt eine direkte Verbindung zwischen sexuellem Vergnügen, das ins Zentrum unserer Definition von sexuellem Wohlbefinden gerückt wird, und der Tatsache, eine Welt zu schaffen, in der wir die Objektivierung oder den Missbrauch von Frauen nicht tolerieren.

Wie findet Ihr Mann es eigentlich? Einerseits, dass sie so viel über Sex wissen. Andererseits, dass in Ihren Aussagen, Büchern und Vorträgen zwangsweise auch etwas Privates mitschwingt.
Ich erzähle nur persönliche Geschichten, für die ich eine Erlaubnis habe. Zudem ist mein Partner berühmter als ich, demnach bin ich vorsichtig mit Details über ihn und erzähle meistens nur Geschichten aus meinem Leben vor ihm.

Wenn man Ihr Buch liest, hat man das Gefühl, sie sind voll der Sexpert. Kann so viel Wissen im Bett auch bremsen?
Nein. Wissen ist Macht.

In Zusammenhang mit Ihrem Namen findet man auch den Ausdruck «Sex nerd». Er klingt spannend. Was ist damit genau gemeint?
Die Autorin Sarah Vowell definiert «Nerd sein» als: sich sehr intensiv mit einem Thema beschäftigen und dafür zu brennen. Ich spreche in der Öffentlichkeit über Sex. Es ist mir wichtig, dass Leute über die sexuelle Lust Bescheid wissen und sie pflegen.

Deswegen haben Sie auch eine Anleitung geschrieben, wie Frauen Männer grossartig oral befriedigen können. Was sagt Ihre Mutter eigentlich dazu?
Sie bittet mich, nicht am Tisch über meine Arbeit zu sprechen.

Jetzt auf

«Komm, wie du willst. Das neue Frauen-Sex-Buch», Emily Nagoski, Juni, Knaur, 496 Seiten, 21 Franken; in ihrem Blog gibt sie Ratschläge für das sexuelle Wohlbefinden.

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