Wer soll diese Bayern mit diesem Trainer schlagen? Weil Hansi Flick mit Kingsley Comans Nomination für die Startaufstellung ein augezeichnetes Näschen beweist und der PSG gegen den überragenden Bayern-Goalie Manuel Neuer erstmals nach 34 Spielen in der Champions League kein Tor erzielt, gewinnen die Münchner nach 2001 und 2013 zum dritten Mal die Champions League. Ausgerechnet der einst bei den Parisern ausgebildete Franzose Coman sorgt mit einem Kopfball nach einer Stunde für den 1:0-Triumph.
Es muss an einer ganz speziellen DNA liegen, dass der FC Bayern immer wieder ganz zuoberst steht. Sein früherer Spieler Bixente Lizarazu bringt es auf den Punkt: «Nach Siegen ermüden viele Mannschaften, die Bayern nie.» Die Münchner gewannen in Lissabon mit einer Mannschaft, für die sie lediglich 115 Millionen Euro an Ablösesummen bezahlt haben, während beim unterlegenen Gegner ein 650 Millionen teures Team auf dem Platz stand. Normalerweise würden die Deutschen nun 115,69 Millionen Euro an Prämien einstreichen, doch das Coronavirus zwingt die Uefa zu Abschlägen.
Am Ende des ausgeglichenen und guten 28. Finals der Königsklasse durften sich die Bayern im leeren Estádio da Luz als etwas glückliche und dennoch verdiente Sieger fühlen. Der Henkelpott, den Captain Manuel Neuer aus den Händen von UEFA-Präsident Aleksander Čeferin erhielt, war ein gerechter Lohn. Denn noch nie zuvor hatte es eine Mannschaft geschafft, diesen Wettbewerb mit lauter Siegen (11) zu gewinnen. Darunter ein 7:2 bei Tottenham, ein 6:0 gegen Roter Stern, ein 3:0 und 4:1 gegen Chelsea sowie ein unglaubliches 8:2 gegen Barcelona. Und zuletzt haben die Aristokraten im Jahr ihres 120. Geburtstags die neureichen, erst 50 Jahre alten Emporkömmlinge aus Frankreich knapp in die Schranken gewiesen.
Den FC Mia san mia macht einzigartig, dass wunderbare Spieler wie Franz Beckenbauer, Uli Hoeness, Karl-Heinz Rummenigge, Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn dem Verein treu bleiben und grossartige Funktionäre werden. Bei einem Umsatz von 660 Millionen Euro leistet die Geschäftsführung vorbildliche Arbeit. Der FC Bayern darf ohne Zweifel als Vorzeigeverein einer angeschlagenen Branche betrachtet werden. Auf seinem berühmten Festgeldkonto liegen fast immer ein paar hundert Millionen Euro als Liquiditätsreserve.
Vermutlich hat es gestern Abend in den Momenten des Glücks in Hansi Flicks Hosensack gebimmelt und geblitzt wie verrückt. Schon nach der Gala gegen Barcelona hat er über 300 Gratulationsnachrichten erhalten. Seine Geschichte mit dem FC Bayern darf getrost zu den aussergewöhnlichsten im Klubfussball gezählt werden.
Was der 55-Jährige (Vertrag bis 2023) in den zehn Monaten seit seiner Beförderung zum Cheftrainer am 3. November 2019 erreicht hat, sucht seinesgleichen. Wie mit dem Zauberstab hat er eine kaputte Mannschaft in strahlende Sieger verwandelt. Fast nicht zu glauben: Von jenem Team, das am 2. November in Frankfurt 1:5 einging und Trainer Niko Kovac den Kopf kostete, sind in Lissabon nicht weniger als neun Spieler zu Beginn auf dem Platz gestanden.
36 Spiele nach jenem Desaster hat Bayern zum zweiten Mal nach 2013 das Triple gewonnen. Flick weist einen Rekordschnitt von 2,77 Punkten auf; unter ihm haben die Münchner zuletzt 21 Mal hintereinander gewonnen. Er hat kriselnde Profis wie Thomas Müller und Jérôme Boateng zum Erblühen gebracht und aus Tormaschine Robert Lewandowski (15 CL-Tore) einen echten Teamplayer gemacht; aus David Alaba einen Klasse-Innenverteidiger und aus dem 19-jährigen Linksverteidiger Alphonso Davies einen Shootingstar. Spieler wie Serge Gnabry, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Niklas Süle haben das Potenzial, den FC Bayern noch jahrelang zu prägen.
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— Ruben (CHAMPIONS OF EUROPE 🏆🏆🏆🏆🏆🏆) (@Rubsnnn) August 23, 2020
Wie hat Flick das bloss geschafft? Bundestrainer Jogi Löw, der ihn bis zum Weltmeistertitel 2014 während acht Jahren als Assistent an seiner Seite gehabt hat, sagt, es sei die Kombination von enormer Empathie und hoher Fachkompetenz, die Flick zu einem grossen Trainer mache. Wenn die Münchner heute Nachmittag mit einer Sondermaschine in der Heimat landen, werden sie direkt von der Landebahn mit dem Bus weggefahren. Die Fans brauchen sich gar nicht erst an den Flughafen zu bemühen, um ihre Lieblinge zu feiern. Die Pandemie verlangt dies. Wann die Fete nachgeholt wird, steht in den Sternen.
Für den Besitzer des PSG, den Emir von Katar mit seinem Staatsfonds, wird es indes nur ein kleiner Trost sein, dass auch er einen kleinen Anteil am Erfolg der Münchner hat. Katar lässt sich das Sponsoring durch Qatar Airways viele Millionen kosten und lädt die Bayern im Winter zu Trainingslagern an den Persischen Golf ein. In den PSG jedoch hat Emir Tamim bin Hamad al-Thani seit 2011 mindestens 1,3 Milliarden Euro gebuttert. Bis jetzt hat sich der Grosserfolg nicht kaufen lassen.