Ob Basel, Porto, Dublin oder Kopenhagen, die Bilder bei Schweizer Länderspielen 2019 gleichen sich: ein spielerisches Übergewicht, späte Gegentore, enttäuschte Gesichter. Auch die Erklärungen von Trainer und Spieler gehen in die gleiche Richtung. Von fehlender Konzentration in der Defensive ist die Rede, von mangelnder Effizienz im Abschluss oder der Weltklasse einzelner Gegenspieler. Auch am Samstag wiederholte sich im stimmungsvollen Parken in Kopenhagen die Szenerie. Wie sehr die Niederlage schmerzen wird, wird sich gegen Irland zeigen.
Die Schweizer Mannschaft hatte vor gut einem Jahr im Nachgang der WM, in der Diskussionen um Doppeladler und Doppelbürger und der blutleere Auftritt gegen Schweden den Achtelfinal-Einzug überstrahlten, ihre Antwort auf dem Platz gegeben. Beim 6:0 gegen Island und dem 5:2 gegen Belgien boten sie begeisternden Fussball und lieferten zwei der besten Leistungen in der jüngeren Länderspiel-Geschichte ab.
Doch der goldene letzte Herbst mit der Qualifikation für das Final Four der Nations League täuschte und war nur eine Momentaufnahme, die Bilanz 2019 ist ernüchternd. Nur zwei Siege gelangen der SFV-Auswahl im laufenden Jahr, von den letzten sechs Partien konnte nur eine gewonnen werden – im September in Sitten gegen den Exoten Gibraltar (4:0). Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander.
Das Team hat sich dank dem von Vladimir Petkovic eingeleiteten Umbruch spielerisch weiterentwickelt. Das Mittelfeld, gegen Dänemark der stärkste Mannschaftsteil, genügt höheren Ansprüchen. Granit Xhaka, bei Arsenal als Captain umstritten, im Kreis der Nationalmannschaft der klare Chef, kontrollierte zusammen mit Denis Zakaria, dem Aufsteiger des letzten Jahres, das Zentrum.
Die Schweizer spielten deutlich besser als beim 1:1 in Dublin, brachten die Dänen mit Spielverlagerungen und weiten Bällen immer wieder in Bedrängnis und drückten dem Spiel den Stempel auf, standen am Ende aber trotzdem mit leeren Händen da. Ein genialer Pass von Christian Eriksen und ein kollektives Fehlverhalten der Schweizer Defensive ermöglichte den seit 23 Pflichtspielen ungeschlagenen Dänen den Siegtreffer von Yussuf Poulsen in der 85. Minute. Die Schweizer ihrerseits waren wiederholt am überragenden Keeper Kasper Schmeichel gescheitert, der die Schüsse von Xhaka (14.) und Ricardo Rodriguez (51.) an die Latte lenkte.
Dominanz und Ballbesitz zeugen zwar von Spielkultur, garantieren aber schon länger nicht mehr Erfolg. Der Fussball hat sich in eine andere Richtung entwickelt, gefragt sind schnelles Umschalten, gute Standards und Effizienz – sowohl in der Offensive wie auch in der Defensive. Diese ist der Schweiz abhanden gekommen. Die wenigen Nachlässigkeiten in der Abwehr werden eiskalt bestraft, die Stürmer haben in diesem Kalenderjahr – das Gibraltar-Spiel ausgenommen – erst ein Tor erzielt.
Zudem hat sich ein mentales Problem eingeschlichen. «Wir wussten, dass die Schweiz in der Schlussphase immer nachlässt.» Der Satz des dänischen Nationaltrainers Age Hareide sass. Der Norweger und sein Team hatten im Vorfeld die späten Tore als Schweizer Schwäche ausgemacht und diese eiskalt ausgenützt – womit sie sich weiter akzentuierte. In vier von sieben Spielen kassierten die Schweizer späte Gegentore, allein fünf in den drei Spielen gegen Dänemark und Irland. Als Folge davon droht dem Gruppenfavoriten nun der Worst Case.
Noch immer hat die SFV-Auswahl ihr Schicksal in den eigenen Händen. Will sie das EM-Ticket aus eigener Kraft via Qualifikation lösen, braucht sie aber sowohl in Genf gegen Irland als auch in den verbleibenden zwei Spielen im November gegen Georgien und in Gibraltar jeweils einen Sieg. Scheitert sie, hätte sie zwar noch immer die Chance, sich im Frühjahr als einer der Nations-League-Gruppensieger via Barrage zu qualifizieren, der Schaden wäre aber angerichtet.
Erstmals wären Trainer Petkovic und die Generation um die U17-Weltmeister Xhaka, Rodriguez und Haris Seferovic in einer Kampagne gescheitert. Ein Misserfolg, der weder der Erwartungshaltung der Fans und der Öffentlichkeit, geschweige denn dem Selbstverständnis dieser Mannschaft entspricht. (pre/sda)